Gorecrusher Tour 2022 – oder:
Nie wieder Klopapier

P1230400Auch der München-Termin der Gorecrusher-Tour ist wie schon so viele andere zuvor zweimal verschoben worden, doch heute findet das Grind-Fest endlich statt. Grindcore, das ist doch irgendwas mit Grunzen und einem damit verbundenen Höllenlärm? Ich muss ehrlich zugeben, das Genre ist (von Napalm Death einmal abgesehen) relativ neu für mich. Ich habe in letzter Zeit viel Crust Punk gehört, und so bin ich irgendwann auf das Obscene-Extreme-Festival in Tschechien gestoßen, von dem es etliche faszinierende Videos auf YouTube gibt. Auch alle drei Bands des heutigen Abends sind dort schon aufgetreten. Zwar erwarte ich heute keine Schlacht der Gummiaufblastiere, dennoch habe ich mir zum ersten Mal seit Pandemiebeginn die Kamera geschnappt, um den Abend festzuhalten. Manchmal muss man eben einfach ins kalte Wasser springen und etwas Neues wagen. Als Warm-Up war ich am Montag zuvor bereits bei Full of Hell, Sanguisugabogg und JAD, wobei Sanguisugabogg meine eindeutigen Favoriten waren. Aber das nur am Rande.

P1230181Überhaupt wollen scheinbar viele neues wagen, denn wegen der regen Nachfrage ist die Show vom Club nach nebenan in die größere Halle verlegt worden. Trotzdem ist es eine halbe Stunde vor Showbeginn gefühlt leerer als Montag im Club zur gleichen Zeit. Doch dann trifft plötzlich eine ganze Gruppe in weißen Maleroveralls ein und macht schon mal direkt Lärm an der Bar. Kurze Zeit später eröffnet das Trio Guineapig aus Rom den heutigen Abend. Nach dem Intro startet das Set mit „Ocular“, und erst anschließend wird das Publikum von Bassist und Sänger Alessio Leocadia kurz begrüßt mit „It’s good to be back in Munich!“ und der zweite Song „Plasmodium“ angekündigt. Im abwechselnden Stroboskop- und Bühnenscheinwerfer-Gewitter rauschen „City of the Monkey God“ und „Maruta“ brachial durch. Denn dem Bandnamen zum Trotz machen Guineapig gar keine niedliche Musik. Nicht ganz unschldig ist daran auch Drummer Giancarlo Apilongi, der erbarmungslos auf die Felle und Becken eindrischt. Der Name entstammt übrigens der japanischen Splatterfilm-Serie Guinea Pig. Nun heißt es: „Get ready to dance to the next one, it’s ‚Cyclopia!'“ Dazu bildet sich dann auch ein erster kleiner Moshpit, wofür sich Alessio mit „Prost“ bedankt, das Augustiner in die Höhe gereckt. Nach dem Intro fordert er bei „Taxidermia“ zum Circle Pit auf, doch dafür sind es einfach noch nicht genügend Leute. Aber bei „Project sunshine“ entert ein Typ die Bühne, um seine knielangen Dreadlocks umherzuschleudern.

P1230240„The next one is from our split with Rompeprop“, was einige direkt mit begeisterten Zurufen quittieren. „It’s called ‚Spine-covered larva‘!‘ Er peitscht die Menge an, die gut gelaunt im wachsenden Pogo abgeht. Zu „Rice blast fungus“ gibt Gitarrist und Sänger Francesco Argentini ein besonders tiefes Grunzen von sich, was spontane „Hey! Hey!“ Rufe auslöst. „The next one is from our new album Parasite, it’s called ‚Zatypota‘!“ Dazu bildet sich vorn vor der Bühne eine Riege aus echten Headbängern, die ihre Mähnen zu dem schleppenden Rhythmus schütteln, ein schöner Anblick. Auch der Rastaman mischt wieder mit, aber natürlich auf der Bühne. „Grazie mille!“ Auf „Coccobacilli“ folgt „Epidemic“, zu dem sich ein halbherziger Circle Pit bildet. Aber nachdem Alessio interveniert, geht es ordnungsgemäß rund gegen den Uhrzeigersinn. „Thanks guys! Thanks for having us! We play the first song from our new album, it’s called ‚Mermaid‘!“ Und diese wird ordentlich abgefeiert, bevor sich Alessio vor dem letzten Track „Terminator mosquito“ beim Backstage und beim Merchandiser am Ende der Halle bedankt. Und ans Publikum gerichtet: „Show us some love!“, das daraufhin noch einmal einen Circle Pit hinlegt, und die Dreads fliegen auch noch mal auf der Bühne. Direkt im Anschluss knallt harter Party-Techno aus den Boxen, der mit Death-Metal-Growls unterlegt ist. Dazu wird dann auch das obligatorische Band-Selfie inszeniert. Doch dann wechselt die Musik beginnend mit „C’mon everybody“ von Eddie Cochran zu klassischem Rock ’n‘ Roll, und die Umbaupause beginnt.

P1230533Der Boden ist bereits übersät von Klopapierfetzen, dabei steht der eigentliche Einsatzzweck erst bevor. Die weißen Maleroveralls bringen sich schon mal strategisch in Stellung, denn Gutalax aus Křemže in Tschechien sind bereits in zivil auf der Bühne und machen noch einen Soundcheck bevor es losgeht. Das erste Frosch-Grunzen von Sänger Martin Matoušek löst bereits frenetischen Jubel aus, wie soll das erst bei der Show werden? Dann gurgelt er „Happy birthday“, und die Menge ruft begeistert: „Gutalax! Gutalax!“ Doch erst müssen sich die Jungs noch umziehen. Dazu läuft als Intro: „Woo-hoo! Woo-hoo! Have a great good time, come on!“, zu dem die Bühne in passenden 70er-Disco-Strahlen erleuchtet. Es herrscht bereits Partystimmung, als Gutalax schließlich als Kanalreinigungstruppe ganz in weiß erscheinen, spooky ist dabei vor allem die Chemie-Gasmaske von Gitarrist Tomáš Kojas Anderle. Bassist Pavel Troup begnügt sich mit einem Basecap, und Drummer Petr Svoboda verzichtet ganz auf schmückendes Beiwerk. Die erste Klorolle fliegt auch schon kometengleich auf die Bühne. Sänger Martin, mit einer Schweißer-Schutzbrille ausgestattet, verbeugt sich zum Dank. „This one’s called ‚Diarrhero‘, lets fuckin‘ dance together!“ Die Töne, die er fabriziert, sind faszinierend, eine Art Frosch-Quaken mit der Intensität von Hundegebell. Von jetzt auf gleich kocht die Stimmung, und die zahllosen in die Höhe gereckten Klobürsten dienen nun als Rettungsanker im Mosh Pit. Nun begrüßt Martin das Publikum: „We are Gutalax from Czech Republic! It’s so good to be back!“ Die nächste Klorolle verfehlt ihn nur knapp, segelt aber mit einem eleganten Kick in hohem Bogen zurück in die Menge. Der erste Maleroverall tanzt schon auf der Bühne und will diese offenbar gar nicht mehr verlassen. Aber da er eh‘ wie der Rest der Band aussieht, fällt das auch nicht weiter auf. „This one is from our Shit beast album!“, kündigt Martin den nächsten Song „Nosím místo ponožky“ an. Bei „Poopcorn“ und „Šoustání“ geben sich die Bühnentänzer quasi die Klinke in die Hand, auch der Dread-Man ist natürlich dabei. „The next one is very special because it’s really old. This one’s called ‚Robocock‘!“ Und während er noch ein „Rock ’n‘ Roll!“ hinterherbrüllt, hat sich längst ein riesen Circle Pit etabliert aus Menschen, Klopapierrollen und lebenden Toilettenpapier-Mumien, der auch die erste Reihe wegspült. Ich kann mich mit meiner Kamera gerade noch rechtzeitig an den seitlichen Rand retten.

P1230557„Vaginapocalypse“ wird dem Merchandiser gewidmet, und die Bühne wird gestürmt, bis niemand mehr draufpasst. Die Band spielt unbekümmert im Hintergrund weiter, und im unten verbliebenen Publikum zirkuliert mittlerweile auch eine Luftmatratze und eine Aufblasgitarre zwischen den Klobürsten. Also eigentlich fast alles so, wie man es vom Obscene-Extreme-Festival kennt, nur im etwas kleineren Maßstab. Nachdem die Band wieder sichtbar ist, geht es mit dem nächsten Kracher „Total rectal“ weiter. Derart aufgepeitscht heißt es nun: „Are you ready for some wall of death?!“ Die beiden Hallenhälften prallen zu „Fart and furious“ wie ein Tsunami aufeinander, der in Folge gleich wieder etliches menschliches Treibgut auf die Bühne spült. Martin bekommt eine orangefarbene Klobürste geschenkt, was scheinbar eine seltene Farbe ist. Jedenfalls vergisst er freudig kurz seinen Frosch-Text: „Oh, that’s great!“ Nachdem die Bühne wieder geräumt worden ist, stellt er begeistert fest: „Wow! You guys are fucking crazy! Fuckin‘ hell yeah!“ Das Publikum revanchiert sich dafür mit einem anhaltenden „Gutalax!“-Sprechchor. Als nächstes folgt der Hit „Assmeralda“, und damit auch wieder das heute unvermeidliche: Die Bühne wird gestürmt, es ist eine einzige Party. Die Band ist unsichtbar, und der Bühnenrand wird von der Headbanger-Fraktion mit eisernem Nacken xverteidigt. Auf „Shit hit“ folgt „Toi toi“, bevor „Shitbusters“ angekündigt wird: „Let’s fucking rock this place! Come on!“ Also dann, sowohl vor als auch auf der Bühne rotieren die Klobürsten im Circle Pit, und die letzten Klopapierfetzen bilden ein Schneegestöber dazu. „Thank you so much! We have one left!“ Gutalax spielen als Zugabe eine äußerst schräge Version von „Old McDonald has a farm“, bei der das Publikum begeistert mit „Heeya heeya ho!“ antwortet. Ein letztes: „Thank you so much, Munich! Danke!“ von Martin, und damit P1230677endet für die meisten Anwesenden wohl das Konzert des Jahres.

Ein letztes: „Thank you so much, Munich! Danke!“ von Martin, und damit endet für die meisten Anwesenden wohl das Konzert des Jahres. Als Pausenmusik geht es mit Rock ’n‘ Roll nahtlos weiter, und die Bühne und der Hallenboden sieht aus wie so manches Kino in den Achtzigern nach einer ausgearteten Vorstellung der Rocky Horror Picture Show. Bin ich froh, dass ich hier nicht putzen muss.

P1230733Auch Spasm aus dem tschechischen Přerov machen noch einen Soundcheck in ziviler Kleidung. Dabei könnte man als Außenstehende*r fast meinen, bei dem Sound ist doch eh‘ alles egal. Aber es ist erstaunlich, welche Nuancen man in den Lärmwänden wahrnehmen kann. Gerade deshalb ist guter Sound eben wichtig. Schließlich ziehen sie sich zurück zum Umkleiden, derweil ist auch die Halle fast ausgestorben. Die meisten kühlen sich draußen ab. Daher verpassen sie auch den ersten Auftritt von Spasm. Bassist Ivo Kapoun erscheint mit nacktem Oberkörper und kurzen Hosen, Drummer Lukáš Jelínek trägt nur einen schwarzen String-Tanga und eine Lucha Libre Totenkopf-Maske, und Sänger Radim Týn hat sich standesgemäß in einen neongrünen Borat-Badeanzug gezwängt. Dazu trägt er eine Maske mit einem großen Penis auf der Stirn. Mit einem gebrüllten „What the fuck“ startet die Show, und so etwas ähnliches denke ich mir auch bei dem Anblick. Eine Besonderheit bei Spasm ist die fehlende Gitarre, aber Ivo spielt seinen Bass wie eine Gitarre, und das extrem druckvoll. So macht er das nicht nur mehr als wett, er sorgt damit auch für den speziellen Spasm-Sound. Für den ist natürlich auch Radims Gesang wichtig, der die ganze Palette von Schweine-Grunzen bis Frosch-Quaken beherrscht. Als nächstes folgt „Lick your fingers“, die nächsten Songansagen sind für mich leider unverständlich. Aber die Musik treibt die Leute wieder von draußen rein und somit auch die Temperatur in die Höhe, sodass Radim schließlich feststellt: „Es ist heiß heute!“ Er peitscht die Menge an mit Sprüchen wie „Are we too crazy for you?“, und die Leute lassen sich das völlige Ausfllippen im Pit dann auch nicht nehmen. Zwischendrin bedankt sich Radim beim Publikum und bei den Vorbands Guineapig und Gutalax. Den mäßigen Applaus fordert er angemessen zu wiederholen, und nun wird es richtig laut. „Vielen Dank, München!“

P1230850Es folgt eine kleine schöpferische Pause, die Band und Publikum nutzen, um wieder zu Atem zu kommen. Das Tempo und die Temperatur sind schließlich hoch. Mit neuen Kräften geht es im Circle Pit wieder rund, auch auf der wieder einmal gestürmten Bühne. Die nächsten Ansagen gehen leider im Jubellärm unter, aber der Sound bleibt brachial. Ein Typ mit nacktem Oberkörper inszeniert sich auf der Bühne und zeigt der Menge immer wieder seinen tätowierten Rücken, auf dem ein Sensenmann prangt, ein Sons of Anarchy Pseudo-Style. „Schaut her, ich bin cool!“ will er uns wohl sagen. Als er von der Bühne steigen will, wird er von der Band zurückgepfiffen, damit sich Lukáš hinter den Drums es auch noch mal genauer ansehen kann. Alle lachen wegen der Aktion, aber der Sensenmann ist heute glücklich. Es sei ihm gegönnt. Nun hat Radim eine besondere Botschaft: „Suck my dick!“ Dazu springt Rasta-Man sogleich begeistert auf die Bühne. Lange nicht gesehen. „Thank you! The last one tonight!“ Aber das löst wenig Begeisterung aus, also besser noch mal nachfragen: „Are you ok?“ – „Yeah!“ – „Ok, ok!“, und noch einmal geht es rund, wiederum vor und auch auf der Bühne. „Thank you! Good night! Show us your hands!“ Da tatsächlich so ziemlich alle Hände oben sind, gibt es auch noch eine Zugabe, die ohnehin energisch von der Menge mit lautstarken Rufen gefordert wird. „Gib mir deinen Schwanz!“, fordert Radim, P1240043und noch einmal holt er alles aus seiner Stimme raus, und mit einem orgasmischen Schrei endet schließlich die Show. Nun geht direkt die Partymusik wieder an, und alle singen Scooter mit: „Döb döb döp! Döb döb döb dödödöb döb döp!“ Dazu darf natürlich auch ein Band-Partyfoto mit der Menge nicht fehlen. Am Merchstand und auch draußen herrscht noch Gedränge, aber ich muss die S-Bahn noch kriegen.

Fazit: Dass es heute heftig zugehen wird, damit habe ich im Vorfeld gerechnet. Aber dass das oftmals recht reserviert wirkende Münchener Publikum so dermaßen aus der (Klo-) Rolle fällt, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Guineapig haben als Opener alles gegeben, den Leuten mit ihrem Death-affinen Goregrind amtlich eingeheizt und sicherlich neue Fans dazugewonnen. Gutalax sind eindeutig der eigentliche Headliner des heutigen Abends gewesen und haben die Leute bis zur Extase ausrasten lassen. Hier regiert der Fäkalhumor und der höchst eigene Goregrind-Sound. Spasm haben es danach anfangs vergleichsweise schwer, wenn sich alle gerade erst völlig verausgabt haben. Doch vor allem in der zweiten Hälfte der Show reißen sie mit ihrem Porngrind viele wieder mit und sorgen für Bewegung und Begeisterung. Drei Bands, dreimal vierzig Minuten, dreimal Grindcore vom Feinsten.
Das ist insgesamt alles sicherlich kein Sound, den ich mir jeden Tag reinziehen würde. Aber um ab und zu mal die Synapsen völlig freizublasen (oder die verstopften Darmwindungen), ist Grindcore bestens geeignet. Um irgendetwas kaputtzumachen sowieso. Was ich von diesem Abend auf jeden Fall mitnehmen werde: Ich werde nie wieder Klopapier kaufen können, ohne an diesen Auftritt von Gutalax zu denken.
:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Guineapig:
(Intro) Ocular
Plasmodium
City of the Monkey God
Maruta
Cyclopia
(Intro) Taxidermia
Project sunshine
Spine-covered larva
Rice blast fungus
Zatypota
(Intro) Coccobacilli
Epidemic
Mermaid in a manhole
Terminator mosquito

Setlist Gutalax:
Diarrhero
Nosím místo ponožky
Poopcorn
Šoustání
Robocock
Vaginapocalypse
Total rectal
Fart and furious
Assmeralda
Toi toi
Old MacDonald had a farm
Shitbusters

Setlist Spasm:
Sorry. Ask your local frog dealer.

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