Wie jetzt, ein Schiff aus Nägeln?

Naglfar – der Name spaltet wohl meine Leserschaft. Die einen denken jetzt an eine schwedische Black Metal Band, oder sogar an eine in der Versenkung verschwundene deutsche Extreme Metal Combo. Die anderen wiederum überlegen, aus welchem Wort meine Autokorrektur wohl diesen Buchstabensalat produziert hat. Was kaum jemand weiß, ist, dass Naglfar, und somit auch der Bandname, seinen Ursprung in der nordischen Mythologie hat.


In der Edda ist Naglfar ein riesiges Schiff, das aus den Fingernägeln der Toten besteht. In Ragnarök, also kurz vor dem Weltuntergang, trägt es die Feinde der Asen aus der Unterwelt heran und läutet so die Schlacht ein, die zur Vernichtung der Welt führt. Gesteuert wird es wahlweise vom Frostriesen Hrimnir, oder sogar von Loki selbst.
Weil die Wikinger aber nicht dumm waren und obendrein absolut keine Lust auf Weltuntergang hatten, kamen sie schnell auf ein einfaches Mittel, um Ragnarök zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern: Den Toten wurden vor der Bestattung die Nägel gekürzt, so dass es in der Unterwelt ganz einfach kein Baumaterial für Naglfar geben würde. Dieses Vorgehen empfiehlt schon Snorri Sturluson in der Edda.

Jetzt fragt man sich natürlich, wie bitte kommt jemand auf den Gedanken, ein Schiff aus Nägeln zu bauen? Das ist doch ekelhaft. In der Tat besteht die Möglichkeit, dass Naglfar in der ursprünglichen Vorstellung gar nicht aus Nägeln bestand. Fachleute streiten sich darüber, ob der Name tatsächlich aus „nagli“ für Nagel entstand, oder nicht doch aus „nár“, Altnordisch für Leiche. Es kann also sein, dass Naglfar eigentlich aus kompletten Leichen bestand, und Snorri Sturluson, als er Jahrhunderte nach der Entstehung des Mythos von Ragnarök zu Tinte und Lederpergament griff, einfach nichts mehr davon wusste und ihm die Analogie Naglfar – Nagel in den Sinn kam.
Andererseits gab es bei vielen Indoeuropäischen Völkern Bräuche, die mit den Nägeln der Toten zu tun hatten. In alt-iranischen Sagen gibt es den Mythos, dass ungeschnittene Nägel von Bestatteten zu Dämonen werden können.
Dieser Glaube rührt vermutlich da her, dass im Laufe der Verwesung einer Leiche erst das Gewebe an den Fingern einfällt, bevor die Nägel vergehen – die Nägel sehen dann aus, als wären sie nach dem Tod weitergewachsen. Das muss sowohl den Wikingern als auch den alten Iranern sehr gruselig vorgekommen sein.

Ob Naglfar nun wirklich aus Nägeln gezimmert werden muss, oder ob komplette Leichen dafür völlig ausreichend sind, wird sich ohne neue Funde auf Runensteinen oder in Manuskripten wohl nicht mehr abschließend klären lassen. In jedem Fall ist es ein sehr passender Name für eine Black Metal Band. Was könnte schon unheimlicher sein als ein Schiff aus Leichenteilen, von einem Frostriesen gesteuert, das den Weltuntergang bringt?

Bildquelle: Wikipedia.

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