Komm zu Papa!

P1030030Bei meinem ersten Konzert 2013 waren Ghost noch ein Geheimtipp, und das nicht einmal halb volle Backstage musste mit seitlich abgehängten Tuchbahnen künstlich verkleinert werden, was aber für eine tolle Clubatmosphäre gesorgt hat. 2015 war das Werk dagegen schon restlos ausverkauft und ließ nicht wenige verzweifelt draußen vor der Tür. Das Publikum wurde von Ghost zu wahren Begeisterungsstürmen hingerissen. Wieder sind zwei Jahre vergangen, und selbst das vorsorglich gebuchte größere Kesselhaus ist nicht mehr in der Lage, die Heerscharen der Gläubigen aufzunehmen, die einer Messe von Papa Emeritus und seinen Nameless Ghouls beiwohnen wollen. Daher ist das München-Konzert der diesjährigen Popestar-Tour ins Zenith verlegt worden, das für seine suboptimale Akustik gleichermaßen berüchtigt und gefürchtet ist. Wie wird das Konzert ausfallen? Sind Ghost tatsächlich auf dem Weg zu einer Weltreligion, wie von mir in der Rezension zur letzten EP Popestar (Link) prophezeit?

P1020814Schon kurz nach Einlassbeginn um 19:00 Uhr hat sich eine lange Schlange gebildet. Einige der Wartenden sind als Nameless Ghouls kostümiert, ich sehe mehr als ein Papa-Emeritus-Double, und auch eine Nonne kreuzt meinen Weg. Das steigert natürlich die allgemeine Vorfreude, doch zunächst betreten Zombi pünktlich um 20:00 Uhr die Bühne. Die zwei Musiker sind mir bislang unbekannt, einer bedient Synthesizer und Keyboard beziehungsweise Gitarre, der andere spielt Schlagzeug dazu. Gesang gibt es keinen, und das ist vielleicht das Problem. Insgesamt würde ich es als eine Mischung aus Filmmusik und psychedelischen 70er-Jahre-Momenten beschreiben, wobei das Schlagzeug teilweise tranceähnliche Züge hat. Die Songs dauern um die fünf Minuten, und irgendwie wartet man unwillkürlich auf einen Höhepunkt, der aber ausbleibt. Im Grunde genommen ist das gar nicht schlecht gemacht, aber Zombi haben ein völlig falsches Publikum vor sich. Natürlich bekommen sie auch ein wenig Applaus, aber die meisten Menschen unterhalten sich oder sind mit ihrem Handy beschäftigt. Ein Zwischenrufer verlangt sogar nach Guns ’n‘ Roses. Insofern verläuft der Auftritt für Band und Publikum unbefriedigend, und die Dreiviertelstunde zieht sich dahin.

P1020990Die folgende Umbaupause fällt sehr kurz aus, da nur die Instrumente von der Bühne getragen werden, und dann ertönt das erste Intro „Miserere Mei, Deus“. Schlicht schwarz gekleidete Männer schreiten im noch hellen Saallicht langsam auf die Bühne, verneigen sich voreinander und zum Publikum und enthüllen schließlich den Bühnenaufbau, der bislang von langen schwarzen Stoffbahnen eingekleidet war. Er ist dreistufig und imitiert mit viel Marmoroptik den Altarraum einer Kathedrale. Auch wird das Schlagzeug noch einmal kurz abgestimmt. Das rund 400 Jahre alte Intro „Miserere Mei, Deus“ verbreitet eine tolle sakrale Stimmung, dauert aber auch geschlagene zwölf Minuten. Die Spannung steigert sich, bis es fast schon weh tut. Das Saallicht erlischt, Jubel brandet auf, doch statt der Erlösung folgt das zweite Intro „Masked ball“. Aber nun wird die Messe wuchtig mit „Square hammer“ eröffnet, wie aus dem Nichts sind Papa Emeritus und seine Nameless Ghouls plötzlich da. Es ist wie ein Befreiungsschlag, der bei mir für fortwährende Gänsehaut sorgt. Weder Band noch Publikum müssen erst warm werden, die Stimmung ist sofort am Anschlag. Das breite und dreistöckige Bühnenbild kommt Ghost wirklich sehr zugute, denn so haben alle Ghouls den nötigen Platz, um sich völlig frei zu entfalten und in Szene zu setzen. Treppauf, treppab, rauf auf die großen Monitorboxen, angestrahlt und/oder in Nebelwolken gehüllt, die drei Träger der Saiteninstrumente sind einfach überall. Und mittendrin überstrahlt Papa Emeritus natürlich noch einmal alles. Würdevoll und erhaben schreitet er mit seiner Mitra auf dem erhobenen Haupt über die Bühne, obwohl in seiner Stellung als Papst strenggenommen eine Tiara statt einer Bischofsmütze angebracht wäre. Durch den bodenlangen Umhang wirkt es, als ob er schweben würde. Im Hintergrund befinden sich drei riesige gotische Kirchenfenster, von denen unter anderem der Ziegenbock und der Teufel herablächeln. Gleich zu Beginn gibt es also die entscheidende Frage: „Are you ready to swear, right here, right now, for the Devil?“ Wer das nicht ist, kann an dieser Stelle gehen, aber das tut natürlich niemand. Weiter geht es mit „From the pinnacle to the pit“ und „Secular haze“, dann müssen sich die Fotografen aus dem Graben verabschieden. Vor „Con clavi con Dio“ wendet sich Papa Emeritus das erste Mal direkt an seine Gläubigen, und durch die Akustik im Zenith bekommt seine Stimme einen Widerhall, wie man es aus großen Kathedralen kennt. Das passt natürlich bestens ins Programm, macht es aber auch schwierig, seinen ohnehin nicht einfachen transsylvanischen Akzent zu verstehen. Bei „Per aspera ad inferi“ wird die GeP1030036meinde energisch aufgefordert, den Refrain mitzusingen, was auch prompt inbrünstig geschieht. Anschließend holt er unter Jubel zwei sexy Nonnen auf die Bühne: „I would like to dedicate this song to the Sisters of Sin!“ Nach einer längeren Ansprache kündigt er das folgende „Body and blood“ folgendermaßen an: „This is a song about eating flesh… about drinking blood…“, und dabei wirkt er, unterstützt durch den starken transsylvanischen Akzent, tatsächlich wie Bram Stokers Dracula.

Das Licht erlöscht, Papa Emeritus verschwindet kurz für einen Kostümwechsel und erscheint dann ohne Mitra in dem schwarzen Gehrock samt weißer Weste, den man schon vom Album Meliora oder der letzten Tour kennt, und der mich irgendwie an Napoléon erinnert. „Devil church“, „Cirice“ und „Year Zero“ gestalten den nächsten Songblock. Beim letzten setzt einmal die Band zum Refrain aus, sodass man das gesamte Zenith rufen hört: „Hail Satan!“ Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Zu den Klängen von „Spöksonat“, das von Band eingespielt wird, gibt es einen erneuten dramaturgischen Abgang. Als es mit der bombastbeladenen Ballade „He is“ weitergeht, muss es für viele der Höhepunkt sein, denn schlagartig sind unzählige Handys oben, um den Moment auf Video festzuhalten. Nervig. Ob den Filmsündern anschließend ebenfalls „Absolution“ erteilt wird, ermag ich nicht zu beurteilen, aber zumindest fordert Papa Emeritus alle auf: „Hey, München, I want you to scream real fucking loud!“ Er lässt sich feiern und scherzt mit der Gemeinde: „How’re ya doin‘?“ Beim Finale von „Mummy dust“ explodieren zwei Kanonen mit Glitzerkonfetti, das langanhaltend in die Menge gefeuert wird. Das ist der imposanteste Konfettiregen, den ich je erlebt habe, und ein starkes Gebläse verteilt das Konfetti tatsächlich bis in den letzten Winkel des langgezogenen Zeniths. Vor „Ghuleh/Zombie queen“ hat Papa Emeritus wohl eben jene entdeckt, denn er wirft Kusshändchen in die vorderen Reihen der Gläubigen. Die Gitarre eines Ghouls klingt dissonant, ausgerechnet als er oben auf der Monitorbox P1020966posen will. Durch seine Gestik kann man trotz Maske erkennen, dass er über sich selbst lachen muss. Aber als Vollprofi stimmt er lässig kurz nach, und weiter geht die Show. Das beste kommt bekanntlich immer zum Schluss, und so beginnt „Ritual“ mit einem sehr originellen und beschwingt gespielten Intro, das Ghost einmal mehr von der humorvollen Seite zeigt, und das dann in den eigentlichen Song hinübergleitet. Unter Jubelstürmen verabschieden sich die Nameless Ghouls, aber nicht ohne heilige Reliquien wie Plektren und Drumsticks den Ghost-Jüngern zuzuwerfen. Papa Emeritus verlässt für die Zugabe gar nicht erst die Bühne und erzählt noch einmal ein Gleichnis: „It’s a song in the name of female orgasm!“ und fordert seine Anhänger auf, nach dem Konzert Liebe zu machen, ob nun allein, zu zweit oder gar zu dritt. Mit dem nun folgenden „Monstrance Clock“ beenden Ghost ihre fulminante Messe. Als Outro erklingt schließlich „The host of Seraphim“ von Dead Can Dance. So muss ein Gottesdienst sein!

Fazit: Was für eine Messe! Ghost präsentieren eine perfekt choreografierte Rock-Show, die Gesamtperformance auf der großen und breiten Bühne ist einfach eine Klasse für sich und kommt besser zur Geltung als im Backstage Werk. Da ist der Sound allerdings zugegebenermaßen besser gewesen. Dennoch, für eine Show im Zenith kann man im Grunde genommen nicht meckern. Mir hat es zwar gerade bei den härteren Songs etwas an Druck gefehlt, und der Bass war stellenweise leider etwas zu leise, aber der prägnante Gesang war gut und klar ausgesteuert. Die Soundtechniker haben rausgeholt, was rauszuholen möglich gewesen ist.
Papa Emeritus und seine Nameless Ghouls lassen eine überzeugte Anhängerschaft zurück, die nun die Botschaft von Ghost weiter in die Welt hinaustragen wird. Die Ghost-Gemeinde wächst kontinuierlich und unaufhaltsam.

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Setlist Ghost:
Intro – Miserere Mei, Deus (Gregorio Allegri)
Intro – Masked Ball (Jocelyn Pook)
Square hammer
From the pinnacle to the pit
Secular haze
Con clavi con Dio
Per aspera ad inferi
Body and blood
Devil church
Cirice
Year Zero
Spöksonat (von Band)
He is
Absolution
Mummy dust
Ghuleh/Zombie queen
Ritual

Monstrance clock
Outro – The host of Seraphim (Dead Can Dance)

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1 Kommentar
  1. Jens
    Jens sagte:

    Muss ja ehrlich zugeben ich war sehr enttäuscht, habe Ghost mit Zombi in Wiesbaden im Schlachthof gesehen. War eine eher lustlose Show, und ich fand es etwas schade, dass Zombi so unterbewertet werden. Fand sie in Wiesbaden deutlichbesser als Ghost, aber das ist ja auch Geschmackssache ;-) Vielleicht als Vorband eine ungünstige Wahl, aber als Band an sich unterschätzt.

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