Lehrstunde in brachialen Emotionen

Wir, Lichtgoettin und torshammare, haben gerade einen richtig guten Lauf an Konzerten mit fantastischen Frontfrauen. Im Februar waren wir bei Wucan, vor einer guten Woche bei Pristine, und heute Abend freuen wir uns ganz besonders auf Avatarium mit ihrer ganz eigenen Mischung aus Doom, 70ies Rock und ein paar Blues- und Americana-Einsprengseln. Die Schweden sind gerade mit Swallow the Sun und Shores of Null auf Tour, ein beeindruckendes Package, das wir uns nicht entgehen lassen wollen. Doch bevor wir das Backstage-Gelände betreten, sehen wir eine sehr, sehr lange Schlange am Einlass und fürchten schon, zu spät in die Halle zu kommen. Zum Glück wollen die Menschenmassen alle nach nebenan zu Subway to Sally, und nach einer moderaten Wartezeit vor unserem Eingang haben wir es geschafft. Dem finnisch-schwedisch-italischen Düster-Doom-Metal-Abend steht nichts mehr im Weg!
DSC_2687Pünktlich um halb acht entern die Italiener von Shores of Null die Bühne der Backstage Halle, die da schon sehr ordentlich gefüllt ist und sich noch weiter füllen wird. Der Fünfer um Frontmann Davide Straccione, der zwischen tiefen Growls und kräftigem Klargesang wechselt, existiert seit 2013 und spielt eine Mischung aus melodischem Black und schwerem Doom Metal, die vom Publikum von Anfang an gut angenommen wird. Vor allem die Männer an den Saiteninstrumenten feuern die Zuschauer*innen unermüdlich an, kommen nach vorn an den Bühnenrand und lassen nebenher auch noch ordentlich die Haare fliegen. Man konzentriert sich auf Songs vom brandneuen Album The loss of beauty (u. a. das melancholische „The last flower“, „A nature in disguise“ oder das schön geknüppelte „My darkest years“), die beiden älteren Veröffentlichungen sind aber auch mit je einem Song („Black drapes for tomorrow“ bzw. „Quiescent“) vertreten. Nach 45 kurzweiligen Minuten und dem obligatorischen Band-vor-Pommesgabel-Publikum-Foto verabschieden sich Shores of Null freudestrahlend und dürfen sehr gern wiederkommen, das war super! (torshammare)

Setlist:
Transitory
Destination woe
Nothing left to burn
Quiescent
The last flower
Black drapes for tomorrow
A nature in disguise
Darkness won’t take me
My darkest years

https://www.shoresofnull.com/
https://www.facebook.com/shoresofnull

DSC_2754Nach ca. 20 Minuten nehmen im Dunkeln die Musiker*innen von Avatarium ihre Plätze ein, erst mit dem Auftritt von Jennie-Ann Smith wird die Bühne beleuchtet. Das anfänglich lieblich klingende „Stockholm“ vom aktuellen Album Death, where is your sting steigert sich am Ende, Gitarrist Marcus Jidell und Bassist Mats Rydström verleihen dem Song die düstere Stimmung, die ihn so eindringlich macht. Keyboarder Daniel Karlsson lässt die Finger über die Tasten fliegen, und Jennie-Ann beweist bereits hier ihre großartige Stimme. Bei „the streets are so cold“ zum Beispiel spürt man geradezu die Kälte und Verzweiflung. Die Klatschaufforderung zum nachfolgenden „Rubicon“ wird bereitwillig von der mittlerweile proppenvollen Halle umgesetzt, Daniel legt sich am Keyboard mächtig ins Zeug. Aber auch das (erste von vielen) Gitarrensolo von Marcus Jidell ist wie zu erwarten vom Feinsten. Wie Jennie-Ann danach erzählt, haben sie uns „a lot of love und music“ mitgebracht, das hoffen wir doch! Ebenfalls vom 2019er Album The fire I long for stammt „Porcelain skull“, bei dem Marcus an der Gitarre wieder brillieren darf und – ebenso wie die gesamte Band – mit lautstarkem Applaus bedacht wird, nicht zum letzten Mal am heutigen Abend. Als Nächstes geht es in der Zeit weiter zurück, 2015 erschien „Pearls and coffins“ (vom Album The girl with the raven mask), es beweist, dass „love not so happy but powerful“ sein und klingen kann. Die Band spielt sich bei diesem Doom-Brecher förmlich in Trance, Marcus kniet sich wahrlich rein, Haare fliegen auf und vor der Bühne, eine tolle Performance und Magie! „God is silent“ vom aktuellen Album setzt da noch eins drauf, und wenn Jennie-Ann den Refrain voller Qual und Emotionen durch die Halle singt, stellen sich einem sämtliche Härchen auf. Dazu noch Marcus’ Gitarrenarbeit, der Song ist wirklich Wahnsinn. Dabei soll auch der großartige Einsatz der übrigen Band (Andreas Habo Johansson an den Drums darf hier nicht vergessen werden!) nicht geschmälert werden, die zum fantastischen Gesamtpaket dazugehört. Begeisterter Jubel brandet auf, für die Band sind das „beautiful noises“. „The fire I long for“ genieße ich einfach und gebe mich der Stimmung und der Musik hin. Der Mitklatschaufforderung zu „Nocturne“ wird nachgekommen, die Musik vibriert in meinem Körper, die Gitarrensaiten flirren nur so. Ein toller Moment! Vor dem schnellen Rocker „Girl with the raven mask“ stellt Jennie-Ann ihre Bandkollegen vor und verkündet, dass sie auch gerne nächste Woche wiederkommen würden. Wir hätten nichts dagegen! Mit diesem Song beweist sie auch wieder, dass sie hohe Töne lange halten kann, ich bin wirklich beeindruckt. Die Energie von der Bühne überträgt sich aufs Publikum, so richtig stillstehen kann hier niemand. Mit dem tonnenschweren wie lieblichen Bandklassiker „Moonhorse“ geht man noch weiter in die Vergangenheit, nämlich zum ersten, selbst betitelten Avatarium-Album. Jennie-Ann streckt die Arme nach rechts und links, bewegt sich geschmeidig, die Musiker geben nochmal alles, und wenn die Gitarre Funken fliegen lassen könnte, würde sie es jetzt tun. Danach ist leider Schluss mit toll. Die Band genießt überglücklich den frenetischen Jubel und verabschiedet sich Arm in Arm.

Was für ein Auftritt! Ich bin hin und weg von Avatarium, gut, das war ich auch schon vorher, aber das bestätigt mich in meiner Meinung. Welch eine musikalische Wucht und dieser perfekt abgestimmte Gesang, von zart zu hart, gefühlvoll und eindrücklich! Ein großartiges Gesamtpaket. Noch dazu war die Halle von einer besonders guten und warmen Stimmung erfüllt, das habe ich so noch nicht oft erlebt. Wie während des Auftritts angefordert, werden die Bandmitglieder am Merchstand zahlreich besucht, es werden Fotos mit den Fans gemacht, Autogramme gegeben, man geht auf Fragen ein, ist sehr kontaktfreudig, eben wie sich das Paar Jennie-Ann und Marcus auch immer wieder auf Facebook präsentiert. Danke für ein großartiges Avatarium-Konzert, danke für die tollen Gitarrensolos, Keyboardeinlagen und Basszugaben. Tack så mycket! (Lichtgoettin)

Dem ist nichts hinzuzufügen. Avatarium werden von Mal zu Mal besser und waren heute geradezu überirdisch gut. Der Erfolg und die euphorische, liebevolle Publikumsresonanz sind so verdient. Tack så jättemycket, Avatarium! (torshammare)

Setlist:
Stockholm
Rubicon
Porcelain skull
Pearls and coffins
God is silent
The fire I long for
Nocturne
Girl with the raven mask
Moonhorse

facebook.com/avatariumofficial
instagram.com/avatariumofficial/
linktr.ee/avatariumofficial

DSC_2906Nach diesem emotionalen, innigen und trotzdem nackenbrechenden Auftritt ist der Abend aber noch nicht zu Ende, denn die finnischen Trauer-Doomer Swallow the Sun stehen noch auf dem Programm. Im Gepäck haben sie – wie auch schon bei ihrem Aufritt auf dem Dark Easter 2022 – das aktuelle Album Moonflowers. Nach dem stimmungsvollen Intro „The fight of your life“ – die Musiker haben mittlerweile ihre Plätze auf der fast stockfinsteren Bühne eingenommen – tritt Mikko Kotamäki unter ohrenbetäubendem Applaus hinter das Mikro und legt mit „Enemy“ los. Klargesang und mächtige Growls, langsame, verträumte Passagen, wuchtige Riffs und eine darauf abgestimmte Lightshow, die vor allem von weiter hinten ihren ganzen Zauber entfaltet, bestimmen die nächste gute Stunde, in der sich Swallow the Sun querbeet durch ihre Bandgeschichte spielen. Brachiale Melancholie („Keep your heart safe from me“, „This house has no home“) wechselt sich mit Zeitlupengänsehaut („Firelights“, „Woven into sorrow“) ab, bevor es mit „These woods breathe evil“ auch was für die Liebhaber der brutaleren Seite von Swallow the Sun gibt. „Swallow (Horror, Part 1)“ vom Debüt-Album The morning never came (2003) beschließt mächtig diesen souveränen Auftritt, der für mich persönlich zwar klitzekleine Längen hatte, für die restliche Halle aber pures Melancholieglück war. Und darauf kommt es ja schließlich an. Ich erfreue mich dafür an der finnischen Rausschmeißerschnulze und schwelge noch ein bisschen im phänomenalen Auftritt von Avatarium. (torshammare)

facebook.com/swallowthesun
instagram.com/swallowthesunofficial/

Ein insgesamt hochklassiger Abend, der drei verschiedene Spielarten von Doom präsentiert hat, drei Bands aus drei Ländern, die alle völlig zu Recht von den Fans abgefeiert wurden. Den ganzen Abend herrschte eine warmherzige, freudige und familiäre Stimmung auf der Bühne wie im Publikum, und das hat man in der Form wirklich nicht oft.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist:
The fight of your life (Intro)
10 silver bullets
Falling world
Keep your heart safe from me
Firelights
New moon
Woven into sorrow
Stone wings
This house has no home
These woods breathe evil
Swallow (Horror, Part 1)

Bilder: torshammare

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