There are two places you can go: To hell or the hangman
Mit ihrem neuen Album im Gepäck Exile amongst the ruins (Link zur Review) rufen Primordial um Frontmann Alan Averill „Nemtheanga“ zur Heathen-Crusade-Tour, und zahlreich erscheinen die Fans zum Heiden-Kreuzzug, sodass im Gegensatz zur letzten Show 2016 (Link zum Bericht) von der Halle ins doppelt große Werk gewechelt werden muss.
Im Video der ersten Single „Stolen years“ präsentierte sich Nemtheanga ohne Asche im Gesicht, dafür mit Hipster-verdächtigem Bart. Insofern darf man gespannt sein, wie die Show heute ausfällt. Im Vorprogramm spielen die renommierten Der Weg einer Freiheit aus Würzburg und Moonsorrow aus Helsinki. Damit könnte man den Abend als kleines europäisches Festival bezeichnen.
Gegen 19:00 Uhr ist es zunächst noch sehr leer im Werk. Selbst schuld, denn zum einen bieten Primordial gratis Poster an, zum anderen steht Alan Averill höchstpersönlich am Merchandise-Stand und signiert diese bereitwillig und natürlich auch Tonträger auf Wunsch. Aber ohne Kapuze und Asche-Make-up wird er scheinbar ohnehin von den wenigsten erkannt. Um 19:25 Uhr ertönt schließlich bei halb vollem Werk das Intro für Der Weg einer Freiheit, die anschließend das Publikum mit Blastbeats und Stroboskop-Blitzen zur „Einkehr“ vom 2015er Album Stellar einladen. Die zum Gruß erhobene Faust des Bassisten Nico Ziska wird vielfach erwidert. Anschließend begrüßt Sänger und Gitarrist Nikita Kamprad das Publikum: „Schön, dass so viele so früh schon da sind. Wir sind Der Weg einer Freiheit und der nächste Song heißt „‚Skepsis, Part 1′“, und stammt damit vom aktuellen Album Finisterre von 2017. Schade, dass Drummer Tobias Schuler hinten ein bischen im Nebel verschwindet, denn sein Drum-Stil ist außergewöhnlich. Er vollzieht keine weit ausholenden Bewegungen oder theatralische Gesten, wie bei Drummern oft üblich, sondern bewegt sich absolut minimalistisch. Dabei spielt er mit der eiskalten Präzision eines Serienkillers und feuert so die Band von hinten heraus bei ihrem raumgreifenden, aber nicht minder schädelspaltenden (Post) Black Metal an. Das folgende „Zeichen“ vom 2012er Album Unstille beginnt mit einem ruhigen und von Pommesgabeln begleiteten Intro, bevor quasi der Sturm losbricht. In der ruhigen Zwischenpassage reißt es Tobias dann doch vom Sitz, um sich in das allgemeine Posing von Nico, Nikita und dem zweiten Gitarristen Nico Rausch einzureihen. Nun bedankt sich Nikita bei Primodial und Moonsorrow für die Möglichkeit, bei der Tour dabeisein zu dürfen. „Requiem“, noch einmal von Stellar, wird wieder von reichlich Lichtgewitter begleitet, bevor der Song schlussendlich ruhig ausklingt. Mit einem gesprochenen Intro vom Band beginnt der Opener von Finisterre „Aufbruch“, doch leider zeigt sich, dass hier viele nicht bei der Sache sind. Das laute Hintergrundgemurmel der sich unterhaltenden Leute ist dabei schon arg störend. Mit den einsetzenden Instrumenten hat sich das zum Glück erledigt, denn alle legen sich noch einmal richtig ins Zeug und werden verdientermaßen mit ordentlich Applaus belohnt.
In der Umbaupause laufen äußerst merkwürdige Klänge im Backstage Werk, es klingt nach einem Fernsehmitschnitt oder Hörspiel und verdächtig nach Finnisch. Das würde insofern passen, da nun um 20:38 Uhr Moonsorrow aus Helsinki blutbeschmiert die Bühne betreten. Sie haben auch jede Menge Fans mitgebracht, denn sie werden im nun ziemlich gut gefüllten Werk lautstark begrüßt und bejubelt. Mit „Pimeä“ vom 2010er Album Verisäkeet eröffnen sie druckvoll ihr Epic-Heathen-Metal-Set. Gitarrist Mitja Harvilahti spielt mit kreiselnden Armbewegungen, was einerseits etwas übermotiviert wirkt, andererseits aber im Publikum Begeisterungsstürme auslöst und zu einem „Hey Hey“-Sprechchor führt. Sänger Ville Sorvali wischt sich anschließend das Gesicht ab, verständlich bei der Temperatur auf der Bühne; Keyboarder Markus Eurén ist deshalb mal gleich mit nacktem Oberkörper angetreten – ruiniert damit aber auch das Make-up und damit ein bisschen von der Wirkung im Ausdruck. Das ungeheuer vielseitige „Ruttolehto sis. Päivättömän päivän kansa“ vom aktuellen Album Jumalten aika lässt bei den Leuten die Haare fliegen, denn das Stück hat einen coolen Groove und wird mit vertikalen Nebelwerfern optisch schön untermalt. Der zweistimmige „Oh Oh Oh“-Klargesang wird vom Publikum mitgesungen und sorgt für Atmosphäre, denn teilweise klingt das wie mystische Schamanengesänge, was die beiden Gitarristen da zum Besten geben. „It’s good to be back here. We are Moonsorrow! Are you ready for some serious headbanging?“, peitscht Ville das Publikum an, dem nun „Suden tunti“ um die Ohren geblasen wird. Pausen gibt es keine, nur knappe Ansagen in bester finnischer Manier: „How are you tonight? Are you ready to hear some older shit? Maybe even ‚Kivenkantaja‘!“ Das sorgt für Begeisterung und ein Meer aus Pommesgabeln, und viele singen den Songtitel im Text vom gleichnamigen 2003er Album mit, was auch ohne Finnisch-Kenntnisse prima funktioniert. Nach dem intensiven „Mimisbrunn“, ebenfalls von Jumalten aika, wendet sich Ville noch einmal an das Publikum: „Unfortunately everything has to end. One more song! Fifteen minutes! Your fucking despair!“ Nun wird mit „Kuolleiden Maa“ vom Album Varjoina kuljemme kuolleiden maa das unvermeidliche Ende entsprechend lange herausgezögert, das einer breiten Wall of Sound gleicht, bis nach einem furiosen Finale die Musiker nach und nach die Bühne verlassen und ein paar glückliche Fans ein paar Plektren ergattern können.
Ich persönlich kann mit Kreischgesang nicht sonderlich viel anfangen, daher empfinde ich die zweistimmigen Gesangsparts als deutlich intensiver, aber insgesamt kommt der Auftritt beim Publikum sehr gut an, das die Band von vorne bis in die hinteren Reihen abfeiert.
In der nun folgenden Umbaupause stimmen Bassist Pól MacAmlaigh und die beiden Gitarristen Ciarán MacUilliam und Michael O’Floinn ihre Instrumente selbst ein, ohne dass die Menge sonderlich Notiz davon nimmt. Zunächst läuft keine Musik, bis um 22:10 Uhr einsetzende Mönchschöre verraten, dass es gleich weitergeht. Die letzten Arbeiten werden noch schnell verrichtet, dann erlischt das Saallicht, und die Spannung steigt spürbar, denn dieses Intro währt zehn lange Minuten.
Als Primordial endlich die Bühne betreten, ist der Jubel dementsprechend groß, und Nemtheanga sieht zum Glück aus wie immer: in eingegipstes Leder und Lumpen gehüllt, dazu die Kapuze und natürlich das Asche-beschmierte Make-up, sodass er wie ein vorchristlicher Druide wirkt. Statt mit umgedrehtem Kreuz posiert er mit umgedrehtem Mikroständer, und dann rockt die Band los. Dennoch reagiert das Publikum beim Opener „Nail their tongues“ etwas verhalten, der gleichzeitig auch das neue Album Exile amongst the ruins eröffnet. Das neue Material ist vielen sichtlich noch nicht vertraut, aber das ändert sich mit dem Klassiker „Gods to the godless“ vom 2000er Album Spirit the earth aflame, vor dem Nemtheanga die Band zur Begrüßung eigentlich unnötigerweise – aber traditionsgemäß – vorstellt: „We are Primordial from the Republic of Ireland!“ Er nutzt nun die gesamte Bühnenbreite aus, und die Leute brechen wieder in den zuvor geübten „Hey Hey“-Sprechchor aus, und die Pommesgabeln erstrecken sich durch den gesamten Saal bis zur Bar an der Rückwand. Jetzt sind alle im Konzert angekommen, und als Alan ankündigt: „We got a new album out and this… is the title track!“, fliegen vor Begeisterung zu „Exile amongst the ruins“ auch die Haare, bis Nemtheanga zum ruhigen Part mit dem Finger an den Lippen und irrem Blick ins Publikum um Stille bittet. Man spürt instinktiv, wie wichtig ihm und der Band das neue Stück ist, und so halten sich auch die meisten daran, sodass das störende Hintergrundgemurmel ausfällt. Nun bedankt sich Nemtheanga bei „our old friends Moonsorrow and our new friends Der Weg einer Freiheit„, um dann ausgerechnet „No grave deep enough“ vom 2011er Album Redemption at the puritan’s hand anzukündigen. War das etwa ein kleiner Joke? Nichtsdestotrotz steigert er sich mit seinen Gesten während des Songs immer weiter rein und reißt so auch das Publikum mit, bis ihm wegen der Heftigkeit seiner Bewegungen sogar die Kapuze vom Kopf fliegt. Der Reif, der sie eigentlich in Position hält, ist weg und verschwunden. Egal, dann wird sie eben mit auf den Kopf gegossenem Wasser angeklebt. Nun erläutert Nemtheanga den Hintergrund zum nächsten Lied. Im Jahre 1493 hat James Lynch seinen eigenen Sohn Walter gehängt, der aus unerwiderter Liebe zur Haushälterin und Eifersucht gegenüber einem Hausgast selbigen zuvor ermordet hatte. „There are two places you can go: To hell or the hangman!“ Dazu trägt er passend einen Strick um den Hals und peitscht die Menge an: „Let me see your fucking hands!“ Der für mich beste Songs des neuen Albums ist live eine Wucht, und ich habe Gänsehaut, dabei ist es nicht gerade kalt im Werk. Das sind die Momente, für die man auf Konzerte geht.
Das folgende „As Rome burns“ vom 2007er Album To the nameless dead ist zwar etwas weniger intensiv, dafür wird der Song mit einer Feuer imitierenden roten Lichtshow optisch schön untermalt. Auf einen Zwischenrufer reagiert Nemtheanga barsch: „Shut up and listen!“, was für einiges Gelächter sorgt. Er erinnert sich an die erste kleine Show in München „twenty years ago“ und bedankt sich bei allen, die heute das Werk gefüllt haben. Mit „Stolen years“ folgt die ungewöhnlich ruhige erste neue Single, die von der Band schön dargeboten wird und sich gut ins Set einfügt. Etwas irritierend ist jedoch, dass Nemtheanga dabei stellenweise fast über die Bühne schwebt, als ob er Ausdruckstanz geübt hat, aber mit der Ansage zu „Traitors gate“, noch einmal von To the nameless dead, ist er wieder der Alte: „Take one bullet and pull the fucking trigger!“ Hierzu kommen auch wieder die effektvollen vertikalen Nebelwerfer zum Einsatz. Anschließend folgt das Doom-beeinflusste „Upon our spiritual deathbed“, das sich zum schweren Rhythmus der Drums von Simon O’Laoghaire voranschleppt. Mit unermüdlichen Einsatz treibt Nemtheanga die Fans an und bringt diese sogar zum Mitklatschen. Irgendeiner brüllt „Sons of the Morrigan!“ Verständlich, aber es können nicht alle Klassiker an einem Abend gespielt werden, dafür folgt mit „The coffin ships“ vom 2005er Album To the gathering wilderness ein anderer großer. „Is anyone Irish here? Seemingly noone. This is from our tragedy, this is ‚The coffin ships‘.“ Deren Bugwelle spült förmlich über das Publikum hinweg, reißt jeden mit und beschert mir die zweite Gänsehaut des Abends. Gegen Ende des Songs will Nemtheanga den Mikroständer höher stellen, doch der Drehmechanismus klemmt. Das gedankliche „Scheißding!“ kann man für einen kurzen Moment in seinem Gesicht ablesen, doch dann überspielt er das aber geschickt und findet eine ausdrucksstarke Pose mit gebeugtem Knie. „When we are on a ‚Heathen Cruisade‘ we should play a song with heathen in it.“ – „Heathen tribes“, brüllt daraufhin jemand im Publikum und greift so Nemtheanga vorweg. Die vorderen Reihen singen den Song mit, und phasenweise schwingt er dazu den Mikroständer über den Graben hinweg.
Zum Abschluss bedankt er sich beim Publikum mit: „Thank you for coming out on a fucking Wednesday!“, und mit „Empire falls“, noch einmal von To the nameless dead, beschließen Primordial das heutige Konzert. Die Theatralik von Nemtheangas Ausdruck ist hierbei noch einmal auf dem Höhepunkt. Die Band steigert sich bis zu einem furiosen und bejubelten Finale, zu dem Nemtheanga den verhassten Mikroständer quer über der Brust zerknickt und wegwirft. Ein letzter Schluck aus der Rotweinpulle, dann ist die Show vorbei. Mittlerweile ist es Mitternacht, und nun heißt es wieder: „There are two places you can go: To hell or the hangman“. Nun, ich füge mit „home“ lieber eine dritte Option hinzu. Beim Warten am Bahnsteig und in der S-Bahn kommt man sich dabei wenigstens vor wie im Wacken Metal Train und kann die Realität noch ein wenig länger verdrängen.
Fazit: Der Weg einer Freiheit machen als Opener alles richtig, bringen das Publikum in Stimmung und gewinnen sicherlich neue Fans hinzu. Den teils euphorischen Reaktionen nach rennen Moonsorrow anschließend nur noch die offenen Scheunentore ein und präsentieren sich als routinierte alte Hasen. Bei Primordial nehmen sich schließlich alle Bandmitglieder wie gewohnt zugunsten von Nemtheanga zurück, der mit seiner Optik und Theatralik stets den Mittelpunkt der Show bildet.
Insgesamt ist das ein gelungener Abend, der eigentlich keine Wünsche offen lässt, wenn man außer Acht läßt, das vom letzten Album Where greater men have fallen kein Song berücksichtigt worden ist. Und dennoch, der letzte bedingungslose Kick ist irgendwie ausgeblieben. Vielleicht war letztendlich mit drei Bands dann doch alles ein wenig lang?
Setlist Primordial:
Nail their tongues
Gods to the godless
Exile amongst the ruins
No grave deep enough
To hell or the hangman
As Rome burns
Stolen years
Traitors gate
Upon our spiritual deathbed
The coffin ships
Heathen tribes
Empire falls
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