Polnische Dampfwalze
Wir schreiben das Jahr 2014, das „Super-Gedenkjahr“, wie einige Zeitungen bereits titelten: 25 Jahre Mauerfall, 75 Jahre Zweiter Weltkrieg, 100 Jahre Erster Weltkrieg, der 100. Geburtstag von Sir Alec Guinness, 200 Jahre Wiener Kongress, 200. Todestag von Johann Gottlieb Fichte, 2.000. Todestag von Caesar Augustus und so weiter. Und gleich zu Beginn des Jahres überzieht eine Dunkelheit Europa, schwärzer als die finsterste Nacht – nein, ich meine nicht das neue Zuwanderungsvotum in der Schweiz, sondern die Co-Headliner-Tour mit Cradle of Filth und Behemoth, die einen Monat lang in Europa wütet wie die Pest. Zum Auftakt hatte man sich München ausgesucht, und natürlich waren wir vor Ort!
Fierce Fires
Die Osloer Svarttjern eröffneten Tour und Abend gleichermaßen mit rumpelndem Black Metal, wie er im Buche steht: Corpsepaint, lange Nägel an den Armschienen, dreckiges Gekreische, Gitarrensoli wie Kreissägen, Blastbeats – Svarttjern knüpfen direkt an große Namen aus den frühen Neunzigern an und liefern astreines und sehr kurzweiliges Schwarzmetall ab, das nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam ist und bei mir gut ankommt. Keyboards sucht man in dem harschen, kalten Sound vergeblich, und ebenso schnörkellos wie die Musik ist die Bühnenshow, die von Frontmann HansFyrste dominiert wird. Das Quintett besteht seit 2005, veröffentlichte im selben Jahr das erste Demo und hat soeben sein drittes Album Ultimatum Necrophilia auf den Markt geworfen, das an dieser Stelle Fans von Tsjuder ans Herz gelegt sein soll. Dementsprechend viel neues Material gab es an diesem Abend auf die Ohren, inklusive des Titeltracks, versteht sich, und meines erklärten Lieblingsstückes vom neuen Silberling, „For Those in Doubt“. Mir gefällt an Svarttjern (auch live) besonders gut, dass Optik und Sound so im Einklang stehen. Was draufsteht, ist hier auch drin.
Amerikanische Inquisition
Als Nächstes sind Amis von Inquisition an der Reihe. Die beiden Ausnahme-Musiker erst vor einem halben Jahr in München, da allerdings auf der wesentlich kleineren Bühne im Backstage Club. Damals hielt sich auch die Überraschung in Grenzen, da das Publikum mehrheitlich wusste, was in Form dieses satanischen Duos auf sie zukommt. Im Vorprogramm von Behemoth allerdings sorgte zum einen die Tatsache, dass Inquisition „nur“ zu zweit unterwegs sind, als auch Dagons monotoner Gesang für das ein oder andere Fragezeichen in den Gesichtern der Leute. So unterscheidet sich dann halt doch der Mainstream vom Untergrund, schätze ich. Jedenfalls sorgten Inquisition auch an diesem Abend für diesen hypnotischen Sog, nicht zuletzt durch die schrägen (und zugegeben gewöhnungsbedürftigen) Vocals, der sich bei mir immer dann einstellt, wenn ich die Amis laufen lasse. Mit Ansagen sah es gewohnt mau aus, sonderlich mitteilungsbedürftig sind die finsteren Herren einfach nicht. Stattdessen lassen sie ihre abgrundtief böse Musik für sich sprechen, der Auftritt ist irgendwas zwischen Schwarzer Messe und Massaker und lässt jedenfalls keinen kalt. Und hat man sich erst an den Gesang gewöhnt und etwas eingehört, scheinen Inquisition sich auch bei denen gut zu machen, die anfangs noch über Dagon und Incubus gelächelt hatten.
Fehl am Platz

Siehe da, den Behemoth […]. Er ist das erste der Werke Gottes; der ihn gemacht hat, gab ihm sein Schwert.*

Das Konzert auch nur annähernd passend in Worte zu fassen ist wirklich schwer, zu überrollt bin ich auch Tage später noch von dem polnischen Todeskommando. Die einzige Vokabel, die mir direkt nach dem Gig über die Lippen kam, war jedenfalls „Fett!“. Gut, etwas anderes erwartet hatte ich von Behemoth eigentlich auch nicht, denn obwohl es doch eine ganze Weile her ist, dass ich die Herren live gesehen habe – muss irgendwann um das Jahr 2000 herum gewesen sein, vielleicht zum Erscheinen von Thelema.6? –, waren die damals schon soundtechnisch fett. Inzwischen haben die Todesmetall-Monster 23 Jahre Bühnenerfahrung auf dem Buckel, und die merkt man in jeder Minute. Der Behemoth treibt in jedem Song nach vorne, Pause gibt es keine. Ganz frisch auf dem Markt erhältlich ist The Satanist, das euphorisch von der Presse abgefeiert wurde. Los geht es mit dem Intro „Blow your Trumpets, Gabriel“, zu dem Nergal, Inferno, Orion und Seth die Bühne betreten, ihre Positionen einnehmen und die erste Rauchbombe des Abends zünden. Weiter geht es mit noch mehr neuem Material, und schon verwandelt sich die Halle in einen Hexenkessel vor dem Herrn. Sehr zu meinem persönlichen Entzücken wandten sich die Polen dann auch älterem Material zu, einzig von der Sventevith habe ich kein Stück gehört. „Driven by the five-winged Star“ oder „Christians to the Lions“, einer meiner Lieblingsstücke, fetzten dann auch ordentlich zwischen „Furor Divinus“ und dem titelgebenden „The Satanist“ vom neuen Album. Der Aufenthalt im Fotograben jedenfalls war lebensgefährlich, denn gegen Ende der Show wurden immer wieder Feuersäulen an die Decke geschossen – den goldenen Glitter, der später über das Publikum regnete, will ich dagegen nicht gesehen haben, Jungs!
Nach mehr als eineinhalb Stunden war die Meute komplett plattgewalzt von den polnischen Panzern und mehr als glücklich!
Just a bunch of masochists!

Ganz Europa? Ja, ganz Europa!
* (Hiob 40, 15-20)
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