You need more … heavy?

Wie jedes Jahr kredenzt MRW Concert Promotion & Booking dem Free & Easy-Publikum mindestens einen Abend mit ausgesuchten Pagan-Folk-Metalbands, die noch nicht an jeder Milchkanne aufgetreten und demzufolge oft noch ein Geheimtipp sind, noch dazu häufig aus Ländern, die man eher weniger auf der Metal-Landkarte hat. Das sind jedes Mal großartige Abende mit tollen Band-Neuentdeckungen, weshalb ich mich auch sehr auf den heutigen Abend freue, der mit Gruppierungen aus Deutschland, der Inneren Mongolei und Argentinien Großes verspricht.

DSC_8419Pünktlich um halb acht entern die Freisinger Mornir die Bühne der Backstage Halle, und die Publikumskulisse ist zu dieser frühen Uhrzeit schon gigantisch. Der Fünfer wird ab der ersten Sekunde gnadenlos abgefeiert, der knüppelharte Pagan Metal mit Geigenuntermalung macht aber auch verdammt Laune; ich bin schwer beeindruckt. „Entfesselt“, der erste Song, ist hier definitiv Programm, und genau so fliegen um mich herum auch die Haare. Nach Brechern wie „In goldenen Hallen“ oder „Jagd“ folgt mit „Das Licht“ ein brandneuer Titel, der mit seinem langsamen Beginn ein wenig Verschnaufpause gewährt, die aber natürlich nicht lange andauert. „Dämmerstund“ beschließt diesen höchst vergnüglichen Pagan-Metal-Auftritt einer jungen Band, von der man hoffentlich noch viel hören wird. Für daheim sollte man sich dringend die EP Entfesselt besorgen; ein bisschen mehr über die Band gibt es hier bei unserem Band-der-Woche-Interview zu lesen.

DSC_8518Wir bleiben in Bayern, allerdings geht die Reise nach Franken, genauer gesagt nach Würzburg, woher die siebenköpfige Band Dvalin kommt, benannt nach dem Zwerg aus der nordischen Mythologie, der in den verschiedensten Überlieferungen wie der Völuspá oder der Hávamál Erwähnung findet. Zwergenhaft ist an der Band aber gar nichts, im Gegenteil, die Bühne ist voll, zwei Dudelsäcke föhnen einem ordentlich die Haare nach hinten, und Fronter Nico springt raumfüllend herum, als gäbe es kein Morgen. Dvalin spielen nach eigener Aussage Progressive Pagan Metal, und das trifft es auch ziemlich gut. Dudelsäcke und Gitarren machen natürlich ordentlich Dampf, doch damit gibt sich die Band nicht zufrieden – lange Instrumentalparts mit verfrickelten Passagen bestimmen den Auftritt, die sich manchmal nur bedingt zum Bangen eignen. Doch der eingängige Spaß kommt nicht zu kurz, Songs wie „Omen“ oder „Unter den Eichen“ vom Album Aus den Schatten bieten Pagan-Spaß pur. Beim ersten Hören ist diese Soundmischung ein wenig anstrengend, hebt sich aber insgesamt doch wohltuend aus dem manchmal arg gleichlautenden Pagan-Metal-Brei vieler Genrekollegen hervor. Guter Auftritt.

DSC_8741Zur Halbzeit füllt sich die Backstage Halle noch mal ordentlich, denn gleich wird eine wirklich exotische Band auf der Bühne stehen: Nine Treasures aus der Inneren Mongolei, einem autonomen Gebiet in der Volksrepublik China. Die fünf Musiker tragen (bis auf den Drummer) mongolische Gewänder, das normale Metal-Band-Instrumentarium ist um die traditionelle Pferdekopfgeige Morin chuur sowie eine Balalaika ergänzt. Dicht an dicht drängen sich die Zuschauer vor der Bühne, Nine Treasures werden sehnsüchtig erwartet, und ab dem ersten Ton bricht die Hölle um mich herum los. Schon bald zieht sich eine amtliche Polonaise durch die Halle, wer da nicht dabei ist, bangt sich den Nacken kaputt oder springt ekstatisch herum. Die Band gibt höllisch Gas, die Songs sind supereingängig, aber durch die mongolischen Texte, die Pferdekopfgeige und die charmanten Ansagen von Sänger Askhan („It’s cool, right?“ „You need more … heavy?“ „You can jump with us!“) wirklich etwas Besonderes. Schon nach wenigen Songs tropft es von der Hallendecke, keiner, wirklich keiner steht still, die Band hat den Spaß ihres Lebens und gibt alles. Die Melodien sind mongolisch, die Riffs purer Metal – eine hochenergetische Mischung. Die Songauswahl liegt hauptsächlich auf dem Album Nine Treasures (z.B. „Tes River’s Hymn“, der gnadenlose Ohrwurm „Sonsii“, „Praise for fine Horse“ oder „Three Years old Warrior“), eine brandneue Single, „Wisdom Eyes“, gibt es ebenfalls zu hören.
Nine Treasures sind DIE Entdeckung der jüngsten Zeit, Fans von Korpiklaani, Eluveitie und ähnlich hart aufspielenden Pagan-Metal-Bands mit viel Partypotenzial müssen hier definitiv mal reinhören und sich die Band unbedingt live zu Gemüte führen. So eine Stimmung habe ich noch selten erlebt. Ganz, ganz groß!

DSC_8820Danach sind dann doch schon viele erschöpft, ganz früh am Abend ist es auch nicht, sodass die argentinische Formation Skiltron vor etwas gelichteteren Reihen auftritt. Nach dem Wahnsinnsgig von Nine Treasures hätte es jede Band schwer, aber Skiltron um ihren englischen Sänger Martin McManus schlagen sich tapfer und motivieren mit ihrem schottisch inspirierten Power-Pagan-Metal doch noch eine beachtliche Anzahl von Metalheads zum Jubeln. Mir persönlich ist der Power-Metal-Anteil – gerade auch im Gesang – ein bisschen zu ausgeprägt, aber die Band überzeugt auf jeden Fall durch ihre langjährige Erfahrung und vor allem auch durch Dudelsack- und Tin-Whistle-Spieler Pereg Ar Bagol. Songs wie „Bagpipes of War“, „The Bonfire Alliance“, „The Lion Rampant“ oder „Skiltron“ gönnen dem Publikum keine Verschnaufpause, bis das Konzert nach der etwas aus dem Rahmen fallenden Zugabe – dem AC/DC-Cover „It’s a long Way to the Top (if you wanna Rock’n’Roll)“ – schließlich um dreiviertel zwölf zu Ende ist. Skiltron hatten etwas Pech, nach den übermächtigen Nine Treasures noch auf die Bühne zu müssen, aber sie haben ihre Sache wirklich gut gemacht und sind für Power-Metal-Fans mit einem Herz für Schottland eine Empfehlung.

Danach wanke ich mit mongolischen Pferdekopfgeigenmelodien im Ohr beglückt zur S-Bahn. Das war ein wirklich rundum großartiger Abend, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

 

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