Begeisternder Synth-Pop

Draußen herrscht der Oktoberfest-Wahnsinn, der S-Bahn-Verkehr ist mal wieder gestört, und vor dem Backstage steht eine riesige Schlange von Teenagern vor dem Eingang zum Werk – aber SB-Fotografin torshammare und mich kann das nicht schrecken. Wir können das hinter (neben) uns lassen, begeben uns auf kürzestem Weg in die Halle des Backstages und freuen uns auf einen Synth-Pop-Abend mit Mesh, die zuletzt vor zwei Jahren in etwa zur gleichen Zeit in München waren und eine Retrospektive ihres Schaffens für diesen Abend ankündigten. Als Support werden sie begleitet von M.I.N.E, unter anderem mit dem Camouflage-Sänger Marcus Meyn, die dieses Jahr ihr Debüt Unexpected truth within herausgebracht haben. Musik, Licht, Storys und einige Charakterköpfe sind uns wesentlich lieber als das, was da vor der Backstage-Haustür passiert.

DSC_5464Die Halle ist bereits gut vorgewärmt, ob von den bereits Anwesenden bzw. den Nebelschwaden, die über die Bühne wabern (evtl. vom Soundcheck vorher), sei dahingestellt. Pünktlich um 20 Uhr beginnen M.I.N.E mit ihrem Set, ohne große Begrüßung und in rotes Licht getaucht. Marcus Meyn und Schlagzeuger Jochen Schmalbach kenne ich schon, aber wer steht denn da an den Synthies? Volker Hinkel ist das nicht, Daniel Myer (hoch geschätzter Electronic-Musiker aus Leipzig – https://www.facebook.com/danielmyermusic/)? Das kann ja gar nicht sein … oder doch? Mysteriös … aber erst mal zurück zum Auftritt: Von Anfang an flirren die kräftig abgestimmten Synthie-Melodien durch den gut gefüllten Raum und bringen das Publikum bereits mit „MeOrMy“ zum Tanzen. Die Anwesenden kennen das Debütalbum anscheinend, es wird schon mitgesungen. Der Track hat live wesentlich mehr Bums und Wirkung als auf Konserve, das fängt schon sehr gut an. Danach begrüßt der Sänger das Publikum und erzählt, dass es ihm nach dem Auftritt mit Peter Heppner im letzten Jahr viel mehr Spaß macht, mit der eigenen Band auf der Bühne zu stehen (also doch nicht Myer!). Weiter geht’s mit perfekt auf die Musik abgestimmter Lichtshow, stimmigen Synthie-Tönen, mitunter selbstversunkenen Tanzeinlagen von Meyn zu „That smiling face” (ein Camouflage-Cover) sowie den mitreißenden Tracks „The one“ und „Dangerous“. Der melancholische und somit ruhigere Song „Same but different“ nimmt den Schwung aus dem Ablauf, „Shine“, ebenfalls ein Camouflage-Cover, bringt ihn wieder zurück, die Interaktion mit dem Publikum durch den gemeinsamen „ooohhhh“-Chorus funktioniert, und den Klatschaufforderungen wird immer wieder bereitwillig nachgekommen. Das ändert sich auch nicht mit „Things we’ve done“ und erst recht nicht bei „The Great commandment“, dem Camouflage-Hit aus dem Jahr 1988: Es wird mitgesungen und abgetanzt! Nach ca. 40 Minuten endet der Support-Teil, der uns gut eingestimmt hat auf das Folgende. Mir hat M.I.N.E live sehr gut gefallen. Solltet ihr dieses Erlebnis nachholen wollen: Laut Meyn wird es nächstes Jahr eine Headliner-Tour der Band geben!
Aber immer noch steht die Frage im Raum: Myer oder nicht Myer? Ich kann euch versichern: Es war Myer! torshammare hat ihn sofort erkannt und mir nach dem Auftritt meinen Verdacht bestätigt. Nachforschungen haben ergeben, dass er bereits in Erfurt für die Band an den Reglern stand. Herr Meyn, eine Vorstellung der Mitbeteiligten wäre definitiv vonnöten gewesen!

DSC_5689Der Hauptact Mesh hat sein Publikum zur Involved -Retrospective Tour geladen, nach 27 Jahren kann man sich das erlauben. Die aus Bristol stammende Synth-Pop-Band unter der Führung von Richard Silverthorn und Mark Hockings hat einiges an Songmaterial in dieser Zeit abgeliefert, das beweist auch meine Playlist von zehn Alben, die ich mir im Vorlauf wieder mal angehört habe. In der Umbaupause wird zu beiden Seiten der Bühne eine elektronische Projektionsfläche in Betrieb genommen, an der Wand dazwischen wird es Filmsequenzen zu sehen geben. Ein sehr farbenfroher und schöner Videoschnitt wird dann den restlichen Abend dort durchlaufen (Lava, Feuer, Drohnen- und Entenflug).
Um 21 Uhr ist es endlich soweit, eingeleitet von Schlagzeuger Sean Suleman kommen die Musiker auf die Bühne und beginnen mit dem Instrumental „These empty rooms“, im Hintergrund laufen die Namen der Bandmitglieder über die Leinwand. Hockings hat als Frontmann erst zu „Remember who you were“ seinen bejubelten Auftritt – natürlich mit Mütze! Die folgenden zweieinviertel Stunden sind angefüllt mit herrlichen Melodien, immer wieder mal rockig oder auch melancholisch, es ist Zeit für Party, eben Synthpop der ganz großen Klasse. Mir gefallen bei Mesh immer wieder die sehr persönlich wirkenden Lyrics, die musikalische Darbietung in Form von Silverthorn am Keyboard und an der Gitarre, dem Schlagzeuger Sean Suleman (große Klasse!) und Richard Broadhead am zweiten Keyboard ist formvollendet. Der gesamte Auftritt sieht nach Spielfreude und Spaß an der eigenen Musik aus, vor allem wenn Richard Silverthorn vor lauter Begeisterung fast das Keyboard zum Kippen bringt. Mark Hockings ist der gefühl- und kraftvolle, tonhaltende, ausgezeichnete Sänger, den die Jahre und Erfahrung stimmlich reifen haben lassen, das hat sich auch im Verlauf meiner Playlist gezeigt. Das Publikum ist während des gebotenen Mesh-Querschnitts von der ersten bis zur letzten Reihe voll dabei, singt, tanzt und hat Spaß. Wesentlich ruhiger wird es nur zu „I can’t imagine how it hurts“, hierzu gibt es Flüchtlingsszenerien auf der Leinwand zu sehen. Mit „State of mind“ und den folgenden Songs ist die melancholischere Stimmung aber wieder weggeblasen. Mark greift bei „Leave you nothing“ selbst zur Gitarre, bringt sich durch seine selbstverständliche, unkomplizierte Art und Weise in den Fokus und gibt hin und wieder seinen Mannen den Einsatz vor mit „one, two, three, four“, dabei tippt er auf das Mikrofon, es sieht nach einer gewohnten, unkomplizierten Geste aus. Die Menge folgt und unterstützt ihn und Silverthorn immer wieder mit einem mehrstimmigen Refrain-Chor und Klatschen; je weiter der Abend voranschreitet sind auch keine großen Gesten mehr dazu nötig. Nach „Last one standing“ versuchen sich die Vier zu verabschieden, aber nach kurzem Zugabe-Klatschen sind sie wieder zurück und geben mit drei weiteren Songs – darunter das brachiale „Fragile“ –  nochmal ihr Bestes. Bevor danach das Licht wieder angeht, werden Drumsticks und Plektren ins Publikum geworfen.

Fazit: Ein souveräner Support – ein perfekt eingespielter Hauptact. Es gab Synth-Pop im Überfluss, viele selten gespielte Lieder, eine sehr stimmungsvolle Lightshow, kurz, es war ein großartiger Abend!

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist:
These empty rooms
Remember who you were
Involved
Hurt !
Trust you
Open up the ground
Hold and restrain
I can’t imagine how it hurts
State of mind
From this height
In the light of day
Leave you nothing
Step by step
Safe with me
It scares me
Runway
My defender
Firefly
I fall over
The fixer
Friends like these
Born to lie
The trouble we’re in
Last one standing
Z My saddest day
Z Taken for granted
Z Fragile

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