… warum harte Männer die Haare schön haben sollten

Es ist ein altbekanntes Bild auf diversen Metal-Festivals: Richtig harte Kerle mit wuchernden Bärten schwingen beim Headbangen ihr langes, möglichst zottiges Haar. Wenn man sie fragt, wer das Vorbild für die Haartracht ist, kommt hin und wieder als Antwort: „Das hatten schon die Wikinger so!“


Da muss ich meine gediegenen Leser leider, zumindest in einer Hinsicht, enttäuschen. Während ein kräftig sprießender Bart in der Tat ein Zeichen für wahre „Cojones“ war, konnten die Wikinger mit ungepflegten Wallemähnen rein gar nichts anfangen. Sie waren für ihre Zeitgenossen sogar ungewöhnlich gepflegt. So schreibt zum Beispiel John von Wallingford etwa 200 Jahre nachdem die Wikinger England eroberten, dass die angelsächsischen Frauen den Nordmännern förmlich hinterherliefen, weil diese eitlen Kerle doch tatsächlich jede Woche badeten und ihr Haar täglich kämmten. Angelsächsische Männer gaben offensichtlich nicht so viel auf ihr Äußeres.
Auch archäologische Funde stützen das Bild vom Wikinger, der die Haare schön hatte: In besonders reichen Gräbern finden sich meist herrlich verzierte, aus Elfenbein oder Knochen geschnitzte Kämme, und zwar in Männergräbern ebenso häufig wie in denen von Frauen. Auf bildlichen Darstellungen, wie zum Beispiel den Wandteppichen von Bayeux, sind die Wikinger zwar bärtig, aber immer frisiert. Meistens ist das Haar im Nacken kurz geschoren, vermutlich aus ganz praktischen Gründen: Offen getragen hätte es im Kampf gestört, als Dutt oder Pferdeschwanz aber unter dem Helm gescheuert.

Wenn nun aber die Wikinger so eitel waren, wie kam es zu dem Mythos, dass sie ungepflegte, haarige Kerle waren? Daran trägt ein gewisser Ibn Fadlan Mitschuld. Dieser arabische Gelehrte reiste – übrigens auch Vorbild für „The 13th Warrior“ – vom heutigen Irak aus in den Norden und begegnete an der Wolga einem Trupp Wikingern auf Raubzug. In seinem Reisebericht beschreibt er, mit einer ordentlichen Portion Ekel, dass die Wikinger jeden Morgen alle nacheinander ihre Gesichter und Hände wuschen – aus der gleichen Schüssel Wasser, in die sie auch kräftig hinein rotzten. Falls es sich so zugetragen hat, wäre das in der Tat ziemlich ekelhaft. Jedenfalls wurde Ibn Fadlans Reisebericht seit dem 19. Jahrhundert von diversen Forschern gelesen und mit dem Kommentar verbreitet, dass die Wikinger eben zottelige, raue Nordmänner gewesen seien. Offensichtlich hat das Image der Metal-Szene gefallen.
Es gibt aber einige wichtige Punkte, die man bedenken sollte, bevor man Ibn Fadlan glaubt: Einerseits waren die Wikinger, die er traf, auf Raubzug. Wenn jemand heute auf Abenteuer-Urlaub fährt, wird er es oft mit der Körperhygiene auch nicht so genau nehmen wie daheim, und sein bestes Beauty Case (im Fall der Wikinger dann der wertvolle Elfenbein-Kamm) wird er auch nicht mitschleppen. Außerdem kam Ibn Fadlan aus einer Kultur, die die „Ungläubigen“ von Haus aus schon einmal als unkultivierte Wilde betrachtet. Für Ibn Fadlan war es als Muslim selbstverständlich, sich fünfmal täglich vor dem Gebet zu waschen. Es ist also durchaus vorstellbar, dass er sich wirklich vor dem Wasch-Ritual der Wikinger geekelt hat und in seinem Bericht die Geschehnisse vielleicht noch etwas dramatisierte, um Lesern in seiner arabischen Heimat vor Augen zu führen, von was für Barbaren er im Norden umgeben war.

Wenn man als harter Metaller also eine Ausrede sucht, warum man sich nicht frisieren möchte, zieht der Wikinger-Mythos eher nicht. Außer man setzt den Festivalbesuch mit einem richtigen Wikinger-Raubzug gleich.

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