Endspurt! Der vierte und letzte Tag des bisher wirklich großartigen DMF 2015 ist angebrochen, und ich gestehe, dass jetzt doch langsam leichte Ermüdungserscheinungen auftreten. Füße tun weh, der Rücken ebenso, der Kopf ist so voller Eindrücke und Musik, dass eigentlich gar nichts Neues mehr hineinpasst. Gleichzeitig will man aber natürlich nicht schon wieder zurück in die Normalität, sondern das schwarze Wochenende noch ein wenig länger genießen. Daher werden die müden Knochen noch einmal aufgerafft, schließlich stehen auch heute wieder viele spannende Bands auf dem Programm.

dsc_4071Den Tagesopener macht wie gewohnt eine eher rockige Band, die Italiener von Vlad in Tears, die ebenso wie Sündenklang vor zwei Tagen auf eine sehr starke – meist weibliche – Fanbasis zählen können. Dementsprechend voll sind daher um vier Uhr nachmittags die ersten paar Reihen vor der Bühne, weiter hinten sieht es dagegen leider noch sehr leer aus – nach drei Tagen vielleicht aber auch verständlich.
Die Fans bejubeln die Band natürlich, die mit energisch-gefühlvollem Düsterrock und entsprechendem Outfit überhaupt nichts falsch macht. Mich persönlich erreichen sie leider nicht, irgendwie ist mir das Ganze etwas zu beliebig und schon zu oft gehört. Als Aufwärmprogramm für den Tag sind Vlad in Tears aber nicht verkehrt, weshalb letztendlich die nach und nach eintreffenden weiteren Besucher auch durchaus wohlwollend mit dem Kopf nicken. Ein engagierter Auftritt der Band, das Cover von Chris Isaaks „Wicked Game“ hätte man sich allerdings sparen können.

dsc_4154Weiter geht’s in der Garage mit dem Synthiepop-Trio Empire in Dust aus Berlin, das für meine Ohren doch schon deutlich angenehmer klingt. Die Band erfindet das Rad nicht neu, macht ihre Sache aber insgesamt gut. Ein wenig mehr Bewegung auf der Bühne wäre für die Zukunft sehr schön – dass man selbst den wenigen Platz in der Garage ganz gut ausnützen kann, haben andere Bands schon vorgemacht. Die grundsympathische Ausstrahlung der Gruppe macht das aber auf jeden Fall wett, und ein Live-Bass ist für eine Synthiepop-Band definitiv schon mal ungewöhnlich.

 

dsc_4177Elektronisch bleibt es – in der Theaterfabrik stehen gleich Invincible Spirit auf der Bühne, deren alten Clubhit „Push“ wirklich jeder halbwegs schwarz orientierte Mensch kennt und der zuverlässig für volle Tanzflächen sorgt. Dementsprechend gefüllt ist es dann auch vor der Bühne, man freut sich auf alte Klassiker und etwas Bewegung.
Die findet aber zuerst einmal vor dem Publikum statt, allerdings sehr viel weniger enthusiastisch als die meisten Bands des Festivals. Thomas Lüdke spaziert die Bühne auf und ab, als gäbe es Kilometergeld, kann dabei aber leider bei den ersten Songs keine Begeisterung für die eigene Musik oder den Auftritt an sich übermitteln. Seine Keyboarderin bleibt weit hinten in den Schatten der Bühne versteckt und scheint gar nicht wirklich zum Geschehen dazuzugehören, was ich sehr schade finde. Hinzu kommen noch einige ärgerliche technische Probleme, die sicher auch nicht zur Entspannung der Band beitragen.
Als „Irregular Times“ von The Mao Tse Tung Experience angestimmt wird, ist dem Publikum die seltsam emotionslose Bühnenshow aber egal, es wird wie wild im vorderen Hallenbereich getanzt, was dann letztendlich auch die Band etwas lockerer und zugänglicher macht. Nach einigen Songs, darunter das neue Material „Darkeye“ und natürlich „Push“, wirkt das Ganze etwas harmonischer und macht letztendlich dann doch noch Spaß.

dsc_4227Ungleich dynamischer und mitreißender wird es danach in der Garage bei The Saint Paul aus Essen, nachdem ein paar kleinere technische Probleme behoben sind, die allerdings leider während des Auftritts vereinzelt wiederkehren. Etwas irritierend (und für uns Fotografen tatsächlich ein echtes Hindernis) ist die Glastrennwand, die um Drummer Robin herum aufgestellt ist – sowas habe ich noch nie gesehen und bin ein wenig verwundert. Schnell wird jedoch der Blick abgelenkt von dem extrem agilen Sänger Paul Kuhs, der kaum eine Sekunde stillsteht und Songs wie den Opener „Consequence“ voller Leidenschaft rüberbringt. Besonders gefallen hat mir einer der nächsten Tracks, in dem auf das wunderbare „The Sparrows and the Nightingales“ verwiesen wird, habe aber leider den Titel nicht gehört. Falls hier jemand weiterhelfen kann – danke!

dsc_4303Elektronisch und düster wird es in der Theaterfabrik, denn .com/kill, das Seitenprojekt der Diary-of-Dreams-Leute Adrian Hates und Gaun:A, steht auf dem Programm. Doch irgendwas ist anders heute … Adrian Hates muss den Auftritt leider allein bestreiten, da die Kollegen alle krank sind. Schöne Geste, dass er trotzdem nach München gekommen ist und das Beste aus der Situation macht. Auch allein beherrscht der charismatische Frontmann die Bühne und hat neben der Bedienung der diversen elektronischen Geräte auch noch Zeit, etwas herumzuspringen. Mir persönlich gefällt das etwas sperrigere .com/kill-Material besser als die Sachen von Diary of Dreams. „Com/Kill“, „Freaks like us“, „Das Blendwerk“ und sämtliche anderen Songs sind wirklich großartig, und der Auftritt ist viel zu kurz. Adrian hat alles wunderbar und mit größter Seelenruhe gemeistert, aber beim nächsten .com/kill-Konzert sind hoffentlich wieder alle dabei.

dsc_4331Als Nächstes spielen All the Ashes in der Garage, und wer befolgt nicht ihre Devise „Schwarz macht schlank“. Pflichtkonzert also für die Szene, und dementsprechend voll und kuschlig wird es mal wieder in dem kleinen Club. Ich gestehe, nicht viel mehr als den erwähnten Tanzflächenklassiker von ihnen zu kennen, und bin daher gespannt auf das übrige Repertoire. Das steht dem bekannten Song zum Glück in nichts nach, und auch der Song „Implantat“ von der neuen Scheibe Silence kann voll überzeugen. Leider muss ich auch hier ein wenig früher gehen, zum einen, weil es mir zu eng und stickig wird, zum anderen, um pünktlich in die Theaterfabrik zum nächsten Act zu kommen. Ich würde mich aber freuen, All the Ashes mit ihrem zeitlosen Schwarzpop irgendwann noch mal wieder live zu sehen.

dsc_4455Wer kennt Clan of Xymox nicht wenigstens dem Namen nach, wer hat sie nicht schon mindestens einmal live gesehen – eine schwarze Szene ohne den seit einigen Jahren in Leipzig lebenden Holländer Ronny Moorings und seine Truppe ist nicht vorstellbar. Auch hier fehlt ähnlich wie bei Psyche der ganz große Hit, doch die beständig hohe Qualität der Musik zeichnet die Band aus, und live ist das wie ein Treffen mit alten Freunden. Man kann sich von Songs wie „In Love we trust“, dem überirdisch schönen „Emily“, „Louise“ oder „Where are you“ davontragen lassen, tanzen und eine knappe Dreiviertelstunde träumen. Clan of Xymox haben keine große Show nötig, sie selbst und die Musik reichen. Wie immer eine ganz feine Sache.

Die Grausamen Töchter hätte ich mir gern einmal angesehen – und nein, nicht nur wegen der körperbetonten Bühnenshow, sondern als Gesamtpaket aus Performance und Musik. Leider spielen sie in der Garage, und das Gedränge mag ich mir nicht antun. Sorry!

dsc_4510Die nächste Band in der Theaterfabrik wird nicht nur von mir heiß ersehnt, vor allem nach ihrem triumphalen Auftritt auf dem DMF 2014, mit einem noch sichtlich geschwächten Stefan Ackermann, aber umso mehr Leidenschaft. Nachdem man letztes Jahr auf der Außenbühne nicht so lange spielen konnte, gibt es nun sozusagen die Fortsetzung (und Ausnahme der heiligen Regel, keine Band zweimal hintereinander auf dem DMF auftreten zu lassen). Nachdem ich 2014 nur wenig von Das Ich sehen konnte, bin ich heute umso gespannter auf die Performance und Lieder wie „Kain und Abel“, die mich damals mit süßen 16 Jahren zur Gothic-Szene gebracht haben.
Und das Warten hat sich gelohnt, das wird von der ersten Minute an klar. Die rappelvolle Halle bereitet der Band einen lautstarken Empfang, Stefan Ackermann wirkt sehr viel erholter, und Bruno Kramm erkennt man natürlich auch sofort auf der Bühne. Die große Show und die Ansagen überlässt er seinem Sänger, der in seiner Rolle wieder völlig aufgeht, diabolische Grimassen zieht, aber auch charmant und witzig mit dem Publikum kommuniziert, dessen Nähe er mit Ausflügen an die erste Reihe immer wieder sucht. Zu den Songs muss man nicht mehr viel sagen, „Kannibale“, „Kain und Abel“, „Die Propheten“ oder „Garten Eden“ sprechen für sich. Schließlich wird dann auch der schon nach fünf Minuten geäußerte Wunsch eines vorwitzigen Besuchers erfüllt, DER Clubhit „Gottes Tod“. Als Gast wird DJ Rauschi auf die Bühne geholt, der damals als erster DJ das Tape Satanische Verse mit „Gottes Tod“ im Melodrom gespielt und damit den Grundstein für die Karriere von Das Ich gelegt hat. Zuerst noch schüchtern im Hintergrund, später immer selbstbewusster singt er mit Stefan Ackermann zusammen den legendären Refrain. Schöne Geste.
Ausnahmsweise gibt es auch eine Zugabe, über die per Handzeichen abgestimmt wird und ganz deutlich zugunsten vom „Destillat“ ausfällt. Alle Kräfte werden noch einmal mobilisiert, es wird getanzt und gejubelt, als gäbe es kein Morgen, bis diese Reise in die gothische Vergangenheit leider doch irgendwann zu Ende ist. Schön, dass es Stefan Ackermann wieder so gut geht, und danke DMF für diese zweite Möglichkeit, die Band zu sehen!

Als Tagesabschluss steht in der Garage das absolute Kontrastprogramm an, die Luxemburger Neofolker von Rome. Auch hier ist großes Gedränge zu erwarten, mit der Musik tue ich mich wahnsinnig schwer … tut mir leid, hier passe ich ebenfalls. Außerdem gibt es vor dem folgenden Auftritt von Agonoize noch einiges zu erledigen.

dsc_4670Hektische Betriebsamkeit macht sich im Anschluss an den Auftritt von Das Ich auf der Bühne der Theaterfabrik breit, überall werden Plastikplanen ausgelegt und befestigt, und die Security hüllt sich in selbstgebastelte Plastikmäntel. Wir Fotografen tun es ihnen nach und verpacken unsere Kameras und zum Teil auch uns selbst, denn bei Agonoize wird es matschig in den ersten Reihen. Diverse Liter Kunstblut und –sperma hat die Band dabei, was eine ordentliche Sauerei zu werden verspricht. Das Publikum in der ersten Reihe kennt sich aus und trägt extrabillige T-Shirts für den zu erwartenden Spaß.
Brachial geht es dann auch los, allerdings erst einmal musikalisch. Agonoize machen keine Gefangenen, Bühnenshow wie Songs strahlen eine unheimliche – aber auch vollkommen passende – Aggression und Lebendigkeit aus, denen man sich schwer entziehen kann. Selbst wenn man die Band wie ich eigentlich nicht mag, wippt das Bein und nickt der Kopf, es hilft nichts. Was ja nun wieder für die Livequalitäten des Duos spricht.
Ab dem dritten Song beginnt dann der „Blutrausch“, und die Fotografen weichen rasch an die Seiten des Grabens aus. So entgeht man der größten (Kunst-)Blutfontäne, die Sänger Chris L aus seinen aufgeschlitzten Handgelenken spritzen lässt und die eine durchaus beachtliche Reichweite hat. Danach können wir Knipser uns in trockenere Regionen der Halle zurückziehen, die Security muss tapfer aushalten, denn das (Kunst-)Blut ist nicht die einzige Körperflüssigkeit, die später noch zum Einsatz kommt. Ich sehe mir die Show von etwas weiter hinten an und muss sagen, dass ich dann doch wirklich mitgerissen werde. Agonoize wird nie meine neue Lieblingsband werden, aber was Band und Publikum da an Energie nach vier Tagen Festival mobilisieren, ist beeindruckend. Die Halle ist schon etwas leerer, aber dafür haben die restlichen Anwesenden auch genug Platz zum Tanzen und wirklich restlos Ausflippen. Nach der Zugabe und diversen emotionalen Momenten – die Band genießt den Begeisterungssturm des Publikums sichtlich – ist es Dreiviertel eins, das DMF 2015 ist vorbei, die Besucher befinden sich in verschiedenen Stadien der Einsauung und Glückseligkeit, und alle sind irgendwie wehmütig, dass am nächsten Tag die Normalität wieder beginnt.

Fazit: Großartig war’s! Trotz der nicht ganz günstigen Umstände, unter denen das DMF 2015 gestartet ist, haben alle Beteiligten das Beste aus der Situation gemacht und eine große Familienparty gefeiert. Die Bandauswahl war hervorragend, vor allem unter den eher unbekannten, kleineren Gruppen waren echte Perlen, und die etablierten Bands haben meinem Eindruck nach teilweise noch engagierter und leidenschaftlicher gespielt als sonst. Das ist sicher der ganz besonderen Atmosphäre des DMF zu verdanken, das zwar im Vergleich zur Festivalkonkurrenz klein ist, aber wirklich fein. Natürlich wären ein Außenbereich schön, mehr Futter- und andere Stände, gemütliche Sitzbereiche und etwas mehr Flair, als es die Optimolwerke bieten können. Aber München hat nun mal leider wenig Raum für Konzerte abseits des Mainstreams, wenig mittelgroße Hallen, unter freiem Himmel darf nicht jeder Lärm machen … da ist es nicht so leicht, ein viertägiges Festival auf die Beine zu stellen. Dennoch wäre fürs nächste Jahr eine Lösung ohne die Garage als zweite Hauptbühne wünschenswert, da man sich trotz vollen Ticketpreises einfach doch zu viele Bands dort wegen zu erwartender Enge spart oder gar nicht erst in den Club kommt (und wenn man es hineinschafft, sieht man als kleiner Mensch meist nichts).

Ein großer Dank geht an Mucky und das restliche Veranstalterteam für das Durchhaltevermögen, schon zum vierten Mal ein schwarzes Festival mit äußerst namhaften Bands und hervorragenden Neuentdeckungen im verschnarchten München auf die Beine zu stellen.
Ein ebenso großer Dank geht an alle freiwilligen Helfer auf dem Festival, die Security an den Türen und im Graben, die für eine unheimlich entspannte und unkomplizierte Atmosphäre gesorgt haben.
Großartig waren Bands und Publikum – davon lebt ein Festival.
Eine große Freude war auch die Zusammenarbeit mit der übrigen vertretenen Presse – für weitere Bilder (nicht zuletzt von den Besuchern) und andere Blickwinkel auf die Konzerte und das Festival schaut unbedingt auf folgenden Seiten vorbei!

Helge „HR-Pictures“ Roewer: Web, Facebook
Verlorene Seelen, Michael Rothert: Web, Facebook
Ars Imagina: Web, Facebook
Ukrainian Gothic Portal, Daria Tessa: Web, Facebook
Stage Reptiles: Web, Facebook
Viva Music, Vivi Ball: Web, Facebook
Electrocute 2.0: Facebook (Festival Reports)

Bis zum nächsten Jahr!

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