Ein arktischer Wintersturm

Ein windiger Mittwochabend in München lädt nun wirklich nicht dazu ein, das Haus zu verlassen. Es sei denn, die Argumente sind gut genug. Doch was könnte überzeugender sein als laute Musik norwegischer Provenienz? Zumindest ein gewisser Teil des Münchner Metal-Publikums hat sich aufraffen können, ins Backstage zu fahren, und absoluten Genre-Größen wie Abbath, 1349 und David Vincent mit neuem Projekt Vltimas die Ehre zu erweisen – aber bei weitem nicht so viele, wie es bei dem Line-up eigentlich hätten sein müssen.

DSC_2087Nuclear aus Chile treten vor entsprechend wenig Publikum an, aber die fünf Südamerikaner lassen sich davon nicht beirren, zumal sie ordentlich Zuspruch bekommen, als sie mit „Confront“ vom aktuellen Album Formula for anarchy loslegen. Der treibende Thrash tut sein Übriges dazu, sodass binnen Minuten vor der Bühne munter „getanzt“ wird – genug Platz ist dafür ja vorhanden. „God forsaken life“ und „Violence that burns“ geben einen kleinen Einblick in vergangene Schaffensperioden der Band, ehe es mit „Killing spree“ wieder zurück zur Formula for anarchy geht (die allerdings auch schon von 2015 ist). Die Chilenen um Frontmann Matías Leonicio beeindrucken allerdings nicht nur musikalisch, denn alle Mitglieder haben wirklich beeindruckend lange und lockige Haare, die mehr als nur ein bisschen Neid aufkommen lassen – sofern man denn Zeit hat, einen Blick zur Bühne zu werfen, denn Nuclear gönnen uns nur wenige Pausen: „No light after all“, ein ganz neuer Song, behandelt einen dunklen Moment in der Bandgeschichte, „On killing“ (von dem genial betitelten Album Jehovirus) und „E-Faith“ lassen danach keine Schwermut aufkommen. Der absolute Höhepunkt dieses Gigs ist für mich jedoch das auf Spanisch gesungene „Apátrida“ von der gleichnamigen EP. Wer hätte gedacht, dass diese Sprache so fies klingen kann? Damit verabschieden sich Nuclear dann auch schon von der Bühne und haben einen hervorragenden Eindruck hinterlassen, der den Opener-Status völlig vergessen lässt. Nun beginnt das Warten auf eine Legende des Extreme Metal – zum Glück dauert es nicht zu lang.

DSC_2205Nun, eigentlich sind es sogar mehrere Legenden: David Vincent, ehemaliger Morbid-Angel-Sänger, und Rune „Blasphemer“ Eriksen, Gitarrist bei Aura Noir und auch lange bei Mayhem, haben sich 2015 mit Cryptopsy-Drummer Flo Mounier unter dem Namen Vltimas zusammengetan, um die Metal-Fans mit ihrem ganz eigenen Blackened Death Metal zu beglücken. Letztes Jahr erschien das erste Album Something wicked marches in, das uns in den nächsten 45 Minuten komplett um die Ohren gehauen wird (in derselben Reihenfolge wie auf dem Album). Nach dem Totalabriss durch Nuclear brauchen die Münchner eine kleine Weile, um wieder in die Gänge zu kommen, dann ist die Stimmung wieder ganz oben, und die versammelte Prominenz auf der Bühne bekommt den Applaus, der ihr gebührt. David Vincent ist allein schon durch sein Auftreten (langer Mantel, Hut, allgemeine Dunkelfürstausstrahlung) eine Macht, die er durch strategische Abgänge von der Bühne, um dann erneut aus den Schatten aufzutauchen, noch unterstreicht. Seine Stimme – egal, ob er spricht oder growlt – , scheint sowieso aus den unirdischen Tiefen zu kommen. Aber der Auftritt kreist nicht nur um ihn, denn was die Herren (und die beiden Live-Musiker) insgesamt hier abliefern, ist wirklich allererste Sahne: treibende Riffs, viel Atmosphäre, die schon erwähnten einzigartigen Vocals und Blastbeats, bei denen einem die Nackenwirbel knacken. Dabei legen sich Vltimas nicht auf ein Genre fest, sondern halten sich mal eher im Black-Metal-, mal eher im Technical-Death-Metal-Bereich auf, dann wird es plötzlich wieder OldschoolDeath – kurz: wir bekommen ein sehr abwechslungsreiches Konzert von einer der interessantesten Bands der letzten Jahre präsentiert, und ich bedaure jeden, der sich dieses Spektakel hat entgehen lassen!

DSC_2500In welchem Genre sich die nächste Band verlustiert, steht außer Frage: 1349 bieten seit 1997 fiesen, eiskalten Black Metal und haben im vergangenen Jahr mit The infernal pathway eines der besten Alben 2019 abgeliefert. Dementsprechend hoch ist die Vorfreude im Publikum auf Seidemann (Bass), Archaon (Gitarre), Frost (Drums) und Ravn (Vox), die an diesem Abend wahrlich niemanden enttäuschen: beginnend mit „Sculptor of flesh“, prügeln sich 1349 einmal munter durch die Discografie. Vom aktuellen Album gibt es „Through eyes of stone“, „Striding the chasm“, das famose „Dødskamp“ und den Rausschmeißer „Abyssos antithesis“. Musikalisch verzichtet man hier weitgehend auf Experimente – die neuen Songs sind abgrundtief böse, rasend schnell und vor allem ultrapräzise dargeboten. Vor allem die wirklich spannenden Rhythmen, für die sich Frost verantwortlich zeigt, machen die neuen Songs zu echten Highlights, die Klassikern wie „I am abomination“, „Slaves“ oder „Manifest“ in nichts nachstehen. Vor allem sei hier noch „Dødskamp” hervorgehoben, die musikalische Interpretation des gleichnamigen Bildes von Edvard Munch, das die Band zusammen mit dem Munch Museum in Oslo entwickelt hat. Wie das Bild geht auch dieser Song direkt unter die Haut – auf eine nicht immer angenehme Weise, sodass das direkt davor gespielte „Atomic chapel“ im Nachgang beinahe fröhlich wirkt. Die fetten Nebelsäulen, die immer wieder, von unten angestrahlt, zur Decke hochgeschossen werden, ersticken jeden Spaß jedoch sofort im Keim und sorgen für ein unheimliches Glühen auf der Bühne. Große Ansagen werden hier nicht gemacht, dementsprechend bleibt die Luft vor der Bühne diese Stunde durchgängig haarig, und als die Norweger nach langem Händeschütteln von der Bühne gehen, wanken etliche Fans glücklich, aber ausgepowert von dannen.

DSC_2604Der Headliner an diesem Abend wird mit großer Spannung erwartet, schließlich hörte man zuletzt von Frontmann Olve „Abbath“ Eikemo eher Beunruhigendes, denn die Südamerika-Tour im letzten Jahr musste nach einem Totalausfall abgebrochen werden. Abbath hat seitdem einen Alkoholentzug begonnen, dessen Früchte wir Fans nun ernten dürfen: Ein gut gelaunter, sehr spielfreudiger Abbath fegt über die Bühne, schneidet Grimassen und schrabbelt sich mit sichtlichem Vergnügen durch das Set, das nicht nur aus Songs der zwei bisher veröffentlichten Abbath-Alben besteht, sondern auch mit „Coverversionen“ einiger Immortal– und I-Gassenhauern aufwartet. Doch ehe es soweit ist, freuen wir uns über „Hecate“, „Bridge of spasms“ und „The Artifex“ vom neusten Album Outstrider sowie über „Count the dead“ vom selbstbetitelten Debütalbum, das mich (und sicherlich auch viele andere Fans) 2016 mehr als nur darüber hinweggetröstet hat, dass Abbath Immortal den Rücken gekehrt hat. „Warriors“ ist das erste „Cover“ an diesem Abend, das sich mehr als nur harmonisch ins Gesamtprogramm einfügt. Heftig geht es anschließend beim aggressiven „Ashes of the damned“, dem fantastischen „Harvest pyre“, dem epischen „Calm in ire“ und „Outstrider“, dem Titelsong des aktuellen Albums, vor der Bühne zu. Musikalisch erinnern Abbath auf den ersten Blick ein Stück weit an die Vorgängerband des Sängers, was nicht zuletzt am charakteristischen Drum-Galopp, dem dominanten Gitarrenspiel und natürlich der krächzigen Stimme liegt. Hört man genauer hin, klingen Abbath aber sehr viel grooviger und ziemlich frisch, auch wenn das Rad nicht neu erfunden wird. Sehr gut fügt sich auch der Neuzugang am Bass ein, der erst vor kurzer Zeit für Mia Wallace gekommen ist – Rusty Cornell mit Gothic-inspiriertem Corpsepaint, das eine nette Ergänzung zum sonst in der Band favorisierten Panda-Look darstellt. Für eine gehörige Portion Nostalgie sorgen die Immortal-Songs „Against the tide in the arctic world“, „One by one“ und „In my kingdom cold“, ehe uns “Winterbane”, ein Song wie eine Naturgewalt, von den Füßen holt. In die Nacht entlässt uns Abbath mit dem Schlachtruf „To war!“, und nach anderthalb Stunden Power pur begrüßen wir freudig den Februarsturm, der vor der Halle tobt.

Vier Bands an einem Abend unter der Woche sind sportlich genug für das Publikum, aber an dieser Stelle sollen die meist unbesungenen Helden gelungener Konzertabende nicht unerwähnt bleiben: die Roadies und Techniker, die an diesem Abend ein eigenes Drumkit für jede der beteiligten Bands mit einer Effizienz aufgebaut haben, die ihresgleichen sucht, und uns so einen reibungslosen Ablauf beschert haben. Auch die Lichttechniker waren auf Zack, der Sound war bei allen vier Bands richtig fein, und überhaupt hat man selten einen Abend mit vier Bands = vier Volltreffern. Vielen Dank!

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Setliste Nuclear:
Intro
Confront
God forsaken life
Violence that burns
Killing spree
No light after all
On killing
E-Faith
Apátrida

Setliste Vltimas:
Soemthing wicked marches in
Praevalidus
Total destroy!
Monolilith
Truth and consequence
Last ones and alive win nothing
Everlasting
Diabolus est sanguis
Marching on

Setliste 1349:
Sculptor of flesh
Through the eyes of stone
Slaves
I am abomination
Striding the chasm
Manifest
Atomic chapel
Dødskamp
Abyssos antithesis

Setliste Abbath:
Hecate
Count the dead
Bridge of spasms
The Artifex
Warriors
Ashes of the damned
Harvest pyre
Against the tide in the Arctic world
One by one
Calm in ire (of Hurricane)
Outstrider
In my kingdom cold
Winterbane
To war!

 

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