In anderen Sphären

P1130700Für die Kölner Band Holygram hatte ich bereits deren Debütalbum Modern cults rezensiert (Link zur Review), und auch wenn es nicht ganz für die volle Wertung gereicht hatte, bin ich doch sehr gespannt auf die Live-Wirkung der Songs zwischen New Wave und Post Punk, von der ich mir den letzten nötigen Kick erhoffe, der mir noch gefehlt hatte. Im Vorprogramm ist die Ein-Mann-Band Velvet Coat von Abdelkader Ouchène aus Offenbach dabei, von der ich mich unbekannterweise heute einfach mal überraschen lasse, und der außerdem auch noch mit Venstar aktiv ist.
Beim ersten Song präsentiert sich Abdelkader zurückhaltend und zu Boden blickend, die Bühne ist eher dunkel gehalten in schlichtes, rotes Licht getaucht. Er hat jede Menge Effektgräte dabei und einen Laptop, mit dP1130343em er die Sounds steuert, und dazu spielt er live Gitarre. Vor dem zweiten Stück wirft er die Nebelmaschine an, und Effekte und viel Hall bestimmen das Stück. Ist das nun Shoegaze, ist das New Wave? Jedenfalls ist es schwer, dunkel und melancholisch, Musik zum Augen schließen und sich treiben lassen, was viele der Anwesenden auch tun. Der folgende Song bekommt mehr Beat, und Abdelkader bewegt sich mit federnden Schritten geschmeidig auf der Bühne. Überhaupt scheint er nie innezuhalten. Seine Musik kommt mit nur wenig Gesang aus, ist aber sehr atmosphärisch, und die Nebelschwaden unterstützen das. Zum Dank für den Applaus bedankt er sich mit einer angedeuteten Verbeugung. Orgelklänge bestimmen nun den Sound, und ein Schlagzeug gesellt sich später dazu. Für sich allein benötigt er natürlich keine Setlist, aher die meisten Stücke werden von der EP Niemand stammen, die mit neuen Songs ergänzt werden. Vor dem letzten Stück wendet sich Abdelkader ans Publikum: „Ich bin Velvet Coat aus Offenbach, ich hab‘ Platten dabei und CDs. Gleich geht’s weiter mit Holygram.“ Seinen Merchandise-Stand übernimmt er anschließend selbst und steht auch für einen kleinen Plausch zur Verfügung. Es ist ein guter, halbstündiger und atmosphärischer Auftritt, aber ich hätte mir eine Videoleinwand gewünscht, da bei einer Person allein naturgemäß nicht besonders viel passiert, und der Sound auf Dauer etwas gleichmäßig wirkt.

P1130672War es anfangs noch etwas übersichtlich, hat sich der Club mittlerweile optisch gut gefüllt. Die Umbaupause ist zum Glück nicht lang, und so betreten zwanzig Minuten später Gitarrist Marius Lansing, Drummer Sebastian Heer, Bassist Bennett Reimann, Pilo Lenger am Keyboard und Sänger Patrick Blümel die Bühne. Diese wird auch sogleich wie auf dem Albumcover mächtig eingenebelt, sodass man im stockdunklen Club kaum noch etwas erkennt, nur die Notbeleuchtung und die Bar spenden Licht. Holygram eröffnen wie auf dem Album Modern cults mit „Into the void“, das nahtlos in „Modern cults“ übergeht. Blaues Stroboskoplicht strahlt die Jungs seitlich an und sorgt für eine kalte und gespenstische Atmosphäre. Der Sound ist live härter als auf dem Album, was der Musik zugutekommt, wie ich finde. Der Gesang ist geichberechtigt zu den Instrumenten abgemischt, etwas, was mich normalerweise stört. Aber so, dass die Stimme eben nicht etwas lauter ist, fügt diese sich wie ein weiteres Instrument in die Musik ein, und die düstere Gesamtwirkung finde ich grandios. Mit „A faction“ und „Signals“, zu dem das Licht violett wechselt, wird die eingeschlagene Richtung des Albums fortgeführt. Nach dem Beifall bedankt sich Patrick: „Vielen Dank! Wir sind Holygram!“ Er trägt eine runde Sonnenbrille mit blau verspiegelten Gläsern (soweit man das in dem spärlichen Licht erkennen kann) und erinnert mich in dem ganzen Nebel an Andrew Eldritch von The Sisters Of Mercy, und gleichzeitig irgendwie auch an den kurzhaarigen John Lennon. Insgesamt wirkt er so unnahbar, aber nicht unsympathisch. Zeitweise schlägt er mit einem Drumstick auf ein Effektgerät. Marius auf der linken und Bennett auf der rechten Seite spielen konzentriert von Gothic Rock und Post Punk inspiriert ihre Saiteninstrumente und agieren in bester Shoegaze-Manier eher introvertiert. Dazu passt, dass ihre Gesichter beinahe ununterbrochen im Schatten liegen.
P1130833_2_SW„Dead channel skys“ wird passend zum etwas experimentelleren Charakter des Songs mit weißem Strobo untermalt, bevor mit „Hideaway“ einer meiner Favoriten gespielt wird, der nicht nur mich in andere Sphären versetzt. Zusammen mit dem immerwährenden Nebel fühlt man sich fast wie in den Wolken. Der Applaus wird entsprechend mit jedem Song lauter, und die meisten Anwesenden sind mittlerweile am Tanzen. Fast hätte ich Sebastian und Pilo vergessen, aber Schlagzeug und Keyboard sind im Hintergrund der Bühne angeordnet und versinken daher im Schatten und im dichten Nebel. Dabei bestimmen Sebastian, der mit seiner Präzision die Kälte eines Drumcomputers verströmt, und Pilo mit seinen Klangteppichen viel von der charakteristischen New-Wave-Komponente der Band. Nun kündigt Patrick an: „This is a song from our EP.“ Nicht nur das schöne „Daria“ wird von dieser gespielt, sondern gleich im Anschluss auch „Acceleration“. Nach „Still there“ ist der Applaus besonder laut. „Vielen Dank und Dankeschön!“ Weiter geht es mit „Odd neighborhood“, und zum Abschluss nimmt Patrick eines der Effektgeräte bei „Distant light“ in die Hand und bedient es nebenbei beim Singen. Die Band verabschiedet sich knapp und entschwindet im Backstage.
Aber der Jubel ist laut, und kaum, dass die Jungs verschwunden sind, öffnet sich die Tür wieder, und Holygram kehren zurück, noch bevor jemand nach einer Zugabe verlangen kann. Das nun folgende „1997“ ist betörend schön und gleichzeitig sehr düster, mit tollem Bass. „She’s like the sun“ zum Abschluss präsentiert sich noch einmal etwas eingängiger und bildet einen harmonischen Abschluss für den Abend. Patrick verabschiedet sich noch einmal im Namen der Band: „Vielen Dank und gute Nacht!“ Nun fallen auch laute „Zugabe!“-Rufe, nur allzu verständlich, aber Holygram haben bereits ihr komplettes veröffentlichtes Material gespielt, insofern endet der Gig konsequent nach siebzig Minuten. Zur Versöhnung wird quasi als Outro „Such a shame“ von Talk Talk eingespielt, das gleichermassen eine Hommage an Mark Hollis darstellt, der leider drei Tage zuvor verstorben ist.

Fazit: Das ist ein toller Abend mit zwei stimmungsmäßig bestens aufeinander abgestimmten Bands. Velvet Coat bereitet mit dem düsteren Sound die Atmosphäre vor, die Holygram anschließend aufnehmen und fortführen. Beide haben den Hörer ein Stück weit aus der Welt entrückt, zumindest für heute Abend.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Holygram:
Into the void
Modern cults
A faction
Signals
Dead channel skys
Hideaway
Daria
Acceleration
Still there
Odd neighborhood
Distant light

1997
She’s like the sun

(4102)