Ritt der Engel

Weiter geht’s mit den hochklassigen Metal-Paketen beim Free & Easy, heute stehen Pequod, Angelus Apatrida, EyeHateGod und mighty Napalm Death auf dem Plan. Da muss ich hin, denn: Seit ungefähr 20 Jahren will ich Napalm Death mal sehen. Zugegeben, ich hätte mich energischer dahinterklemmen können, schließlich spielt die Band ja sehr regelmäßig in München und Deutschland generell, aber die Termine lagen tatsächlich immer blöd für mich. Heute soll es schließlich so weit sein, doch ich bin zwar da, die Band aber nicht. Was ist passiert? Der Streik des Lufthansa-Bodenpersonals und gestrichene Flüge nach München und Frankfurt. Napalm Death sitzen in England fest. Mist! Aber die anderen drei Bands werden spielen, insofern wird der Abend schon vergnüglich werden. Das denken sich zum Glück auch viele andere Metalheads, sodass sich das Werk trotz der bedauerlichen Absage des Headliners schon sehr früh eindrucksvoll füllt. Mrs.Hyde und ich sind gespannt!
DSC_1462Los geht’s mit den Lokalmatadoren von Pequod, die Hälfte der Band kommt gerade frisch aus der Quarantäne, auch die Stimme von Sänger Roland klingt eine Winzigkeit angeschlagen, aber: Des werd scho! Kurz wird noch geklärt, ob auch wirklich alle wissen, dass Napalm Death nicht spielen, und man bedankt sich, dass jetzt schon so viele da sind. Na klar, denn Pequod machen mit ihrem astreinen Thrash immer Spaß, weshalb man sich im Publikum schon bei den ersten Songs wie „Flaying demon“ oder „Spineless“ engagiert warmbangt. Auch ein erster vorsichtiger Moshpit bildet sich, der mit der Zeit immer größer wird. Nach so viel Spaß heißt es dann allerdings: „Auf zu ernsteren Themen – geht’s euch guat? Ok, das war jetzt nicht ganz so ernst.“ Das ernste Thema kommt aber noch, denn der nächste Track „Death 52“ ist zwei guten Freunden der Band gewidmet, die vor zweieinhalb Jahren beide recht kurz hintereinander und beide kurz vor ihrem 53. Geburtstag verstorben sind. Nach diesem Gedenken gibt’s noch ein paar Verbraucherhinweise – „T-Shirts und CDs am Merch, der Rest bald wieder online erhältlich“ – und mit „A hunter’s tale“ und „Pride of creation“ die letzten beiden Songs. Ein letztes Mal sorgt der Running Gag dieses rundum unterhaltsamen Auftritts, „Scream for me, Munich!“, für Gelächter, dann verabschieden sich Pequod. Sche war’s wieder, vielen Dank!
Mrs. Hyde: Sicheres Ding, die Jungs haben es einfach drauf. Da gibt es nichts hinzuzufügen.

DSC_1682Weiter geht’s nach einem atmosphärischen Intro mit den Spaniern Angelus Apatrida, die – wie Death Angel gestern – auch direkt vor Corona das letzte Mal in München gespielt haben. Auch ihnen merkt man die große Freude an, wieder hier zu sein, zum ersten Mal auch auf dem Free & Easy, und entsprechend rasant stürzen sie sich in den Auftritt. Große Spielfreude auf der Bühne, große Posen, das Publikum bangt in der vorderen Werk-Hälfte synchron zu Songs wie „Bleed the crown“, „Of men and tyrants“ oder „We stand alone“. Bis auf den Namen und dass sie Thrash spielen, wusste ich vor dem heutigen Abend kaum etwas über Angelus Apatrida, obwohl sie schon seit 20 Jahren existieren und mit jedem ihrer fünf Alben bekannter geworden sind. Eine echte Bildungslücke, wie ich feststelle, denn die vier Spanier um Sänger Guillermo Izquierdo machen höllisch Dampf und gefallen mir wirklich gut. Nach „Sharpen the guillotine“ wird das obligatorische Band-vor-jubelndem-Publikum-Foto gemacht, bevor bei „You are next“ alle noch mal alles geben. Gracias, das war super!
Mrs. Hyde: Die Band war mir bislang ebenfalls unbekannt, ich bin aber auch kein Dauergast in metallischen Gefilden. Dank des St. Pauli-Shirts im Video von „Indoctrinate“ beim Vorab-Check auf YouTube sind sie mir aber schon mal grundsympathisch. Auch live sollen mich die Spanier nicht enttäuschen, im Gegenteil. Sie fackeln ein wahres Thrash-Feuerwerk ab, und die Show ist ein einziger Höllenritt, der auf einem Blitz zurück ins Jahr 1984 führt. Erinnerungen an die Jugend werden wach, während die Crowdsurfer quasi durch die Bay Area schwimmen. Nur bekämpfen wir heute Abend das Feuer lieber mit Bier statt mit Feuer, denn die rastlosen Engel bringen einigen Punk-Spirit mit. Mein Post-Pandemie-Trauma habe ich im wahrsten Sinne des Wortes bei der Show abgeschüttelt.

DSC_1764Besonders gespannt bin ich danach auf die New-Orleans-Sludge-Legende EyeHateGod, eben wegen des Legendenstatus und auch diverser Stimmen im Publikum, die über die Absage von Napalm Death gar nicht so traurig waren, weil „EyeHateGod eh viel geiler“ wären. Na dann, schaun mer mal. Beziehungsweise „hören wir mal“, denn der rückkopplungslastige Soundcheck geht nahtlos in das rückkopplungslastige Set über (immerhin gehen die Lichter zwischendrin aus), und ich stelle fest, dass man schon ein sehr, sehr, sehr großer Fan von Rückkopplungen sein muss, um bei EyeHateGod in die Ekstase zu geraten, in die die vorderen Zuschauerreihen mit bedächtigem Synchronbangen sofort verfallen. Erwähnte ich eigentlich die Rückkopplungen schon? Es fiept und dröhnt und brummt und kreischt, dass es für Fans von extrasludgigem Sludge eine wahre Freude ist, meine Tasse Tee ist das allerdings ganz und gar nicht, stelle ich fest. Die etwas wirren – oder sagen wir: exzentrischen – Ansagen/Publikumsgespräche von Sänger Mike IX Williams irritieren mich zusätzlich, man versteht auch einfach nicht, was ihm da gerade durch den Kopf schießt, und es ist auch unklar, ob er grade was Nettes oder was Unfreundliches sagt.
Wirklich qualifiziert berichten kann ich hier also leider nicht, Setlist gibt es auch keine. Nachdem aber noch genügend Leute da sind, die sichtlich Spaß an dem Auftritt haben, scheint das im Großen und Ganzen schon so zu sein, wie ein EyeHateGod-Konzert zu sein hat.
Mrs. Hyde: Die Legende ist mir nicht unbekannt, hat mich aber nie sonderlich interessiert. Auch beim nochmaligen Reinhören lässt mich die Musik eher kalt. Aber heute Abend ist irgendetwas anders. Doomnoisesludge klingt zwar irgendwie nach einer neuen Eissorte, beschreibt den Sound aber meiner Meinung nach am Besten. Klar, das ist nicht jedereins Geschmack, und wahrscheinlich ist das auch wieder nichts für mich daheim, doch für den Moment finde ich es großartig, und ich lasse mich durch den Lärm treiben.

Napalm Deaths Auftritt ist sogar kürzer als das legendäre „You suffer“. Trotzdem gilt immer noch: „Nazi Punks Fuck Off!“ Da kann ich Mrs. Hyde nur uneingeschränkt zustimmen! Insgesamt war es ein abwechslungsreicher und spannender Abend, trotz der umständebedingten Absage von Napalm Death und der für mich … interessanten … Erfahrung mit EyeHateGod. Doch Pequod und Angelus Apatrida haben nicht nur bei mir für viel Metal-Glück gesorgt, und das tut ja immer gut.

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