Wieder was dazugelernt …
Ein verlängertes Wochenende im winterlichen Schwarzwald. Man sieht ja so einiges, wenn man mal in Ruhe schlendern kann, Freudenstadt bietet dazu einige Möglichkeiten rund um den Marktplatz und darüber hinaus. Aber was ist das denn für eine Kirche, die da übereck steht? Evangelische Stadtkirche Freudenstadt, eine Winkelkirche?! So etwas habe ich noch nirgends gesehen, und ich bin schon einige Male durch Deutschland und darüber hinaus gereist.
Natürlich habe ich die Kirche besichtigt, zuhause angekommen haben mich die Hintergründe dazu nicht losgelassen, ich wollte mehr dazu wissen. Das World Wide Web beantwortete meine Fragen (Links s.u.). Eine Winkelkirche wird auch als Winkelhakenkirche bezeichnet. Sie besteht aus zwei Kirchenschiffen, die im rechten Winkel zueinander stehen. Der Altar eines solchen Gebäudes befindet sich im Winkel. Anfangs dachte ich, dass hier wieder einmal eine Trennung der Geschlechter während des Kirchgangs vollzogen wurde, aber dazu wurde die Anordnung nur begrenzt verwendet (s.u.). Diese Art von sakralem Gebäude wurde entweder wegen der Form des Baugrunds geplant (z.B. St. Concordia in Ruhla), oder sie ist durch Aus- und Anbau bestehender Kirchen entstanden.
Die Stadtkirche Freudenstadt verdankt ihre Lage der quadratischen Stadtplanung. Die beiden Flügel wurden über das Marktplatzeck gesetzt. Bei dieser Form verzichtete man auf einen Chor und fasste Kanzel, Altar und Taufstein im Winkel zusammen. Zudem hing die Orgel nahe der Kanzel an der Wand. Das alles kam den damaligen neuen Anforderungen des protestantischen Predigtgottesdienstes nach der Reformation sehr entgegen. Winkelkirchen haben im protestantischen Kirchenbau aber keine Verbreitung gefunden. In Deutschland sind nur zwei Kirchen, und zwar beide aus dem 17. Jahrhundert, von Anfang an so gebaut worden.
Die Schwarzwälder Kirche wurde nach Einführung der Reformation im damaligen Württemberg 1534 durch Herzog Friedrich 1601 als evangelische Kirche gegründet und ist dies immer geblieben. Für eine räumliche Geschlechtertrennung wären die beiden Schiffe zwar geeignet gewesen. Es gab sie aber erst mit dem Wachsen der Gemeinde im 19. Jahrhundert, so etwa von 1850 bis in die 1930er Jahre. In dieser Zeit wurde der bis dahin als Hauptschiff angesehene und nach Norden ausgerichtete Flügel zum Frauenschiff. Er ist heute mit der großen Orgel versehen. Der zunächst als Nebenschiff geplante und durch die in den Raum ragende Orgel nur begrenzt nutzbare Flügel, der nach Osten ausgerichtet ist, wurde zum Männerschiff. Vorher hatten im Hauptschiff die Frauen unten und die Männer nach Berufsständen getrennt auf den Emporen gesessen, einige Honoratioren auch in besonderem Gestühl an den Wänden des Nebenschiffes. Heute gibt es die Geschlechtertrennung natürlich nicht mehr. Die Begriffe Frauenschiff und Männerschiff haben sich jedoch erhalten, werden aber im Alltag und Schrifttum wechselnd verwendet: Das Frauenschiff heißt auch Hauptschiff, Nordschiff und Schiff mit der großen Orgel; für das Männerschiff steht auch Nebenschiff, Ostschiff und Schiff mit der kleinen Orgel.
Wieder was dazugelernt, und: Reisen bildet halt doch!
Quellen und Auszüge im Bericht:
Evangelische Kirche Freudenstadt
Wikipedia Winkelkirche
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