Gar nicht so weiße Geschichten

Das Konzept ist einfach: Es gibt da eine deutschsprachige Band, die Letzte Instanz. Und deren Sänger, Holly Loose, der Geschichten schreibt, Geschichten in Form von Lieder-Texten. Außerdem gibt es unzählige Fans dieser Band, die sich durch diese Geschichten haben inspirieren lassen. Also was liegt näher, als diese Geschichten zu einer Sammlung zusammenzufassen und zu veröffentlichen?

Bereits im Jahr 2008 kamen die Fans der Letzten Instanz mit unerwartet hoher Resonanz dem Aufruf von Sänger Holly nach, ihre Gedanken und Interpretationen zu deren Liedern der Band mitzuteilen. Über 100 Einsendungen erreichten die Initiatoren, die alle gelesen, bewertet und dann ausgewählt werden mussten, welche davon dem Verlag übergeben werden sollten. So entstand das Buch „Weiße Geschichten: Eine Fan-Anthologie“.

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Fünf Jahre später, pünktlich zum 15. Jubiläum der Band, rief der Berliner Autor und Sänger erneut, und wieder sind sowohl Fans als auch befreundete Künstler dem Aufruf gefolgt, um aus Liedern neue Kurzgeschichten werden zu lassen. Entstanden sind dabei spannende, phantasievolle und teilweise sehr persönliche Erzählungen, ein wahres Feuerwerk aus Kreativität und Emotionen, Geschichten voller Liebe und Zauber, aber auch Trauer, Wut oder Angst. Für einen Künstler kann es wohl kaum etwas Schöneres geben, als dass sein Werk Ausgangspunkt für derart geballte kreative Schaffenskraft ist.

Und da Holly nicht nur Autor sondern eben auch Sänger ist, geht er immer wieder auf Lese-Reise, um mit musikalischer Untermalung aus seinen Büchern vorzutragen. Ende Februar führte ihn diese Reise endlich auch mal wieder in den Süden, genauer gesagt nach Gröbenzell in die „Hexe“. Schandmaul-Fans mag der Name der „Hexe“ bekannt vorkommen, ja, es ist quasi die Geburtsstation der Münchner Folk-Band. Und so verwundert es nicht, dass sich Holly für diesen Abend Unterstützung von Schandmaul-Frontmann Thomas Lindner und dessen Bruder Stefan holte, die seit längerem als Gebrüder Thot im Bereich Hörspiel aktiv sind.

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Beim Eintreffen bemerkte ich sofort die gemütliche Sofa-Landschaft auf der kleinen Bühne, aufgebaut vor einem alten Kachelofen, alles in warmes, rötliches Licht getaucht. Viele Besucher würden heute nicht den Weg nach Gröbenzell finden, leider, denn es erwartete uns ein Abend voller Träume und Emotionen, witzigen und traurigen, nachdenklichen und gruseligen Momenten. Nach jeder Kurzgeschichte, die durchschnittlich zehn Minuten dauerten, griff Holly zu seiner Akustik-Gitarre und sang einen Song seiner Band. Ich liebe seine einzigartige und ganz besondere Stimme und genieße es, sie pur, ohne technischen Firlefanz, ohne Schlagzeug etc. einfach so in mir aufzunehmen. Und so bekamen selbst solche für mich eher schwierigen Lieder wie „Im Auge des Sturms“ oder der „Fährmann“ eine ganz neue Wirkung. All das macht auf jeden Fall schon Lust auf die für Oktober angekündigte Kirchen-Akustik-Tour der Letzten Instanz.

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Thomas und Stefan Lindner hatten ebenfalls eine Geschichte zu dieser Sammlung beigetragen und kamen später am Abend ebenfalls auf die Bühne, um ihre eigene Geschichte in bester Hörspiel-Manier selber vorzutragen. Darin geht es um die E-Mail-Kommunikation zweier Brüder, die sich nach Jahren der Entfernung nun durch ehrliche Gespräche versuchen einander wieder anzunähern. Das Lied, das dieser Geschichte folgte, war keines der Letzten Instanz sondern die Schandmaul-Ballade „Willst du?“, die einfach mal eben ein wenig umgetextet wurde. Wunderschön, bewegend und doch witzig.

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Als letzte Geschichte gab es etwas zum Gruseln und zum Lachen, denn Holly bewies, dass er nicht nur ernst und nachdenklich kann, sondern durchaus auch komödiantische Talente besitzt – und ein wirklich toller Geschichtenerzähler ist. Seine Darstellung der sächselnden Großmutter „Brunhilde“ klang mir noch lange Zeit im Ohr nach. Leider war der Abend nach einem abschließenden Instanz-Lied dann gegen 23 Uhr zu Ende.

Für alle, die nicht dabei sein konnten, aber trotzdem in den Genuss von Hollys Lese-Stimme kommen möchten, gibt es übrigens einen kleinen Trost: Ein Auszug aus der Lesung wurde vor einiger Zeit mit Musik des Elektroprojekts Endwerk untermalt, auf CD gebannt und ist seit wenigen Tagen ebenfalls über den Periplaneta Verlag erhältlich.

Holly Loose (Hrsg.): „Weiße Geschichten 2: Eine Fan-Anthologie“
230 S., broschiert, 13 Euro
Verlag: edition subkultur (Oktober 2013)
Bei Amazon erhältlich

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