Mystik und ganz viel Weihrau(s)ch

Nach ihrem Auftritt beim letztjährigen Dark Easter Metal Meeting, zu dem es unser rasendes Reporterteam leider nicht mehr in die zu kleine und daher überfüllte Halle geschafft hatte, machen die geheimnisvollen Batushka auf dem dritten Teil ihrer European Pilgrimage Tour noch einmal Halt in München, dieses Mal aber wegen der enormen Nachfrage im größeren Werk, sodass nun wirklich alle an der russisch-orthodoxen schwarzen Messe Litourgiya teilnehmen können sollten. Als Ministranten bzw. Vorbands sind die Black Metaller Schammasch aus dem Schweizer Basel und das mysteriöse Ein-Mann-Projekt Trepaneringsritualen aus Göteborg gebucht.

_DSC6743Der Sound von Trepaneringsritualen oder auch T x R x P (die Trepanation ist übrigens ein chirurgischer Eingriff, bei dem die Schädeldecke durchbohrt wird, der weltweit schon in weit vorchristlichen Zeiten angewendet wurde) lässt sich nur schwer in Kategorien einordnen. Eine Mischung aus Industrial, Ritual und Ambient, zusätzlich erweitert um Noise-, Neo-Folk- und Black-Metal-Einflüsse. Th.oth XIX, mit bürgerlichem Namen Thomas Martin Ekelund, hat seine Bühne schlicht mit zwei kleinen Stelen dekoriert, an denen sein Logo prangt. Auf der rechten ruht ein offensichtlich echter menschlicher Schädel, der von zwei schwarzen Kerzen in einem Messing-Kerzenständer beleuchtet wird, und Räucherstäbchen sorgen für Atmosphäre. Auf der linken Stele steht sein Equipment, denn wie bei einem Ein-Mann-Projekt in der Regel üblich kommt der Sound aus der Konserve, nur der Gesang ist live. Th.oth XIX trägt zu schwarzer zerrissener Hose, Hemd und Lederweste einen Jutesack über dem Kopf, der von einem abgeschnittenen Galgen zusammengebunden ist. „Psycho killer… better run run run away…“ (Talking Heads) schießt es mir bei seiner Optik durch den Kopf, fehlt eigentlich nur noch ein riesiges Messer. Abgerundet wird sein Aussehen dafür durch eine blutige Knochenhalskette, auch die nackten Unterarme sind blutig, und vom Gürtel baumeln ebenfalls diverse Knochen. Also auf jeden Fall beeindruckend, dennoch wirkt Th.oth XIX insgesamt etwas verloren auf der vor allem rot beleuchten großen Bühne im Werk. Das Publikum scheint zunächst überfordert zu sein und reagiert äußerst zurückhaltend. Nur sehr vereinzelt wippt ein Kopf zu dem anfangs sehr dröhnigen Bass, der Gesang dazu wird teilweise live verzerrt. Erst beim vierten Song nimmt Th.oth XIX den Jutesack ab, und zum Vorschein kommt nassverschwitztes strähniges Haar, das im Nacken mit einem langen dicken Dreadlock endet und Vollbart. Aber Moment, ist das wirklich nur Schweiß? Ich bin mir ziemlich sicher, dass hier auch echtes Blut Haare und Bart verklebt. Gelegentlich schraubt er an einem Knopf, und der Sound wird jetzt auch klarer, sodass es nun auch das erste Mal verdienten Beifall gibt. Der fünfte Song wird durch eine Frauenstimme bereichert. Man spürt dank seiner Haltung und seinem Ausdruck deutlich, mit welcher Hingabe Th.oth XIX für seine Musik lebt. Die meisten Songs werden wohl vom aktuellen Album Kainskult stammen, so wie das Abschlusslied „Serpent Seed“, das durch Marsch-orientierte Drums geprägt ist. Mehr Rhythmus also und mehr Schwung, und schlussendlich nun auch ordentlich Applaus vom aufgeschlosseneren Teil des Publikum, das damit diesen düsteren, rituellen Auftritt honoriert.

_DSC6827Die seit 2009 aktiven Schammasch sind nach drei veröffentlichen Alben keine Unbekannten mehr. Mit der EP Maldororchants: Hermaphrodite von 2017 zeigen sie sich musikalisch sehr gereift, und das spürt man auch heute Abend auf der Bühne. Zusätzlich zum regulären Schlagzeug haben Schammasch zwei große Trommeln am vorderen Bühnenrand aufgebaut, von denen der mit Kapuze und schwarzer Maske verhüllte Sänger zu Beginn auch direkt Gebrauch macht. Die so erzeugte rituelle Wirkung knüpft sehr gut an den Vorgänger Trepaneringsritualen an. Flankiert wird der Sänger nicht nur durch Bassist und zwei Gitarristen, sondern auch durch zwei Widderschädel, die auf einem Knochenpodest ruhen und von Teelichtern beleuchtet werden. Durch die Knochen wabert auch noch reichlich Räucherwerk hindurch, sodass sich auch die okkulte und mystische Atmosphäre des Abends fortsetzt. Lange Mäntel und lange Haare, viel Nebel und rotes Licht runden die Bühnenoptik ab. Ein Teil der Musik scheint vom Band zu kommen, zumindest kann ich kein Keyboard oder Synthie erkennen. Die Songs fließen beihnahe ineinander, sodass kaum Zeit für Beifall bleibt. Für den dritten Song greift der Sänger nun auch zur Gitarre, und das Zusammenspiel der drei Gitarristen erzeugt einen hypnotischen Sound, der die meisten Anwesenden dazu zwingt mit dem Kopf mitzuwippen, bis der Song dank Blastbeats explodiert. Stellenweise übernimmt auch einer der Gitarristen den Gesangspart, was für Abwechslung sorgt. Erst nach dem fünften Song gibt es einen echten Break, den das Publikum für entsprechend lauten Jubel und Beifall nutzt. Die meisten Songs stammen wohl von der neuen EP Maldororchants: Hermaphrodite, aber mit „Consensus“ und „Metanoia“ sind zumindest zwei Songs auch vom Vorgängeralbum Triangle dabei. Ein besonderes Special bietet der letzte Song, bei dem Th.oth XIX einen überraschenden Gastauftritt hat. Er fügt sich super ein, und die dazu wieder vom Sänger gespielten Ritual-Drums sorgen für einen gelungenen Abschluss des Auftritts, nach dem Schammasch völlig zu Recht vom Publikum gefeiert werden, obwohl sie sich von Black Metal wegbewegen in Richtung Dark Ambient Metal.

_DSC7048Die Spannung steigt nun spürbar, denn die Umbaupause macht heute ihrem Namen alle Ehre. Das Schlagzeug von Schammasch wird abmontiert, dafür wird dasjenige von Batushka am rechten hinteren Bühnenrand aufgebaut und das Hintergrundbanner mit einer großen Ikone aufgezogen. Es werden rote Brokatteppiche mit eingewebten goldenen Kreuzen ausgerollt und zentral mit dem gleichen Stoff ein Altar errichtet, auf dem die gerahmte Ikone von Litourgiya liegt und der mit zwei echten menschlichen Schädeln dekoriert ist. Links und rechts davon werden Opferkerzenständer und mit zusätzlichen Kerzen bestückte Halter für die Weihrauch-Spender aufgestellt. Ganz außen beleucht je ein ewiges Grablicht die Szenerie.
Schließlich erscheint zum Intro mit lithurgischen Mönchsgesängen die erste Kapuzengestalt und entzündet alle Kerzen. Ihr folgen die Musiker und nehmen ihren Platz an den Instrumenten ein. Schließlich schreitet der Sänger bzw. Patriarch Weihrauch schwenkend auf die rot erleuchtete Bühne, im Gefolge die drei Chorsänger. Alle Mitglieder von Batushka tragen die gleiche okkulte schwarze Kapuzenrobe und sind dabei Mönchen nachempfunden barfüßig. Ihre Gesichter sind dabei von einem silbrigen Tuch verhüllt. Nach „Yekteníya 1“ und „Yekteníya 2“ brandet jeweils lauter Applaus auf, wenngleich manchen Besuchern ungläubiges Staunen ins Gesicht geschrieben steht. Die Chormönche spielen zusätzlich kleine Glöckchen, teilweise werden diese mit einem Hammer angeschlagen. Die Mitglieder von Batushka agieren allesamt sehr statisch, der Chor sowieso, aber auch Bassist, Gitarristen und Sänger. Jeder hat seine angestammte Rolle und seinen festen Platz. Aber dies ist auch kein beliebiges Rock-Konzert, sondern eine unheilige Messe. Spätestens nach „Yekteníya 3“ haben Batushka alle in ihren Bann gezogen, denn der Jubel ist noch einmal lauter als zuvor, und ein Meer von Pommesgabeln erstreckt sich Richtung Bühne.
Bei „Yekteníya 4“ entnimmt der Patriarch dem Ständer zwei Opferkerzen und posiert mit diesen hoch über Kopf gekreuzt. „Yekteníya 5“ schließt sich nahtlos an. In den Beifall hinein legt der Patriarch vor „Yekteníya 6“ einen Finger an die Lippen und gebietet der Menge mit einem unerwartet lauten „Pscht!“ zu schweigen. Dafür kommt der Gesang beim Intro jetzt besonders klar rüber. Nicht nur mich fasziniert der schwer schleppende Rhythmus des Chorgesangs von „Yekteníya 7“, der dann auch noch mit Blastbeats seitens des Schlagzeugs angefeuert wird. Bei „Yekteníya 8“ schreitet der Patriarch langsam vor zum Altar und segnet ehrfürchtig die Ikone. Dann dreht er sich damit um und präsentiert sie dem begeisterten Publikum, das seinerseits mit unzähligen Pommesgabeln antwortet. Anschließend verneigt sich der Patriarch mitsamt Ikone vor dem Chor und den Musikern, segnet sie noch einmal und küsst sie, bevor er sie auf den Altar zurücklegt. Nun nimmt er einen Weihwasser-getränkten Besen und spritzt als letzten Gruß damit dreimal in Richtung Publikum, wie es hierzulande oft auch bei Beerdigungen zelebriert wird. Wie sie hereingekommen sind, so schreiten Batushka nacheinander zu lithurgischen Mönchsgesängen erhaben wieder hinaus, nicht ohne sich vorher knapp verbeugt zu haben. Vereinzelt erklingen „Zugabe“-Rufe, doch ich bin froh, dass diese ausbleibt, denn die Show war so absolut perfekt. Was hätten sie denn machen sollen, etwa „Ace of Spades“ covern? Das hätte nur den Gesamteindruck ruiniert. Was man auch nicht vergessen darf, der Auftritt verlangt den Musikern einiges ab. Die Hitze unter den Kutten muss mörderisch sein, und sie haben keine Möglichkeit etwas zu trinken, somit sei ihnen der Abgang gegönnt.

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Fazit: Das war ein sehr abwechslungsreicher Abend mit drei unterschiedlichen Bands, von denen die mittleren Schammasch optimal vermittelt haben zwischen dem Opener Trepaneringsritualen und dem Hauptact Batushka. Die Intensität hat sich von Band zu Band gesteigert. Sicher, wenn man mit derlei Sound wie von Trepaneringsritualen nicht vertraut ist, ist solche Musik für das ungeübte Ohr arg gewöhnungsbedürftig, und da werden sich die Geister naturgemäß scheiden. Dennoch hat Th.oth XIX im Rahmen seiner Möglichkeiten als Ein-Mann-Projekt eine mehr als ordentliche Show geboten, denn auf seine Art hat der Mann eine genauso düstere Messe abgehalten wie die anderen beiden Bands, von einer musikalischen, inhaltlichen und menschlichen Intensität, wie man sie selten findet. Und dem Applaus am Ende nach zu urteilen hat er damit sicherlich einige neue Fans hinzugewonnen.
Schammasch präsentieren sich musikalisch deutlich gereift, weg vom klassischen Black Metal, dafür mit perfekt integrierten ruhigen Parts und stellenweise Klargesang, eher Dark Ambient Metal also. Auch die sakral angehauchte Show mit den langen Mänteln als Bühnenoutfit kann sich sehen lassen, und so kommen sie beim Publikum völlig zu Recht sehr gut an.
Batushka agieren zwar im Grunde genommen wie schon erwähnt sehr statisch, liefern aber trotz des noch jungen Jahres wohl auch den Auftritt des Jahres, denn der war einfach perfekt. Perfekte Lichtshow, perfekter Sound, perfekte Gesamtinszenierung, ein wahrer (Weih-)Rausch für alle Sinne. Egal, was da noch alles kommt und egal in welcher Musikrichtung, diese Show insgesamt zu toppen wird schwer sein. Da ich vorn stand und entsprechend viel eingeatmet hatte, hatte ich tatsächlich am nächsten Tag einen Weihrauch-Hangover.
Aber wohin soll die Reise nun mit Batushka gehen? Das Gesamtpaket Litourgiya ist einfach ein Meilenstein, den man in dieser Form nicht mehr steigern kann. Und für wirklich große Bühnen sind Batushka nicht gemacht, da wird die Wirkung zwangsweise verpuffen, je weiter man sich von der Bühne entfernt.
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Setlist Batushka:
Yekteníya 1
Yekteníya 2
Yekteníya 3
Yekteníya 4
Yekteníya 5
Yekteníya 6
Yekteníya 7
Yekteníya 8

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