Kann Kunst die Welt verändern?

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Aufmerksam wurde ich auf JR, den französischen Street Artist, der immer mit Sonnenbrille und Hut zu sehen ist, durch einen wundervollen kleinen Film zusammen mit Agnes Varda(KLICK) Ein toller Kerl, der berühmt wurde durch seine monumental plakatierten Portrait-Fotografien auf Häuserfronten, Eisenbahnzügen, Containerschiffen oder Grenzmauern.
Doch nun gibt es in der Kunsthalle München etwas wirklich Wunderbares: eine schöne, große Ausstellung über das Werk des 1983 geborenen Franzosen JR, dessen richtigen Namen keiner kennt. Er selbst will es nicht als Retrospektive sehen – er ist ja noch nicht einmal 40!

Face 3 – Expo 2 Rue

JR war 13 als er mit Street Art begann. „Face 3“ war sein Künstlername, sein „Tag“. Später fand er in der Pariser U-Bahn eine Kamera und begann seine Freund*innen zu fotografieren. Er kopierte seine Fotos und klebte die Schwarz-Weiß-Kopien auf freie Flächen. Damit die Leute nicht meinten, es handele sich um Werbung, sprühte er einen roten Rahmen darum herum. Dies war seine erste Galerie, die „Expo 2 Rue“, eine Straßen-Ausstellung. Auf diese Art und Weise wollte und konnte er auch Menschen erreichen, die normalerweise nicht in Museen gehen.

Portrait of a Generation

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Später startete er zusammen mit seinem Freund Ladj Ly ein Gemeinschaftsprojekt im öffentlichen Raum. „Portrait of a Generation“ zeigt die Gesichter von Jugendlichen in den Vororten von Paris, junge Leute, die aufgrund ihrer Minderheiten oder Arbeitslosigkeit mit Vorurteilen kämpfen müssen. Sie haben für die Fotos ihre Gesichter zu Grimassen verzogen, um gefährlich auszusehen. Denn wer in den Randzonen lebt ist doch kriminell, oder? Unter jedem Bild standen Namen und persönliche Daten. JR beschloss hier, selbst anonym zu bleiben, um den Fokus auf das Projekt und nicht auf ihn als Künstler zu legen.

Face 2 Face

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Für dieses Projekt reiste JR nach Israel und in die palästinensischen Autonomiegebiete. Hier fotografierte er Palästinenser und Israelis, die denselben Beruf ausübten. Er stellte die großformatigen passfotoähnlichen Bilder gegenüber. Er plakatierte die Paare auf beiden Seiten der Grenzmauer, später in mehreren Städten wie Jerusalem, Tel Aviv bzw. Bethlehem. Die Betrachtenden konnten nicht erkennen, welche Nationalität die Fotografierten hatten. Die Mitwirkenden hatten einen Brief mit unterzeichnet, in dem um Frieden und eine Zwei-Staaten-Lösung gebeten wird. Das war Teil des Projekts.

Women are Heroes

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Frauen sind Heldinnen. Mit diesem Projekt war JR auch so gut wie überall in der Welt. Er wies auf Ungerechtigkeiten hin, mit denen Frauen weltweit zu kämpfen haben. Sie sind vielfach unterdrückt, Gewalt ausgesetzt, haben nicht die gleichen Rechte wie Männer. In Indien gab es das Problem, dass zu der Zeit Wahlen stattfanden und nur Parteiwerbung plakatiert werden durfte. JR hat scheinbar leere, weiße Blätter plakatiert. Sie waren aber mit Klebstoff präpariert, was keiner sehen konnte. Dann fand das traditionelle Holi-Fest statt, wo die Menschen in den Straßen tanzen und sich mit Farbpigmenten bewerfen. So kamen nach und nach die weiblichen Augenpaare zum Vorschein. In anderen Ländern plakatierte er auf Plastikplanen statt auf Papier, um gleichzeitig Slums regenfest zu machen. Videos mit Berichten der Frauen und die überlebensgroßen Frauenporträts gingen in die ganze Welt hinaus.

The wrinkles of the City

In „Die Falten der Stadt“ beschäftigt sich JR mit den sichtbaren Spuren, die das Leben hinterlässt. Er befragte die vorrangig älteren Menschen nach ihrem Leben, und heraus kamen zum Teil berührende Erinnerungen nicht nur persönlicher Art sondern auch zum Wandel der Zeit. Das Projekt bringt die Frage auf, wie wir ältere Menschen sehen, und sie uns.

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Inside Out

„Kann Kunst die Welt verändern?“ fragte sich JR. Er richtete ein weltweit künstlerisches Gemeinschaftsprojekt ein und ermutigte Menschen aktiv zu werden, sich einzeln oder als Gruppe für etwas einzusetzen. Sie nehmen Fotos auf und senden diese ans Studio von JR. Dort werden sie groß ausgedruckt und an die Organisator*innen der einzelnen Projekte zurückgesandt. Videos und Fotos der Aktionen werden auf der Projekt-Website ((KLICK)) online gestellt. Weltweit wurden seitdem über 445.000 Plakate geklebt, mit denen auf lokale und globale Themen aufmerksam gemacht wird, u.a. Black-lives-matter, Flüchtlingsproblematik und Klimawandel. Vom 9. bis 15. September 2022 machte ein zum mobilen Fotostudio umgebauter Truck an verschiedenen Orten in München Halt. Jede*r war eingeladen, für das Projekt „Kunst & Kultur für alle“ Gesicht zu zeigen. Man konnte sich fotografieren lassen, danach wurde sofort das Portrait als Poster ausgedruckt und vor Ort plakatiert. Dies war u.a. vor der Kunsthalle selbst der Fall, in den Fünf Höfen, im MUCA oder auch im Interims-Gasteig HP8 in Sendling.

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Organisiert wurde die Ausstellung vom Brooklyn Museum, New York. Doch JR war auch selbst in München. Schon vor der Ausstellungseröffnung am 26. August kamen Hunderte von Leuten vor der Kunsthalle zusammen, um gemeinsam ein Banner zum Odeonsplatz zu tragen und dort zu entrollen. Es zeigt die fünfjährige Valeriia, die wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine aus ihrer Heimat flüchten musste. JR druckte das Foto der kleinen Valeriia auf eine 45 Meter lange Plane und entrollte es zum ersten Mal zusammen mit 100 Ukrainer*innen im März 2022 im Zentrum der ukrainischen Stadt Lwiw. Er wollte die russischen Kampfpiloten, die über die Ukraine flogen, daran erinnern, dass dort unten Menschen leben, die ihren Angriffen schutzlos ausgeliefert sind. „Valeriia“ wurde damit zum Sinnbild für all die Kinder in der Ukraine, die sich nach Frieden und Sicherheit sehnen. Die Aktion wurde in Paris, Berlin, Düsseldorf und Venedig wiederholt, am 25. August 2022 nun auch hier in München. Dafür hat die Kunsthalle 100 Freiwillige gesucht, weit mehr kamen. Kurz nach Mittag wurde das riesige Banner mit dem Bild Valeriias auf dem Platz vor der Feldherrenhalle entrollt. Die Presse war da, eine Drohne machte Bilder von oben. Es war für die Träger*innen wie auch für die Zuschauer*innen ein Riesenspektakel.

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Ich lernte dort JR als eine überaus charmante, charismatische Persönlichkeit kennen. Er hat sich schon immer für sein Drumherum interessiert und tut es noch, und er bringt die Menschen dazu, sich zu öffnen, zu erzählen. Er hat ein Netzwerk geschaffen, das ihn zu Orten bringt, die eigentlich unzugänglich sind und seine Kunst deshalb auch zu etwas ganz Besonderem machen.
Mein unbedingter Tipp für euch!

JR: Chronicles
26. August 2022 – 15. Januar 2023
In der Kunsthalle München
Theatiner Straße 8
(in den Fünf Höfen)
80333 München
+49 (0)89 / 22 44 12
Täglich geöffnet von 10 – 20 Uhr

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