So machen’s die Nordmänner!

Nach zwei Tagen Sightseeing war es Samstag Abend endlich so weit: Ab 20 Uhr öffnete das Folken seine Türen, Black Metal aus Norwegen in Norwegen stand auf dem Programm. Also zehn Minuten vom Hotel zu Fuß, sich auf der Gästeliste abhaken lassen, und rein ins musikalische Vergnügen!

Das Konzert fand im Obergeschoss statt, einem Raum, der etwa halb so groß ist wie die Backstage Halle in München. Der Holzfußboden klebt (obwohl das Bier echt teuer ist, neigen die Metaller in Norwegen dennoch dazu, es fallen zu lassen), an der langen Bar gegenüber der Bühne arbeiten so viele Studenten, dass man selten länger als 30 Sekunden warten muss, um sich für sensationelle 75 Kronen ein 0,4l-Pils zapfen zu lassen, die Bühne ist mit allem Schnickschnack inklusive schwarzem Vorhang ausgestattet, und gegen 21 Uhr soll’s losgehen. Ein Stockwerk höher gelangt man auf eine Galerie, die an diesem Abend nur den Fotografen zugänglich war. A propos Fotos: Nachdem es hieß, wir sollten uns über die Fotoregeln kundig machen, fragten wir uns zu David durch, der im Auftrag des Folken am Knipsen war – und hätten es nicht besser treffen können, denn David kennt alles und jeden und vor allem den Weg hinauf in die Galerie.

Teufelswerk!

Gehenna eröffnen beinahe pünktlich mit ihrem düster-melodischen Sound den schwarzmetallischen Abend, die Bühne ist ganz in dunkelrotes Licht getaucht. Die ersten Lieder gehen ohne Pause direkt ineinander über, was eine unglaublich dichte Atmosphäre erzeugt, die sich sofort wie ein Leichentuch über das gesamte Publikum legt. Das wiederum zollt Gehenna seinen Tribut, denn selten sieht man bei der ersten Band des Abends so viele Haare fliegen. Gut, Gehenna kommen aus der Gegend um Stavanger und haben hier klar den Heimvorteil. Die Herren um Sänger Morten „Sanrabb“ haben mittlerweile über zwanzig Jahre Dienstzeit auf dem Buckel, und das machte sich vor allem in der Songauswahl bemerkbar: Gespielt wurde eine gesunde Mischung aus allen mal mehr, mal weniger melodischen Schaffensperioden, sowohl „Klassiker“ der frühen Alben als auch einige Stücke vom aktuellen, 2013 erschienenen Silberling Unravel. Von Ansagen halten die Herren auch im weiteren Verlauf nichts, und dass sie eigentlich für ein Festival gebucht waren und nicht für ein Konzert, zu dem etwa 300 Leute kamen, trübte die Spielfreude nicht. Wirklich beachtlich war die eingangs bereits erwähnte Atmosphäre, die über die volle Distanz konstant hochgehalten wurde. Die eher getragenen Riffs, die Absenz von Keyboards und ähnlichem Schnickschnack, die knarzige Stimme, alles verdichtete sich zu einem unglaublichen Gemisch, das so kompakt ist, dass man meint, es berühren zu können. Alles in allem ein soweit gelungener Auftritt, der nach gut einer Dreiviertelstunde (und ohne Zugabe) wieder vorbei war.

Halbe Stunde Umbaupause – der Schreiberling geht eine Rauchen. Man kennt das ja aus Deutschland bei solchen Konzerten: Die Horden qualmen in kleinen Grüppchen vor der Tür, man unterhält sich, und wer alleine rumsteht, hat die Popokarte. In Norwegen ist das ein bisschen anders: Kaum die Kippe angezündet, schon quatscht mich ein großer blonder Mann an, der obendrein ebenfalls ganz vorn im Ausrichten von Musikfestivals mit dabei ist. Und ehe man es sich versieht, wird man allen Menschen vorgestellt, die der jeweilige Gesprächspartner so kennt, kritzelt seine Mailadresse auf kleine Zettel oder tippt sie in Smartphones ein und wird auf irgendwelche Konzerte, die leider erst in drei Wochen stattfinden, eingeladen. Verwirrt, unterkühlt und mit zehn neuen Freunden geht’s wieder rein, denn jetzt kommt die Band, auf die ich mich schon lange gefreut habe: Taake!

Helnorsk svartmetall!

Taake gehört eindeutig zu den Formationen, die ich nicht oft genug sehen kann. Schade, dass sich Hoest und seine Live-Crew selten in Süddeutschland sehen lassen – andererseits gab es da ja mal … Anderes Thema. In Stavanger jedenfalls wurde ich nicht enttäuscht: Taake lieferten ein großartiges Konzert ab. Hoest, gewohnt in maskenhaftem Corpsepaint und mit schwarzem Cape, hat eine gigantische Bühnenpräsenz, und man ist sofort wie gebannt von diesem doch sehr großen Mann, der eine Show zelebriert, die sich sehen lassen kann. Von Gehenna kommend fällt es die ersten drei, vier Minuten doch eher schwer, sich ganz auf Taakes Musik einzulassen, die so ganz anders ist, von ganz anderen Dingen erzählt und auch eine vollkommen andere Atmosphäre mitbringt, die zwar an Intensität Gehenna in nichts nachsteht, aber – ich weiß, ich wiederhole mich – ganz, ganz anders ist. Musikalisch werden wenig Wünsche offen gelassen (ja, ich verstehe, dass sie „Myr“ nicht live spielen, so ganz ohne Banjo wirkt es einfach nicht, aber man darf ja hoffen, nicht?), auch hier wird ein gesunder Querschnitt durch alle Schaffensperioden geboten und die Gassenhauer (etwa „Hordalands Doedskvad I“) amtlich abgefeiert – so muss das sein! Die Stimmung schwankt irgendwo zwischen Schwarzer Messe und einsamem Waldspaziergang, und gerade bei Taake fällt mir persönlich immer auf, dass Black Metal eigentlich ein echter Solipsismus ist und nicht die Sorte Musik, die man sich wirklich gerne live anhört, um eine gute Zeit zu haben. Ein echter Hochgenuss eben, und diese langen Lieder, die von Winterkälte, einer wilden Landschaft und Sturm singen, gehören für mich zum Schönsten, das im Black-Metal-Bereich je produziert wurde. Enttäuschend war für mich nur, dass Hoest den kompletten Gig über sein schwarzes Cape anbehielt – gut, es war immerhin Januar.

Die Stunde des Schwarzen Todes

Im Grunde genommen lässt sich der Auftritt der Headliner 1349 wie folgt zusammenfassen: Sie kamen, sie verfielen in wilde Raserei, kreischten wie die Wilde Jagd, machten keine Gefangenen und gingen wieder, nachdem sie alles plattgewalzt hatten. 1349 waren an diesem Abend mit Abstand die Schnellsten, was das Grundtempo der Songs betrifft (und, soweit ich mich erinnern kann, war kein einziges Stück von der Revelations of the black Flame dabei, was hilft, das Tempo hochzuhalten!); vor allem vom Hellfire-Album gab es an diesem Abend einiges zu hören. Dominiert von dem allmächtigen König Frost, der hinter seinem massiven Drumset eine gewohnt perfekte Performance ablieferte, bretterten 1349 los, kaum dass alle Mann auf der Bühne standen. Wie immer: Keine Ansagen, kein Gelaber, kein Intro, ab und an mal eine Pause, um sich einen Schluck Wasser zu gönnen, das war’s dann auch schon. Die vier Herren veranstalten eine Tour de Force, bei der man erst einmal mithalten muss. Das – wie mir glaubhaft versichert wurde – sehr verwöhnte Publikum im reichen Stavanger, das gerne mal nach London fliegt, um ein Konzert zu sehen, brachte jedenfalls einiges an Steh- und Bangvermögen mit, das 1349 auch komplett einforderten. Ein Gig wie ein Orkan, der einen mehr oder weniger wortlos zurücklässt.

Und danach: Party! Nur wo? Und mit wem?

Richtig absurd wurde es irgendwann während des 1349-Gigs, als mir ein junger Mann aus Polen, dessen Namen ich beim besten Willen nicht aussprechen kann, zulief – im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Kerl materialisierte neben mir, quatschte mir irgendwas ins Ohr, wiederholte dasselbe auf Englisch, signalisierte, dass man eine weitere Hopfenkaltschale zu sich nehmen sollte, und schon waren wir beste Freunde. Damit ich nicht die ganze Zeit „Der Kerl aus Polen“ sagen muss, nennen wir ihn der Einfachheit halber Grzimek. Grzimek war es dann auch, der die verrückten Deutschen auf die After-Show-Party im Haus von Nils, der wiederum Sänger der Band Thurs ist, einlud. Dieser hatte, wie sich dann herausstellte, bereits einen ziemlichen Marathon hinter sich, da er die Briten von Wretched Soul beherbergte, die eigentlich hätten auf dem Hostile Terrortory spielen sollen, nach der Absage jedoch kurzerhand in Nils‘ Wohnzimmer auftraten. Als wir mit dem Taxi in Buøy, eine der Inseln vor Stavanger und eines der wenigen Wohngebiete, die wir noch nicht besichtigt hatten, ankamen, war von Nils und der wilden Meute nichts zu sehen. Grzimek hatte einen Schlüssel, und wir waren die nächste halbe Stunde ganz alleine und tranken Bier in einem fremden Haus, bis irgendwann auch der Rest, inklusive des Gastgebers, auftauchte. Was dann folgte, war eine ganz klassische Wohnzimmerparty, für die scheinbar internationale Standards gelten: Musik kommt aus YouTube, es darf geraucht werden, das Bier ist kalt und hört nicht auf zu fließen – so muss das! Dass man gut 1.600 Kilometer von zu Hause entfernt feierte, war lediglich an der allgemeinen Kommunikation auf Englisch und dem obligatorischen Übersetzen-müssen von Rammstein-Liedtexten feststellbar. Außerdem stand bei Gehenna-Sänger Morten Kraftwerk hoch im Kurs – fast wie zu Hause bei POP!

Irgendwann gegen vier nahmen wir uns ein Taxi zurück ins Hotel, immerhin ging in 12 Stunden der Flieger nach Hause. Und soviel sei verraten: Selbst mit einem eher milden Kater sind die Turbulenzen über Stavanger nicht zu verachten!

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Auch wenn es ein unvergleichliches Konzerterlebnis war, hoffe ich doch, dass das Hostile Terrortory im nächsten Jahr stattfinden wird – ich würde gerne mehr von der lokalen Metalszene und den kleineren Bands sehen! Besten Dank an dieser Stelle an unseren fantastischen Gastgeber und das Party-Volk auf Niels‘ Sofa! All hail!
Wer jetzt Lust auf einen ähnlich verrückten Trip hat, kann sich ja mal dieses Event im Kalender anstreichen: Karmøygeddon.no

Bilder: The Doc
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