Helsinki Vampires over Munich

Lange ist es her, dass ich The 69 Eyes live gesehen habe – in der großen Agra-Halle auf dem WGT irgendwann zu Beginn des neuen Jahrtausends. Anfangs wurden sie oft als HIM-Kopie verschrien, weil sie ebenfalls aus Finnland stammen, und sie würden nur im Fahrwasser der HIM-Erfolgswelle mit deren Gothic-angehauchten Rockmusik mitschwimmen. Nun, das wird sicherlich nicht völlig ohne Einfluss gewesen sein, aber The 69 Eyes hatten schon immer deutlich mehr Rock ’n‘ Roll im Sound als die infernalische Konkurrenz, auch Sixties Beat und Country-Einflüsse lassen sich heraushören. Außerdem haben sie im Laufe der Jahre einen beachtlichen Backkatalog in ihrer Diskographie vorzuweisen. Und The 69 Eyes sind immer noch aktiv, während es um HIM in der letzten Zeit still geworden ist. Umso gespannter bin ich, wie sich die Band heute Abend präsentieren wird.

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Zunächst einmal betreten aber The Ghost Wolves aus Austin (Texas) die Bühne, begleitet von einer coolen Albino Werwolfmaske auf einem Mikrofonständer. Sie sind nur zu zweit, beweisen aber eindrucksvoll, dass man auch mit nur einer Gitarre und Schlagzeug plus einem Effektgerät für extra Sounds und Geräusche ordentlich rocken kann. Die Gitarristin und Sängerin Carly „Carazy“ Wolf hat eine recht hohe und irgendwie schrille Stimme, die auf Dauer richtig ins Gehirn sägen kann. Ich mag solche Art von Gesang, sie könnte ohne Weiteres auch in einer Batcave-Band anheuern. Jonathan „Little Hammer“ Wolf beackert das Schlagzeug und das Effektgerät. Insgesamt ist die Musik schwer zu beschreiben. The Cramps treffen die Ramones auf einem gemeinsamen Drogentrip in den Südstaaten. Klingt abgedreht? Am besten hört man einfach mal rein und macht sich selbst ein Bild.

Da es nach eigener Aussage ihr erster Auftritt überhaupt in München ist, wird wohl kaum einer der Anwesenden die Band kennen, dennoch kommen sie recht gut an. Die Stadionrockanimationen (die mich in so kleinem Rahmen eher immer nerven) werden vom Publikum erwidert, und es wird an den richtigen Stellen mitgesungen. Auch wenn die Aussage „We love you Rock ’n‘ Roll people“ nicht so ganz zutreffend ist, da sich offensichtlich so ziemlich ausschließlich ein Gothic Publikum eingefunden hat, ist es doch insgesamt ein energetischer und sympatischer Auftritt.

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Mittlerweile ist die Halle gut gefüllt aber nicht ausverkauft, also sehr angenehm. The 69 Eyes lassen es sich nicht nehmen, rockstarlike über den Catwalk unter der Decke in die Halle zu marschieren, wie man es sonst nur aus dem Zenith kennt. In der Halle habe ich das noch nicht erlebt und finde es dementsprechend witzig, der aufbrandende Jubel gibt der Band recht. Das Konzert wird mit „Miss Pastis“ eröffnet, und ich bin echt positiv überrascht vom guten Sound und der tiefen Grabesstimme von Sänger Jyrki69, die mich sehr an den jungen Andrew Eldritch erinnert. Leider normalisiert sich seine Stimmlage im Laufe des Abends. Mit „Gothic Girl“ gibt es dann den ersten kleinen Höhepunkt, die Menge singt begeistert mit. Ein junges Gothic Girl vorne in der Mitte erlebt wohl auch ihren Höhepunkt und schreit ihre Ekstase mit hoch erhobenen Armen heraus, was das ganze Konzert über anhalten wird. Begeisterung hin oder her, auf Dauer ist das ganz schön nervig, und ich bin froh, nicht direkt neben ihr zu stehen. Generell herrscht aber eine tolle Stimmung im Publikum, und bei Hits wie „Tonight“ oder „Never say die“ geht die Menge richtig mit.

Auch auf der Bühne merkt man, dass die Musiker Spaß am Auftritt haben, so wechseln die Gitarristen Bazie und Timo-Timo und Bassist Archzie immer wieder mal die Plätze, und Sänger Jyrki69 betreibt kokette Spielchen mit seiner Sonnenbrille und dem Mikroständer. Schlagzeuger Jussi69 ist für mich der heimliche Star des Abends. Nicht nur, dass er durch sein engagiertes Drumming eine solide Grundlage für den Soundteppich legt, er beeindruckt auch mit seiner wirren Stachelfrisur und dem schweißüberströmten nackten und durchtrainierten Oberkörper. Außerdem steht er immer wieder zwischendurch auf, hält sich die „erigierten“ Drumsticks an die Hose und reibt sie genüsslich. Was für eine Show!

Bei „Feel Berlin“ schließlich reicht Jyrki69 begleitet von einer längeren Ansprache eine Flasche Rotwein ins Publikum, die dann herumgeht, zwischendurch zurückgereicht wird und wieder an die gut gelaunte Menge geht. Mit dem Blondie-Cover „Call me“ wird die erste Abschiedszeremonie eingeleitet. Hier ist aber noch nicht Schluss, und die Band kehrt für drei gefeierte Zugaben auf die Bühne zurück, bevor sie sich endgültig verabschiedet. Mit „Lost Boys“ endet schließlich der Abend.

Natürlich ist der Vergleich ein bisschen unfair, aber mit den Urgesteinen des Gothic Rock, den göttlichen Fields of the Nephilim, die erst kürzlich ebenfalls im Backstage waren (Link zum Bericht), können The 69 Eyes nicht mithalten, aber wer kann das heutzutage schon. Die eingefleischten Fans würden sicher die volle Punktzahl vergeben, mir persönlich fehlt allerdings die Grabesatmosphäre aus dem typischen Gothic Rock und etwas mehr Biss, den ich mir von den Helsinki Vampires erwartet hätte, und daher bewerte ich den heutigen Abend mit
:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch2:

Setlist:
Miss Pastis
Betty Blue
Gothic Girl
Dolce Vita
Sister of Charity
Wrap your Troubles in Dreams
Tonight
Jet Fighter Plane
Sleeping with Lions
Never say die
Wasting the Dawn
Feel Berlin
The Chair
Brandon Lee
Call me

Devils
Dance d’Amour
Lost Boys

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