The final countdown? Aber noch lange nicht!

DSC_4663Kennt noch jemand die „Schlager der Woche“, die ab 1981 jeden Freitagabend auf Bayern 3 liefen und vom einzigartigen Thomas Brennicke moderiert wurden? Wenn ja, dann erinnert ihr euch auch sicher noch daran, wie man am Kassettenrecorder klebte und die aktuellen Top Ten mitschnitt, fluchte, wenn der Moderator wieder reinquatschte, und die Kassette dann natürlich doch in Dauerschleife hörte. Ich habe das jedenfalls so gemacht, und so saß ich auch im Oktober 1986 wieder da, als die neue Nummer 1 verkündet wurde, von mir in meinem präpubertären Englisch als „Your Op“ mitgeschrieben, und hatte ein musikalisches Erweckungserlebnis. „The final countdown“ – dieses Intro, diese Stimme, diese Melodie, dieses Solo, einfach alles! Seither liebe ich diesen Song, aber auch die gesamte Band, die in den letzten 30 Jahren ein hervorragendes Album nach dem anderen veröffentlicht hat und zwar mittlerweile kleinere Brötchen bäckt, aber nie weg vom Fenster war. Heute spielen sie im Backstage Werk, haben mit Walk the earth eine klasse neue Scheibe im Gepäck, und ich freue mich wie mein zehnjähriges Ich von 1986 auf diesen Abend.

DSC_4430Wider Erwarten ist das Backstage Werk gar nicht mal so überfüllt, als ich eintreffe, aber das ist mir nur recht, das macht alles entspannter. Nach nettem Plausch mit den anwesenden Fotografenkollegen geht’s pünktlich um acht auch schon los. Über Facebook und Co. hatte man im Vorfeld noch nach einem lokalen Anheizer für Europe gesucht und sich letztendlich für die junge Regensburger Band Black Tape Lion entschieden, über die leider nicht viel zu erfahren war. Die vier Jungs präsentieren sich spielfreudig und tight, rotzen ihren Rock’n’Roll mit einer Prise Alternative Rock engagiert ins Publikum und offenbaren nach ein paar Songs, dass das ja eigentlich erst ihr vierter Gig ist. Chapeau dafür, das wirkt definitiv erfahrener. Das Publikum taut nach einer Weile auch etwas auf und spendet freundlich Beifall, vereinzelt sind nickende Köpfe zu sehen. Ich persönlich finde die Band sympathisch, würde mich aber freuen, wenn sie noch mehr eigenes musikalisches Profil entwickelt, Lieder wie „Cleo“ oder „Bombs“ rocken zwar, bleiben aber noch nicht im Ohr. Die an sich gute Idee, einen allseits bekannten und beliebten Rockmusiker zu covern, um das Publikum anzuheizen, geht leider auch nach hinten los, denn Tom Pettys „Free fallin‘“ ist einfach unantastbar. Aber vielleicht bin ich hier auch zu pingelig, den Leuten scheint es zu gefallen, hier und da wird mitgesungen, und der Applaus ist mehr als nur höflich. Nach zwei weiteren Songs ist der Auftritt dann zu Ende, Black Tape Lion haben sich wacker geschlagen und dürfen sich jetzt erst mal über die Veröffentlichung ihres ersten Albums Run freuen.

DSC_4622Ein bisschen lange dauert dann die Umbaupause bis Europe, zumal es eigentlich gar nichts umzubauen gibt. Die Bühne ist überraschend kahl, zwei, drei zusätzliche Strahler, ansonsten keinerlei Deko, Backdrop oder Sonstiges, was auf die Band hinweist, auf die wir alle warten. Das übernehmen dafür die Hardcore-Fans in den ersten Reihen, die mit selbstgebastelten Bildern und Fahnen ausgerüstet sind und ordentlich Stimmung machen. Endlich, endlich kommen Basser John Levén, Gitarrist John Norum, Drummer Ian Haugland, Keyboarder Mic Michaeli und Sänger Joey Tempest auf die Bühne, auch wenn man sie im Schummerlicht nicht mal sieht, geschweige denn erkennt (bescheidene Schweden mal wieder). Joeys unverwechselbare Stimme beim ersten Song „Walk the earth“ zeigt uns aber, dass wir beim richtigen Gig sind und die hardrockige Zeitreise losgehen kann. Die mit topaktuellem Material beginnt, der zweite Song „The siege“ ist ebenfalls vom neuen Album und rockt fantastisch. „Rock the night“ versetzt das mittlerweile doch ordentlich gefüllte Werk in die erste Klassikerekstase. Weiter geht die wilde Reise durch verschiedene Bandepochen, in der acht Alben abgedeckt werden und (fast) keine Liedwünsche offen bleiben. „Hole in my pocket“, „Last look at Eden“ und „New love in town“ präsentieren Europes aktuellere Seite, die etwas härter und komplexer ausfällt, mit „Firebox“ und „Heart of stone“ geht’s wieder ordentlich zurück in die Bandgeschichte. Bis dahin haben wir alle mitgerockt, mitgebangt, mitgeklatscht, uns von Joey verzaubern lassen, der die Bühnenaction wie immer allein übernimmt und alles mit seinem fröhlichen Grinsen überstrahlt. Keine Spur von Weltstargehabe, einfach ehrliche Rocker, die gute Songs spielen wollen. Gitarrengott John Norum beweist beim herzzerreißend schönen Instrumental „Vasastan“, warum er einer der besten seiner Zunft ist. Zum Heulen schön, und wenn man ihn beim Spielen beobachtet, seine Mimik, seine Haltung, kommt einem dieser scheue, zurückhaltende und ansonsten recht statisch wirkende Mann wirklich nahe. Beeindruckend und ergreifend. Ich vergieße danach gleich einfach noch ein paar Freudentränchen mehr, denn wider jegliches Erwarten spielt die Band mein absolutes Lieblingslied von ihnen, „Girl from Lebanon“ vom Prisoners-of-paradise-Album. Dieses Lied hat damals allen gezeigt, dass Europe soooo viel mehr als Föhnfrisur, Spandex und eine cheesy Keyboard-Fanfare sind, und genau das denke ich mir heute auch wieder. Dieses Gitarrenintro, diese Dynamik, dieser Refrain – das ist zeitlos guter Bluesrock. Damit wir aber nicht zu ergriffen sind, wir sind ja hier schließlich bei einer Rockshow, bollert „GTO“ vom aktuellen Album ordentlich aus den Boxen. „Turn to dust“ und „Sign of the times“ (beide mit tollen Intros von Keyboarder Mic Michaeli) nehmen ein wenig das Tempo heraus, bevor es beim beeindruckenden Solo von Drummer Ian Haugland ein bisschen … interessant wird. Oder hättet ihr ein Drumsolo zu Rossinis „Wilhelm Tell Ouvertüre“ erwartet? Ich auch nicht. Vogelwild und natürlich großartig gespielt, ein echtes Highlight der Show. Überraschend und großartig geht es weiter, „Not supposed to sing the Blues“ ist ergreifend schön, und Joey singt wie ein junger Gott, um dann bei „Scream of anger“ wieder ordentlich loszurocken. „War of kings“ vom gleichnamigen Vorgängeralbum leitet in den großen Klassikerblock über, bei dem die Halle gesammelt völlig ausflippt – also noch mehr als sowieso schon, versteht sich. Bei „Superstitious“ und „Cherokee“ werden alle furchtbar nostalgisch und singen mit, und als nach einer kurzen Pause dann DIE Fanfare ertönt, ist es um alle geschehen. Es ist bewundernswert, dass die Band „The final countdown“ nach diesen vielen Jahren und unzähligen Konzerten immer noch mit so viel glaubhafter Begeisterung und Freude spielt. Ein großartiger Abschluss eines fast zweistündigen Konzertes, das nicht nur ich mit einem Dauergrinsen im Gesicht genossen habe. Tack, Europe:schweden:

P.S. Wer hat’s gemerkt? Ein wichtiger Song hat gefehlt, worüber ich nicht traurig war, aber einige andere …

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Europe:
1. Walk the earth
2. The siege
3. Rock the night
4. Hole in my pocket
5. Last look at Eden
6. New love in town
7. Firebox
8. Heart of stone
9. Vasastan
10. Girl from Lebanon
11. GTO
12. Turn to dust 
13. Sign of the times
14. Ian-Haugland-Solo zu Rossinis „Wilhelm Tell Ouvertüre“)
15. Not supposed to sing the Blues
16. Scream of anger
17. War of kings
18. Superstitious
19. Cherokee

20. The final countdown

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