Nach unbekannt abgewandert

Am Dienstag, 24.6.2025, gab es in München im Stadtteil Schwabing eine kleine, unspektakuläre, aber dennoch eindringliche Kunstaktion. Es wurden vor sechs ehemaligen Wohnorten von Münchner Juden Koffer abgestellt. Jeder Koffer ist einer Person gewidmet, die in dem Haus wohnte. Gezeigt werden die Namen, Fotos und die einzelnen Lebensgeschichten. Der Initiator und Aktionskünstler Wolfram P. Kastner will mit diesen Koffern an die Opfer des Nationalsozialismus gedenken. Das Projekt mit dem Titel „hier wohnte …“ lief Anfang des Jahres an. Es wurde mit Hilfe von Freiwilligen auf die Beine gestellt. Koffer wurden gesucht, diese wurden imprägniert und weiß getüncht, Kofferanhänger wurden geschrieben, und vor allen Dingen wurde zu den Verstorbenen recherchiert und Texte geschrieben.

Die Schirmherrschaft zu dem Projekt haben Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter und die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, übernommen. Die Aktion startete am 24. Juni um 19 Uhr im Berufsschulzentrum am Elisabethenplatz. Der Künstler selbst hat gesprochen, Charlotte Knobloch und die Stadträtin Mo Lovis Lüttig, Musik wurde gespielt. Die Koffer sind im öffentlichen Raum zu sehen bis zum 20. November 2025. Dieser Tag markiert den Jahrestag der Deportation von fast 1.000 Münchner Juden nach Kaunas im Jahr 1941.

Ich habe drei dieser Stellen aufgesucht. Es ist jedes Mal das Gleiche. Eine wunderschöne Straße im sonst recht quirligen Schwabing, wunderbare Häuser mit herrlichen Fassaden, die armseligen Koffer davor. In den Häusern lebten damals Menschen mit eigenen Leben, mit Zukunft, genau so wie die „Arier“. Ihnen wurden sukzessive ihre Lebensgrundlagen geraubt, Kinder durften nicht mehr in die Schulen gehen, das bisschen was sie noch hatten, mussten sie „spenden“. Am Ende gab es Zwangsarbeit und dann das Datum der Deportation. Sie durften dafür genau einen Koffer packen mit dem für sie wichtigsten Gut. Am Ankunftsort wurde ihnen dieser sogleich abgenommen. Von vielen blieb nur ein Eintrag im Melderegister, ein Passfoto und der zynische behördliche Vermerk „nach unbekannt abgewandert“.

Das junge Mädchen Ilse aus der Herzogstraße schrieb noch 1943 aus Auschwitz einen aufmunternden Brief an ihren Freund in München:


Ein halbes Jahr später wurde sie ermordet, gerade einmal 16 Jahre alt.

Um all das nie zu vergessen, dafür stehen vor diesen sechs Häusern die weißen Koffer:

Elisabethstraße 30
Franz-Joseph-Straße 15
Herzogstraße 65
Hohenzollernstraße 25
Martiusstraße 8
Römerstraße 21

Info aus: 

omasgegenrechtsmuenchen.de/events/erinnerung-an-juedische-nachbarn/

www.sonntagsblatt.de/artikel/epd/weisse-koffer-erinnern-muenchner-ns-opfer

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