Schweißtreibender Abend

Donnerstag, 25. April 2019, ein frühlingshafter, warmer Tag geht zu Ende, die Arbeitswoche dauert schon wieder viel zu lange, heute ist es an der Zeit, sich in der Münchner Backstage Halle die Ohren durchblasen zu lassen und zu tanzen. Dazu eignen sich die angekündigten Bands für heute Abend sehr gut: Aesthetic Perfection als Headliner, als Support Amelia Arsenic, Chemical Sweet Kid und Priest. Alles elektronisch, aber mit völlig verschiedenen Herangehensweisen. Ich bin gespannt!

DSC6040Kurz vor 19.30 Uhr, das Publikum ist noch spärlich, Amelia Arsenic aus Australien will uns mit ihren „harsh beats for dark times“ einstimmen. Die junge langhaarige Blondine geht mit zwei EPs (Queen of risk, Carbon black) an den Start. Viel Platz hat sie auf der bereits für die anderen Bands vorbereiteten Bühne nicht, Amelia bewegt sich deshalb am vorderen Rand und wird unterstützt von einem Computer im Hintergrund und einem Soundpad sowie einem Techniker, der ihr hilfreich zur Seite steht. Ich habe mich vorher auf YouTube eingehört und war wenig angetan. Die Mischung aus Rap, Techno, Metal und Industrial klingt in meinen Ohren nicht wirklich mitreißend. Das Publikum denkt wohl ähnlich, das zeigt auch der zaghafte Applaus nach den jeweiligen Songs. Die wenigen Fans finden sich nur in den ersten zwei Reihen vor der Bühne und tanzen zu den selbstbewusst vorgetragenen Songs. Amelia bangt mit ihren langen Haaren am Rand der Bühne, geht in ihrer Musik auf und freut sich über die gegen Ende ihres Auftritts aufkommenden positiven Reaktionen aus dem Publikum und die einzelnen Anfeuerungen. Nach einer halben Stunde und sieben Songs ist Amelia Arsenic Geschichte an diesem Abend, ich konnte mich nicht mit der für meine Ohren unausgegorenen Musik und der Darbietung insgesamt anfreunden.

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DSC6082Kurze Umbaupause, dann folgt Chemical Sweet Kid, meine Erwartungen waren nicht hoch, allerdings werde ich positiv überrascht beim Live-Gig, der von Julien Kidam (Vocals) und Comte Nefaria am Keyboard, der Kora-Li Louys vertritt, gestaltet wird. Gleich zu Anfang erklingen begeisterte Rufe, allerdings wird „Never enough“ noch zurückhaltend beklatscht. Der Industrial Electro Rock aus Frankreich wird agil dargeboten, Julien läuft einige Kilometer während des Auftritts hin und her und bezieht das Publikum immer wieder ein. Die Songs stammen hauptsächlich aus dem 2017 erschienenen Album Addicted to addiction ( „What the fuck“, „Fuck the rest“, „Ghosts & shadows“, „Lights out“, „That smells like the end“). Der Musikstil erinnert mich sehr an Suicide Commando und die frühen Combichrist, die unter anderem im Netz auch als Bandeinflüsse genannt werden. Genau die Musik, wie wir sie zum Anwärmen für die folgenden Bands brauchen. Die Halle ist immer noch nicht gefüllt, allerdings haben Tanzwillige wie ich dadurch Platz für Bewegung. Der 25-Minuten-Auftritt ist kurzweilig und entlässt mich sehr zufrieden.

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DSC6194Auf den folgenden Act freue ich mich sehr: Priest! Im Vorlauf habe ich darüber einiges gehört, gesehen und für gut befunden: Synthpop gepaart mit catchy Melodien und ganz viel Electronic, das zum Intro um 20.45 Uhr erst einmal nur von den zwei Herren im Hintergrund mit den bekannten Pestarztmasken an den Synths dargeboten wird. Die Band aus Stockholm nimmt mich vom ersten Moment an gefangen. Ihr Frontmann tritt in stacheliger Ledermaske genauso unkenntlich auf. Die obligatorischen Masken sind erst einmal etwas verwirrend, aber ich denke nicht lange darüber nach, die Musik ist viel zu genial. Die Halle ist seit der letzten Pause gut gefüllt, es scheint noch mehr Fans von Priest zu geben. Die Musik – hier vor allem der Ohrwurm „Neuromancer“ – ist eine einzige Einladung zum Tanzen, sie zieht mit und lässt nur sehr wenige Menschen ruhig stehen. Es braucht auch keine Aufforderung zur Stimmungsunterstützung, das erledigt das Publikum ganz von allein durch Mitklatschen und Mitsingen. Die Stimme des (noch recht neuen) Frontmanns Mercury 1.2 hält hohe wie tiefere Töne einwandfrei. Wir bekommen auch den Titelsong der im Mai erscheinenden EP zu hören („Obey“), die Halle brodelt und schwitzt. Der Auftritt ist viel zu kurz, davon kann man gar nicht genug kriegen. 40 Minuten großartiger Electropop sind vorbei (Verlängerung erfolgt dann über die Musik zum Download oder über YouTube). Ich bin begeistert, hoffe auf ein Wiedersehen und jetzt auf den Headliner des Abends.

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DSC6216Das neue Album Into the black von Aesthetic Perfection ist vor kurzem erschienen, aufgrund der Rezension war ich schon sehr gespannt auf den Einbau der Gitarren während des Industrial-Pop-Abends. Den Saitenpart wird Keyboard-Turner und Multiinstrumentalist Elliott Berlin übernehmen, wie ich in einem Interview erfahren habe. Außerdem hat Daniel Graves auch einen ganz besonderen Live-Drummer mitgebracht: Joe Letz von Combichrist! Mit dieser Mannschaft können wir uns auf einen im besten Sinn wahnsinnigen Abend freuen. Pünktlich um 21.30 Uhr übernimmt Aesthetic Perfection die Regentschaft in der Backstage Halle, die Begeisterung steigert sich nochmal im Vergleich zu Priest, und es wird von Anfang an kochend heiß und eng. „Gods and Gold“ eröffnet den Auftritt, Elliott übernimmt hier eindrucksvoll den Part von Herrn Kruspe. Überhaupt Elliott, der Mann ist ein Phänomen an Keyboard und Synths und hat einen sehr hohen Bewegungsdrang, dem er turnend zwischen seinen Gerätschaften nachkommt. Auch ein Theremin (!!) weiß er gekonnt einzusetzen. Der hochmotivierte Auftritt wird natürlich noch unterstrichen vom Mastermind Daniel Graves, der uns mit seinen kurzen Überleitungen auch immer wieder an seinen hervorragenden Deutschkenntnissen teilhaben lässt. Eine Stampfeinladung folgt mit „The Siren“, der Mikrofonausfall zu „Antibody“ wird schnell behoben, und das Publikum reagiert entsprechend: Tanzalarm (eigentlich den ganzen Auftritt hindurch)! Über meinen persönlichen Favoriten „Wickedness“ vom aktuellen Album geht es weiter zu „Rhythm + control“, bei dem Joe außer Rand und Band gerät, es ist herrlich zu beobachten, so viel Spielfreude und -wucht! Weiter geht’s mit neuerem Material: „Never enough“ und „Echoes“. Graves schüttelt immer wieder Hände vom Bühnenrand aus und bezieht durch seine Laufarbeit jede Seite der Halle ein. Nach „Big bad wolf“ entledigt sich wieder jemand seiner Sticks, „No boys allowed“ wird von allen einfach nur abgefeiert, die Halle hüpft quasi geschlossen mit Graves zu „The new black“. Elliott Berlin steht auf seinen Arbeitsgeräten bei „The dark half“, und das Publikum steuert „Hey“-Chöre hinzu. Es herrscht eine mega-gute Stimmung, die man nur mit Bewegung verbinden kann zu Songs, die einfach in die Füße gehen. Man sollte keine „The great depression“ bekommen zum Abschluss des ersten Teils des Konzerts, denn die programmierten Computertöne fordern zu „Zugabe“-Rufen auf, die natürlich erklingen. Daniel Graves ist begeistert über die Stimmung in der Halle („No words how amazing this is“) und beginnt die Zugabe mit Elliott nach einer kurzen technischen Problembehebung mit dem eindringlichen „All beauty destroyed“. Das Publikum geht auf Kuschelkurs, der aber gleich wieder aufgehoben wird durch „Love like lies“, zu dem Joe Letz eine am Bühnenrand gehaltene Tom, die kurzerhand aus dem Schlagzeugkit abgehängt wurde, anfangs energisch bearbeitet. „Spit it out“ bildet den Abschluss des AestheticPerfection-Auftritts. Ihre Neuausrichtung zum Industrial-Pop hin wird großartig aufgenommen, ein tanzfreudiger, begeisternder Gig. Zur Verabschiedung gibt es einen verunglückten Stagedive eines Bühnengastes, der erst beim zweiten Versuch etwas weiter gelingt. Elliott Berlin versucht es auch und wird prompt über den Köpfen durchs Publikum und zurück zur Bühne getragen. Das hat er sich definitiv verdient.

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Ein großartiger Konzertabend, der seinen Sinn voll und ganz erfüllt hat, geht zu Ende. Amelia Arsenic ist Geschmackssache, Chemical Sweet Kid auf jeden Fall des Anhörens und -sehens wert, Priest ein Anwärter auf einen Headliner und Aesthetic Perfection in absoluter Höchstform.

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Setlist Aesthetic Perfection:
1. Gods & gold
2. Inhuman
3. The siren
4. Antibody
5. Wickedness
6. Rhythm & control
7. Never enough
8. Echoes
9. Big bad wolf
10. No boys allowed
11. The new black
12. The dark half
13. The great depression

14. All beauty destroyed
15. Love like lies
16. Spit it out

Bilder: torshammare

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  1. […] Begeisterung war groß nach dem Konzert von Priest in München, deshalb möchte ich sie euch näher vorstellen. Die Synth-Band kreiert Musik, die in […]

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