Der Flügelschlag der Eule

Die Schweizer/Liechtensteiner/Argentinier The Beauty of Gemina fliegen derzeit nicht nur mit der Eule (das gleichnamige neue Album erscheint am 12.10., wir haben schon für euch reingehört ), sondern erleben generell einen phänomenalen Höhenflug. Sie haben sich in den letzten Jahren durch beständiges Touren, viele Festivalauftritte und große Fannähe in die Herzen vieler aufgeschlossener Musikfans gespielt und sich im Lauf der Zeit ihre ganz persönliche Nische im vielfältigen Gothic-Kosmos geschaffen. Dark Country Gothic Blues – mal akustisch, mal hart rockend, immer speziell, immer mit Gänsehautgarantie. Ich freue mich daher sehr, die Band nach ihrem schweißtreibenden Auftritt beim NCN in Deutzen vor ein paar Wochen (bei dem sich traditionell bei „Dark rain“ schon wieder dunkle Wolken zeigten; vor drei Jahren gab es einen amtlichen Wolkenbruch) jetzt schon wieder in München sehen zu dürfen, wo sie Flying with the owl erstmals in Deutschland präsentieren.

DSC_6168Konzerte von The Beauty of Gemina sind wie kleine Familientreffen, und so sehe ich beim Betreten der zum Teil bestuhlten Backstage Halle schon viele bekannte Gesichter, die sich jedes Jahr beim traditionellen München-Abstecher der Band versammeln. Das ist sehr schön und stimmt mich sofort auf den Abend ein. Auf der Bühne ist bereits alles für den intensiven Akustikabend aufgebaut und erinnert mich an das denkwürdige Konzert vom letzten Jahr . Um kurz nach acht betreten die Musiker dann unter tosendem Applaus die Bühne und nehmen ihre Plätze ein: Andi Zuber am Bass wie immer links, Mac Vinzens thront hinter dem beeindruckenden Drumkit, Michael Sele in der Bühnenmitte hinter seinem Mikro, Raphael J. Zweifel am Cello und Ariel Rossi an der Gitarre ganz rechts. Geigerin Eva Wey beobachtet das Geschehen noch aus dem Hintergrund. Also alles wie im letzten Jahr – außer dass der coole isländische Saxophonist Eyjólfur þorleifsson fehlt, was sehr schade ist.
Schon geht es los mit dem „Wood song“, dem abschließenden Instrumental der neuen Platte, und sofort ist sie da, diese ganz besondere Stimmung, die einen sanft in das folgende „Monsters“ hinüberträgt, das ebenfalls von Flying with the owl stammt. Einer meiner Lieblingssongs vom neuen Album, „Again“, rundet den ersten – sehr ruhigen, sehr introvertierten – Songblock ab, dem alle gebannt lauschen. Dann setzt sich Michael Sele hinter das etwas erhöht stehende Keyboard, und schon bei den ersten Tönen ist klar, was jetzt kommt: „Suicide landscape“, der Bandklassiker über die hohe Selbstmordrate in der Schweiz. Normalerweise ein düster-treibender Synthierocker, hier jetzt eine eindringliche Ballade, die sich furios steigert und bei der Eva Wey an der Geige ihre ganze Klasse zeigt. Das vom Album A stranger to tears stammende wunderschöne „Into black“ lässt uns noch einmal träumen, bevor es mit „Crossroads“ beschwingter und country-lastiger wird. Das Calvin-Russell-Cover ist einer meiner Lieblinge auf dem Album Minor sun und transportiert perfekt die „neuen“ Beauty of Gemina: immer noch düster, aber mit diesem ganz besonderen Americana-Einschlag, der einen sofort mitreißt, wie ein Fluss – was hervorragend in den nächsten Song „River“ überleitet, den Eröffnungstrack von Flying with the owl. Das Tempo wird hier zwar wieder etwas herausgenommen, die imaginäre Weite der Landschaft bleibt jedoch bestehen. Zwischendurch meint Michael Sele noch, dass der heutige Abend das dritte Konzert der Tour ist und da normalerweise viel schiefgeht, aber diesmal waren sie schlau und haben erst zwei Konzerte in der Schweiz gespielt, weshalb dieser dritte Abend ja der erste in Deutschland ist … das eigene Austricksen hat bisher auch hervorragend funktioniert, der Auftritt ist jetzt schon perfekt, und dabei noch lange nicht vorbei. Mit „Into my arms“ und „I pray for you“ gibt es wieder zwei Songs vom neuen Album, die live hervorragend funktionieren (vor allem „I pray for you“ war mir auf Konserve einen Tick zu klaustrophobisch) und bei denen alle Musiker ihre Klasse zeigen können. Aber auch den Fans muss ich ein großes Lob aussprechen: Auch wenn die CD offiziell noch nicht erhältlich ist, kennen die meisten Anwesenden die neuen Songs schon (dank Vorab-Download) und lassen sich davon mitreißen. Ob im Sitzen oder im Stehen, viele wiegen sich zu den Melodien und nicken versunken im Takt mit. Das geht auch beim eigentlich sehr wuchtigen „Hunters“ sehr gut, das aber auch akustisch hervorragend funktioniert.
Dann ist es Zeit für eine kleine Lobrede von Michael Sele auf Bassist Andi Zuber, der sich auf einem USA-Trip zum Video der ersten Single „Ghosts“ inspirieren ließ und damit hervorragende Arbeit geleistet hat. Natürlich gibt es „Ghosts“ auch gleich zu hören, ein hypnotischer Song mit starken Americana-Einflüssen, der sofort in die Beine geht. Das Depeche-Mode-Cover „Personal Jesus“ passt da hervorragend dazu, in der BoG-Version bleibt man atmosphärisch gleich im Süden der USA und denkt vielleicht sogar kurz an Johnny Cash. „Mariannah“ ist ein weiteres Highlight des Dark-Country-Blocks, ich muss bei diesem Song einfach tanzen, der zu meinen absoluten Favoriten von The Beauty of Gemina gehört und der naturgemäß auf den Akustiktouren eher gespielt wird als bei den Rockshows. „Tunnel of pain“ kündigt Michael Sele als Herausforderung für die Fans an, denn mit zunehmendem Alter hat er den Blues für sich entdeckt. Doch wir sind hart im Nehmen, so ein bisschen Blues kann uns nicht aus der Bahn werfen, und außerdem sind wir doch schon gut eingegroovt und wippen und tanzen auch hier eifrig mit. „In the dark“ wird uns als kleines Kammerspiel aus Michael Sele, Raphael J. Zweifel und Ariel Rossi präsentiert, aufmerksam lauschen wir der Eule auf ihrem nächtlichen Flug, bevor mit „Shades of summer“ schon der letzte Song angekündigt wird, zu dem noch mal alle Musiker auf die Bühne kommen. Der letzte Song? Nicht mit uns!
DSC_6471Die sechs lassen sich dann auch nicht lange bitten und kommen rasch wieder. Mit Michael Sele am Klavier und Soli von Ariel Rossi und Mac Vinzens lassen wir uns mit ins Dunkel nehmen, und nach „Darkness“ brilliert Eva Wey wieder bei „Endless time to see“. Nacheinander verlassen die Musiker schließlich wieder die Bühne, bis sich nur noch Andi Zuber und Ariel Rossi gegenübersitzen, einander zuspielen und letztendlich auch verschwinden. Das war als Zugabe jetzt aber etwas mager, das Publikum ist noch längst nicht zufrieden, und so bekommen wir noch „Dark rain“ (ohne Regen) zu hören, mit einem mitreißenden Solo von Eva Wey, bevor es mit „Rumours“ und dem wunderschönen „Down on the lane“ wieder etwas ruhiger wird – und plötzlich schon wieder alle gehen! Trotz zweier Zugaben wollen wir nicht, dass dieser Abend endet, und zum Glück kommen Michael Sele und Raphael J. Zweifel noch einmal auf die Bühne, um ihren ersten gemeinsamen Song zu spielen, das Talking-Heads-Cover „Listening wind“. Auch hier beweisen The Beauty of Gemina wieder ihr Händchen für einfühlsame Cover, bevor es mit „Wonders“ dann nun doch den allerletzten Song zu hören gibt.

Nach dem Konzert kommen die Musiker wie immer zum Merch, um sich dort mit den langjährigen und neueren Fans zu unterhalten, für Fotos zu posieren und alles zu unterschreiben, was man ihnen unter die Nase hält. Auch hier fühlt man sich wieder wie bei einem Familientreffen und möchte gar nicht mehr gehen.
Vielen Dank an die brillanten Musiker, die uns wieder einmal einen Abend zum Träumen beschert haben, an Managerin Natalie, die alles so toll und warmherzig zusammenhält, und an die treuen Fans, die zu der einzigartig schönen Stimmung bei den Konzerten beitragen.

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Setlist:
1. Wood song
2. Monsters
3. Again
4. Suicide landscape
5. Into black
6. Crossroads
7. River
8. Into my arms
9. I pray for you
10. Hunters
11. Ghosts
12. Personal Jesus
13. Mariannah
14. Tunnel of pain
15. In the dark
16. Shades of summer

17. Darkness
18. Endless time to see

19. Dark rain
20. Rumours
21. Down on the lane

22. Listening wind
23. Wonders

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