Vom Winde verweht

img_8232Sommerzeit, Festivalzeit, und da ist das Amphi in Köln immer ein Jahreshighlight. Dieses Mal sollte sich einiges ändern: Das gewohnte Gelände am Tanzbrunnen steht nicht mehr zur Verfügung (das Staatenhaus wird umgebaut und war sowieso eine klimatische und bauliche Zumutung), die Veranstalter mussten sich also eine neue Bleibe fürs Amphi suchen. Da das neue Gelände genauso zentral und mindestens so groß sein sollte wie die alte Heimat, gab es da nicht so arg viel Auswahl. Man hat sich schließlich für die bis zu 20.000 Besucher fassende Eishockey- und Konzerthalle Lanxess Arena entschieden, zusätzlich zu einem großzügigen Außenbereich mit zwei weiteren Bühnen. Gute Erreichbarkeit mit den Öffentlichen und zu Fuß auf der Deutzer Rheinseite von Köln, große Parkhäuser und viel Platz – die Beweggründe sind gut nachvollziehbar, skeptisch waren im Vorfeld jedoch viele Besucher. Da half nur der Praxistest – und natürlich wollte ich mir ein liebgewonnenes Festival nicht entgehen lassen.

Auch dieses Jahr gibt es wieder ein „Call the Ship to Port“-Event am Freitagabend, bei dem !distain, ezionogA und als Headliner mit einer Oldschool-Show And One auftreten. Nach zwei Jahren Schiff habe ich mir das dieses Jahr gespart, für mich geht es dann am frühen Samstagnachmittag los. Allerdings mit angezogener Handbremse, denn über ganz Nordrhein-Westfalen liegt eine Unwetterwarnung, in Köln selbst regnet und windet es zum Glück gar nicht so schrecklich, aber die Behörden haben trotzdem für den heutigen Tag alle Außenaktivitäten auf unbestimmte Zeit untersagt. Erst einmal herrscht großes Chaos, keiner weiß, was mit „seinen“ Bands passiert, alles läuft verwirrt und leicht genervt durch die Lanxess Arena (man soll sich zudem auch ausdrücklich drinnen aufhalten). Kein guter Anfang fürs Amphi, kein guter Einstand für die zu diesem Zeitpunkt noch extrem unpersönliche und maximal unschwarze Lanxess Arena. Manche Bands werden hektisch auf einen früheren Slot gelegt (so z.B. Centhron, weshalb viele Fans die Band leider verpassen), manche im Lauf des Tages in die Halle umgebucht, manche können am Sonntag noch eingeschoben werden. Bis dies allerdings klar ist, vergehen diverse Stunden, da man immer noch hofft, die Außenbühnen – samt Händler- und Futtermeile – bald wieder öffnen zu können. Genauso unsicher wie die Wetterlage ist dann leider auch der Informationsfluss, auch wenn die Ansager Oliver Klein, Dr. Mark Benecke und der Tod ihr Bestes tun (wie generell das gesamte Wochenende über), den neuesten Stand der Dinge freundlich und so rasch wie möglich durchzugeben. Dass dies nicht immer zufriedenstellend ist – genauso wenig wie die nicht aktualisierten Infoscreens im Hallenumlauf –, ist sicher der allgemein chaotischen Lage geschuldet, hinter den Kulissen werden sich die Informationen im Minutentakt geändert haben, sodass es sicher schwierig ist, halbwegs verlässliche Angaben herauszugeben.

Ein bisschen mehr im Festival angekommen fühle ich mich, als endlich Bands auf der Bühne stehen – allerdings gibt es auch hier eine Informationspanne. Nicht nur ich bin wahrscheinlich vollkommen verblüfft, als statt dem im Programm stehenden Wesselsky (den ich nicht hätte sehen müssen, aber außer in der Arena selbst konnte man sich am Samstag kaum vernünftig irgendwo aufhalten) plötzlich ohne Erklärung The Other auf die Bühne kommen. Irgendwann gab es wohl mal eine Erklärung, Wesselsky sei krank – man hätte vielleicht auch eine Band von den Außenbühnen nach drinnen legen können statt eine andere unangekündigt zu verpflichten, aber vielleicht hat sich da auch etwas überschnitten. Nun gut, gibt es also eine ordentliche Portion Horrorpunk als Einstimmung, The Other sind ja routiniert und spielfreudig, das kann man sich gut eine Weile anschauen, bis es dann leider ein wenig eintönig wird. Vor der Bühne kommt schon ganz gute Stimmung auf, insgesamt wirkt das Publikum allerdings noch etwas überrumpelt.
img_7886Danach spielen The Crüxshadows, mein erstes kleines Highlight, die eine solide, gewohnt energiegeladene und emotionale Show abliefern. Rogue klettert mangels Gerüst einfach bei jedem zweiten Lied ins Publikum, weitere optische Mittelpunkte sind die beiden Tänzerinnen sowie die beiden Geiger David Wood und JoHanna Moresco. Die Songauswahl geht auf Nummer Sicher, Ohrwürmer wie „Valkyrie“, „Quicksilver“ und die Klassiker „Deception“, „Marilyn my Bitterness“ und „Birthday“ funktionieren einfach immer. Ein schöner Auftritt, der mich langsam ein wenig in Festivalstimmung bringt, bei den nachfolgenden [x]-Rx allerdings für Unmut sorgt, haben die Crüxshadows doch im Eifer des Gefechts ihr ganz normales Set gespielt und damit heillos den neuen, sowieso noch unsicheren Zeitplan durcheinandergebracht. img_7948Die von draußen in die Halle verlegten [x]-Rx können daher nur noch vier Songs spielen, sind verständlicherweise angefressen, stecken diese Energie aber in die Performance, weshalb auch nur vier Lieder Spaß und Dampf machen. „Escalate“, „Warplace“ oder „Stage 2“ heizen dem Publikum ordentlich ein, und man verspricht der Band für nächstes Jahr einen längeren Slot als Entschädigung.
Die nachfolgenden Birthday Massacre fallen für mich leider aus, ein bisschen Frischluft sowie Essen und Trinken wollen organisiert werden, bevor das erste große Highlight des Tages, DAF, ansteht. Die konnten glücklicherweise von der Green Stage in die Halle verlegt werden, was dann auch eine sehr img_7960beeindruckende Kulisse für Gabi Delgado und Robert Hörl abgibt. Voller Innenraum, volle untere Ränge, ein sehr guter, klarer Sound, tolle Lichtshow – DAF sind mit ihren Klassikern wie „Tanz den Mussolini“, „Verschwende deine Jugend“, dem „Sheriff“, „Alle gegen alle“ und natürlich dem „Räuber und der Prinz“ als Zugabe ganz großes Kino für mich. (Die ganze Setlist ist hier zu finden.) Noch besser ist allerdings die ganz beiläufig eingestreute Ankündigung, dass DAF doch nicht entgegen bisheriger Aussagen aufhören werden. Sehr schön!
img_8043Danach folgt mit Agonoize das absolute Kontrastprogramm. Ich habe die Band erst auf dem DMF im April gesehen, weshalb ich mir jetzt nur ein paar Lieder anhöre. Die Halle ist noch voller als bei DAF, die ersten Reihen recken sich genüsslich ins reichlich spritzende Kunstblut, der ganze Innenraum tanzt … ich kann die Faszination von Agonoize immer noch nicht ganz verstehen, aber sie mobilisieren eine ungeheure Energie und Tanzwut beim Publikum, und davor muss man den Hut ziehen. (Setlist)

 

img_8061Die nachfolgenden Goethes Erben vertreiben mich dann allerdings nach ein paar Liedern aus der Halle, mein Geschmack war und ist es nicht, zu viel Theatralik, auch wenn die Musik durchaus ansprechend ist. Oswald Henke und seine Auftritte muss man mögen, den Fans vor der Bühne gefällt es, ich verziehe mich zu einer Frischluftpause nach draußen, schließlich warten danach noch die Co-Headliner des Abends, Front 242. Nach dem Auftritt vom letzten Jahr, der ja wegen technischer Probleme maximal unbefriedigend war, sind nun alle sehr gespannt, wie es heute wird. Die gute Nachricht: Die Technik funktioniert einwandfrei, die Band ist spielfreudig und engagiert, der Sound passt. Wer allerdings auf die großen Hits wartet und tanzen will, wird wohl etwas img_8077enttäuscht. Front sind großartige Soundtüftler und leben das auch auf der Bühne immer mehr aus. Der Auftritt wird also wieder einmal zu einer großen Soundlandschaft mit ungewöhnlicher Songauswahl („Punish your Machine“ zum Beispiel gleich am Anfang), aus der nur wenige bekannte Songs wie „Im Rhythmus bleiben“ oder „Happiness“ (in einer raueren, härteren Version) herausstechen. Auf DEN Ultraüberhit „Headhunter“ verzichten sie selbstbewusst. Die Meinungen über den Auftritt sind geteilt – mir gefällt das alles sehr gut, aber ich habe die Belgier auch schon oft gesehen. Ich kann verstehen, wenn man sich auf ein etwas zugänglicheres Front-Konzert gefreut hat.
Danach stehen noch And One als Headliner auf dem Programm, aber ich mache mich um halb eins auf den Weg in Richtung Hotel. Trotz viel Sitzen in der Halle war der Tag lang, und nachdem einige Bands auf den morgigen Sonntag umgelegt werden konnten, wird dieser auch früher als geplant anfangen.

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