Night of the living bass players

Es ist Mittwoch, der Wiesn-Wahnsinn ist in vollem Gange, und das Feierwerk liegt genau im Torkelbereich – es ist also mit erhöhtem Bierzombieaufkommen zu rechnen. Wir hoffen aber, dass uns heute nicht Menschen mit mehr Alkohol als Blut im Körper vor die Flinte – äh Linse und den Stift – laufen, sondern hochkarätige Bands mit dem entsprechend begeisterten Publikum. King Dude ist ein alter Bekannter in München, nach Konzerten in der Milla und im Backstage Club (so war es z. B. letztes Jahr) bittet er heute in die etwas größere (aber weniger gemütliche) Kranhalle des Feierwerks, um sein neuestes Düsterwerk Music to make war to vorzutragen – hoffentlich mit den üblichen schlagfertigen Sprüchen garniert. Als Vorband hat er die drei jungen Isländerinnen Kælan Mikla dabei, die sich auch zu äußerst beliebten Stammgästen in Münchens Untergrundclubs entwickelt haben. Statt abgründig-dunkler Wärme wie bei King Dude strahlt ihr Sound zwar eisige Kälte und karge isländische Weiten aus, aber die Mischung ist trotzdem fantastisch, und das SB-Team scharrt schon mit den Hufen – zumal mit The Dark Red Seed noch ein kurzfristig angekündigter besonderer Support Act auf der Bühne stehen wird.
DSC_5777Bei Ankunft im Feierwerk scharren wir allerdings noch recht allein, man kann die Anwesenden um kurz nach halb acht locker durchzählen. Ist die Wiesn doch verlockender? Als um acht dann Tosten Larson – Musiker in King Dudes Band und ein Teil von The Dark Red Seed – allein mit seiner E-Gitarre die Bühne betritt, sind noch deutliche Lücken im Publikum, doch Larson lässt sich davon nicht beeindrucken und präsentiert in sich gekehrt und höllisch intensiv Songs von den bisherigen zwei Veröffentlichungen von The Dark Red Seed. Das aktuelle Album Becomes awake ist seit Mai 2018 erhältlich und auf dem renommierten Prophecy-Productions-Label erschienen – und die wissen, was gut ist. Auf Platte klingt der Sound von The Dark Red Seed voluminös und vielschichtig, psychedelisch und hart, aber auch mit den helleren Melodien indischer, persischer und Roma-Musik – eine perfekte Verschmelzung westlicher und östlicher Einflüsse also. Naturgemäß kann das ein Mann (im Studio gehört noch Shawn Flemming zur Band) mit einer Gitarre nicht 1:1 auf die Bühne bringen, weshalb sich das Live-Set schon von der Konserve unterscheidet – selbst wenn er mit Begleitmusikern auftritt. Langgezogene, psychedelische Gitarrenpassagen, langsamer, akzentuierter Gesang, minimale Kommunikation mit dem Publikum: Das ist erstmal keine leichte Kost, doch die Leute halten tapfer durch und lassen sich von diesem intensiven Drone-Mahlstrom mitreißen, während auf der Videoleinwand im Hintergrund Sonnenstürme und Gasexplosionen riesiger Planeten gezeigt werden, die das hypnotische Potenzial der Musik noch unterstreichen und fördern. Als Tosten Larson zu den letzten Klängen mit seinem Augustiner fast schon schüchtern die Bühne verlässt, gibt es den verdienten Applaus für einen vielseitigen und höchst spannenden Musiker, dessen Platten man unbedingt antesten sollte.

DSC_5897Vom Publikum fast unbemerkt betreten Kælan Mikla kurz darauf im Halbdunkel die Bühne und nehmen ihre Positionen ein. Sólveig Matthildur Kristjánsdottir spielt am Keyboard schließlich zum Intro einen recht heftigen Bassbeat ein und übernimmt hier den Gesangspart. Margrét Rósa Dóru-Harrysdóttir mit der Bassgitarre und Sängerin Laufey Soffia tanzen dazu, außerdem flüstert Laufey geheimnisvoll. Alle drei tragen weite schwarze Chiffonkleider, die mit weißer Spitze besetzt sind, was ein schönes 80ies-New-Romantic-Retro-Flair verbreitet. Nach dieser stimmungsvollen Eröffnung starten sie das reguläre Set zu viel Nebel mit „Nornalagið“. Die Videoprojektion im Hintergrund zeigt schwarz-weiße Landschafts- und Personenaufnahmen, die sich in der Mitte spiegeln, sodass ich mich stellenweise an einen Rorschachtest erinnert fühle. Nach dem Beifall bedankt sich Laufey beim Publikum: „Thank you, we are Kælan Mikla from Iceland!“ Nun folgt „Upphaf“, und es zeigt sich, dass die größere Bühne der Kranhalle ihnen zugutekommt. Sie haben zwar bereits mehrfach in München bewiesen, dass sie auch mit sehr wenig Platz auskommen, aber hier können sie sich besser entfalten, und das sorgt für mehr Ausdruck und mehr menschliche Wärme, auch wenn das in Hinblick auf Cold Wave paradox erscheinen mag. Dennoch versetzt mich das folgende „Kalt“ gedanklich zuverlässig in eine kalte und trostlose isländische Einöde und beschert mir eine Gänsehaut. Laufeys klagender Gesang trägt sicherlich seinen Teil dazu bei. Dem lauten Jubel nach bin ich nicht allein mit meinen Gefühlen. Der Bassbeat ist zwar insgesamt etwas zu laut abgemischt und hat auch noch einen Drone-Anteil, dennoch kann ich bei „Næturblóm“ einen JoyDivision-Einfluss beim Bassspiel von Margrét heraushören. Überhaupt ist ihr Umgang mit dem Instrument stets sehr ausdrucksstark, und es ist eine Freude, ihr beim Spielen zuzusehen.
Nun kommt Laufey nach vorn und stellt sich vor das Keyboard: „This is a new song!“ Sie und Sólveig singen sich bei „Skuggadans“ gegenseitig an, während Margrét die Bühnenmitte einnimmt und nun nicht nur optisch, sondern auch akustisch besser zur Geltung kommt. Das honoriert auch das Publikum mit entsprechendem Applaus, und spätestens zum folgenden „Hvernig kemst ég up“ ist so ziemlich jeder am Tanzen. „Óráð“ besitzt heute einen Drumbeat, der eine Mischung aus Duran Durans „Wild Boys“ und New Orders „Blue Monday“ zu sein scheint. Man spürt deutlich, wie Sólveig hinter dem Keyboard sich in dem Sound verliert, auch Margrét steigert noch einmal ihr tolles Bassspiel, und zusammen mit der Stimme von Laufey beschert mir das die zweite Gänsehaut. Sie bedankt sich noch einmal mit: „Thank you, we are Kælan Mikla from Iceland!“ und kündigt einen weiteren neuen Song an. Sie gestikuliert beim Singen von „Andvaka“ ausdrucksvoll mit den Armen, und der Bassbeat unterstützt das Ganze – so sehr, dass das mittlerweile leere Glas von ihr im Rhythmus der Schallwellen auf der Bühne tanzt. Beim letzten Song „Glimmer og aska“ übernimmt Sólveig wieder den Gesang, während Laufey dazu im Nebel wie in einer Beschwörungsformel spricht. Zusammen mit dem archaischen Beat wirkt dies sehr mystisch und geheimnisvoll. Schließlich hebt Margrét den Bass über ihren Kopf und legt ihn langsam ab, als ob sie ein Opfer darbringt. Alle drei knien zusammen und nehmen sich bei den Händen, und damit endet ein beeindruckender Auftritt, der völlig zu Recht vom faszinierten Publikum bejubelt wird. Das war eindeutig die bislang beste Show von Kælan Mikla in München, schade nur, dass es keine Zugabe gibt. Aber das muss man auch erst einmal verdauen und sich während der Umbaupause sammeln.

DSC_6031Die Band um King Dude betritt auch wieder leise die Bühne und sorgt erst einmal für eine kleinere Überraschung, denn sie sind zu fünft und haben eine zweite Gitarristin dabei. Mit „Velvet rope“ als Opener legen King Dude gleich die Schlinge aus, „put it smooth around your throat“, und dann ziehen sie sie fest und die Zuhörer damit in ihren Bann. Schnell einen Schluck Augustiner für Thomas Jefferson Cowgill statt des ebenfalls mitgebrachten Maker’s Mark Kentucky Straight Bourbon, dann geht es auch schon weiter mit „I don’t write lovesongs any more“. War er bislang ungewohnt schweigsam, meint er nun: „It’s good to be back in Munich!“ und scherzt kurz mit dem Publikum. Auf der Leinwand im Hintergrund prangt die ganze Zeit über in einer schwarz-weißen Endlosschleife das Naudiz-Runen-Logo (ᚾ) King Dudes vor einem brennenden Feuer. Das langsame Bassspiel bei „Twin brother of Jesus“ imitiert Glockenschläge und sorgt für eine sehr düstere Atmosphäre. Die Dame an der Gitarre übernimmt die zweite Stimme, und die eingespielten Geräusche klingen irgendwie nach dem Bauhaus-Klassiker „Bela Lugosi’s dead“. Schließlich bekommt der Song mehr Energie, und das hebt den Schlagzeuger bisweilen aus dem Sitz. Mit seiner Frisur und der Brille erinnert er mich an Clark Kent, das Alter Ego von Superman. Das folgende „In the garden“ wird zum Ausgleich recht beschwingt gespielt. Bei „Deal with the devil“ wird Cowgill von einer gehauchten, ätherisch klingenden Stimme der neuen Dame unterstützt, was für einen schönen Kontrast sorgt.
„Death won’t take me“ ist ebenso intensiv, denn die Band zelebriert das Ende des Songs regelrecht, und dementsprechend laut ist dann auch der Applaus. Dank des tollen Bassspiels von Lee Newman besitzt „I wanna die at 69“ einen richtig schweren Sound. Der Schlagzeuger steht sogar regelmäßig auf, um den Schlägen auf die Becken noch mehr Wucht zu verleihen, und beim Refrain verzerrt Cowgill aggressiv das Gesicht. Es scheint ihm wirklich Ernst zu sein, mit 69 den Löffel abzugeben und damit mit Lemmy und Bowie gleichzuziehen. Der Jubel ist nun noch einmal lauter, und Cowgill sinkt erschöpft auf die Knie. Oder ist das nur angetäuscht, denn er nutzt den Moment, um an den Pedals ein paar Justierungen vorzunehmen. Für das folgende „Silver crucifix“ greift Tosten Larson nun zur Gitarre, damit sich die noch unbekannte neue Dame ganz auf den von ihr gehauchten Refrain konzentrieren kann. Nun stellt der Dude auch seine Band vor: Voran die neue Josephine Olivia (die auch schon auf dem neuen Album zu hören ist – Link zur Review), die immer noch glatzköpfige Bassistin Lee Newman, Schlagzeuger August Johnson und Tosten Larson am Keyboard, der ja schon den Abend eröffnet hat. „Jesus in the courtyard“ kündigt der bekennende Luziferianer Cowgill selbstironisch an mit: „I say Jesus almost as often as any christian“ und liefert sich einmal mehr ein Spruchgefecht mit dem Publikum. Larson am Keyboard übernimmt einige Gesangparts während des Songs, der mit einem Aufschrei von Cowgill endet. Anschließend stellt er fest: „Every fun has to end, and this ends here!“ – „Nooo!“ – „But you guys have to work tomorrow!“ Mit dem sehr rockigen „Death before the chorus“ endet das Set vorerst, und die Band verabschiedet sich vom Publikum.
Doch das nun aufgeputschte Publikum fordert energisch nach Zugaben. Die Arbeit kann erst mal warten. Der Dude kehrt allein zurück und setzt sich für die Piano-Ballade „God like me“ mit brennender Zigarette ans Keyboard. Diese erreicht zwar nicht ganz die Intensität wie auf dem neuen Album, das tut der Stimmung aber keinen Abbruch. Vorher erzählt er sehr humorvoll, wie er einmal das Rauchverbot während einer Show in Amsterdam ignoriert hat. „You can’t smoke in here!“ – „Take it from me if you dare. I might do something! … And so this guy walkes across the stage and took it from me.“ Das allgemeine Gelächter ist groß, und so schiebt Cowgill grinsend noch hinterher: „We are friends now!“, was für noch mehr Heiterkeit sorgt.
Er kommt wieder vor zum Bühnenrand: „I don’t know any more songs on piano, I play another one on guitar, ok?“ Beim Stimmen der Gitarre scherzt er wieder mit dem Publikum, bis er schließlich zu „Barbara Anne“ ansetzt, das gerade durch seine Schlichtheit heute enorme Kraft hat, ebenso das folgende „River of gold“, das er mit „Prost!“ und einem großen Schluck Maker’s Mark einleitet. Nun lässt Cowgill das Publikum Wünsche äußern, und eine Dame in der ersten Reihe gewinnt mit „Lucifer’s the light of the world“. Ich habe zwar den Eindruck, dass er nur darauf gewartet hat, aber das ist egal. Er gibt jeweils die erste Zeile vor, und das Publikum singt begeistert die zweite Zeile hinterher. Doch das ist noch nicht genug: „Come on, Munich! Let’s do this shit!“ Also singen alle noch lauter, und mit reichlich Applaus endet der Abend nun doch.

Tosten Larson sorgt mit The Dark Red Seed für einen interessanten Auftakt, Kælan Mikla präsentieren die für mich bislang beste Show in München, und King Dude wissen ebenfalls das Publikum zu fesseln. Mein besonderes Lob geht aber heute an Margrét Rósa Dóru-Harrysdóttir und Lee Newman, denn es ist eine Freude, den beiden Bassistinnen bei ihrem ausdrucksstarken Spiel zuzusehen, ohne das in beiden Bands definitiv etwas fehlen würde.
:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Kælan Mikla:
Intro
Nornalagið
Upphaf
Kalt
Næturblóm
Skuggadans
Hvernig kemst ég up
Óráð
Andvaka
Glimmer og aska

Setlist King Dude:
Velvet rope
I don’t write lovesongs any more
Twin brother of Jesus
In the garden
Deal with the devil
Death won’t take me
I wanna die at 69
Silver crucifix
Jesus in the courtyard
Dead before the chorus

God like me
Barbara Anne
River of gold
Lucifer’s the light of the world

Bilder: torshammare

(9246)

1 Kommentar
  1. Manuel Scamorza
    Manuel Scamorza sagte:

    Ich habe diese Review mit großer Freude gelesen, weil Text und Fotos ausgezeichnet die Atmosphäre dieses gelungenen Konzertabends wiedergeben.

Kommentare sind deaktiviert.