Abwesenheit von Licht

Svärta

Wie klingt es, wenn sechs elektronische Bands der schwedischen Untergrundszene die Dunkelheit des Nordens interpretieren? SVÄRTA bedeutet auf Schwedisch Schwärze oder Finsternis, und die Klänge, die sich auf dem gleichnamigen Mixtape entfalten, machen die emotionale Kraft der Dunkelheit in unterschiedlichen Facetten hörbar – mal eingebettet in graue Melancholie, manchmal wie ein Spiegel, der Dunkelheit reflektiert.

Der Opener „Dagbräckning“ (Tagesanbruch) von Lisa und Kristofer Ulfves, die gemeinsam als Lisa & Kroffe Musik mit analogen Synthesizern und einer Vielzahl weiterer Instrumente kreieren, fließt und strömt in seinem eigenen Rhythmus. Es ist ein betörender Track mit einem leicht flirrenden und zunehmend dichteren Elektro-Sound, bei dem es leichtfällt, in die fragile Szenerie einzutauchen – wenn das erste Licht des Tages sanft durch die Dunkelheit bricht. Der Beginn eines neuen Tages, der die Nacht, aber nicht die Schatten verdrängen kann, das machen die nachfolgenden Klänge von a>m weithin hörbar. „Excellent specimen part VII“ ist eine finstere und raue Klangcollage mit Sprachsequenzen aus gebrochenen Dialogen. Der Hauch einer Melodie, Disharmonien, ein Echo, beklemmende Geräusche – in diesem Track verbindet Johan Risberg experimentelle Klänge, die sich anfühlen, als würden sie in irreale Räume führen. Hier und da ertönt metallisches Klirren und verstärkt das Gefühl der Unruhe. Auch nach den letzten Klängen bleibt dieses Gefühl unmittelbar und greifbar nah.
„Shellburned“ ist der erste gemeinsame Track von Peter Josefsson (Meipr/Sepdek) und Henrik Karlsson (Subverge/Seven Trees), beides versierte und kreative Soundtüftler, die mit ihrem gemeinsamen Projekt Zephyr Sleep Sequence tiefdunkle Klangwelten erforschen. „Shellburned“ ist diese Art eindringliche Musik, die einen unglaublichen Sog entfaltet und schon nach den ersten Klängen unsere Gedankenwelt triggert. Was mit tieftraumartigen elektronischen Wellen beginnt, führt in ein Universum des Unbehagens. Hier dröhnen Klangmassen, hier ist es trostlos und nahezu erdrückend – und wenn man noch tiefer in dieses einzigartige Klanguniversum vordringt, entfaltet sich eine lang anhaltende und einhüllende Dosis Dunkelheit. Ich bin gespannt, wie die musikalische Reise dieses spannenden Projektes weitergeht und freue mich schon auf den neuen Track, den Peter und Henrik in unserem Band der Woche Interview (hier) für Dezember angekündigt haben.
Mit ihrem Cover von „Brända Barn“ setzen Svaj. den denkbar stärksten Kontrast zu den Vorgängersongs auf SVÄRTA, der die Zuhörenden in eine neue Klangwelt entführt. Ursprünglich ein Punksong, der 1980 von der Band Brända Barn veröffentlicht wurde, präsentieren Tomas Z Westberg und Anders O Öhgren ihre ganz eigene Interpretation des Songs in einem quirligen Elektrogewand. Das Stockholmer Duo zeigt hier einmal mehr seine Experimentierfreude und sein Gespür für einen süchtig machenden, sehr lebendigen und unkonventionellen Retro-Sound. In dem folgenden Track „Det reellt största hotet mot Sverige, svenskarna och deras livsstil“ setzt sich Massiv Ovilja kritisch mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in Schweden auseinander. Wabernde Elektro-Klänge, ein finsteres Gitarrenspiel, summende, zischende und fiepsende (Stör-)Geräusche, anschwellende Splitter verzerrter Frequenzen – alles fließt, strömt und schwirrt in unterschiedliche Richtungen, während im Hintergrund der Rhythmus stoisch pulsiert. Seine düstere Reflexion kanalisiert Massiv Ovilja in einem akustischen Labyrinth roher, dringlicher Klänge, die gehört werden müssen.
Den Abschluss der Veröffentlichung bildet das wunderschöne „Pyrosomes Ostinato“ von Øx. Schon nach den ersten Klängen wird man direkt in den satten und melancholischen Soundkosmos hineingezogen. LIVMØDR und Majestoluxe verweben ihre faszinierenden musikalischen Welten zu pechschwarzen, mit Hall durchtränkten Ambient-Texturen und knisternden Industrial-Klängen, die sofort einhüllen und berühren. Ein Song der lebt, schwebt und sich nach und nach offenbart. Wenn LIVMØDRs sphärische Stimme erklingt, wirkt „Pyrosomes Ostinato“ hoffnungsvoll. Die Fragilität der Stimme ist überwältigend, die  Szenerie ist dezent beleuchtet und wirkt tröstend, ein perfekter Abschluss für diese emotionale Reise. Was LIVMØDR und Majestoluxe uns in die Ohren zaubern, ist Gänsehaut pur!

Anders Eklund und Ella Moe, die das schwedische Label åtåmåtån leitet, haben die beteiligten Künstler:innen und Tracks für dieses Mixtape sehr überlegt und auf den Punkt gebracht ausgewählt. SVÄRTA verbindet ganz unterschiedliche musikalische Stile in einem großen Bogen und transportiert damit komplexe Stimmungen und Gefühle. Dieses Mixtape ist ein musikalisches Juwel, das die Dunkelheit umarmt und dazu einlädt, fernab oder mitten in der Dunkelheit fantastische neue Lieblingsbands zu entdecken.

Svärta: a>m, Lisa & Kroffe, Massiv Ovilja feat. Kulturdepartementet, Svaj, Zephyr Sleep Sequence, Øx
åtåmåtån, Vö. 26.07.2024
Kassette: 9€ (oder mehr)
erhältlich über Bandcamp
 
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Tracks
1. Lisa & Kroffe – Dagbräckning
2. a>m – Excellent specimen part VII
3. Zephyr Sleep Sequence – Shellburned
4. Svaj – Brända barn (cover)
5. Massiv Ovilja feat. Kulturdepartementet – Det reellt största hotet mot Sverige, svenskarna och deras livsstil
6. Øx – Pyrosomes ostinato
 

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