Geistheiler oder was?

Heute soll es trotz meiner persönlichen Leidenschaft einmal nicht um Wikinger und Mittelalter gehen, sondern um das Russland der ausgehenden Zarenzeit. Und zwar um Rasputin. Nun mag sich manch einer fragen: Was hat ein toter Mönch, den Boney M. besungen hat, mit Metal zu tun? Mehr als man glaubt. Da wäre einerseits der Song „Rasputin“ von den wilden Gesellen Turisas aus Finnland. Außerdem könnte man sagen, Rasputin hat die typische Metaller-Frisur – lange Haare und Rauschebart – in den Metropolen Europas salonfähig gemacht.
Aber wer war der Kerl eigentlich? Das will ich anhand der Lyrics von Turisas aufzeigen. (Vor dem Weiterlesen empfehle ich dem gediegenen Leser, sich mit dem Song vertraut zu machen, hier eine Hörprobe auf Youtube. Achtung, Ohrwurm-Potential!)

Erste Strophe:
There lived a certain Man in Russia long ago
He was big and strong, in his Eyes a flaming Glow
Most People looked at him with Terror and with Fear
But to Moscow Chicks he was such a lovely Dear
He could preach the Bible like a Preacher
Full of Ecstasy and Fire
But he also was the kind of Teacher
Women would desire

In der Tat liegt in diesem Text so einige Wahrheit. Rasputin lebte tatsächlich vor langer Zeit in Russland (1869-1916) und war außergewöhnlich groß und kräftig gebaut. Er betätigte sich ursprünglich als Wanderprediger in Westsibirien. Unter seinen frühen Anhängern befanden sich besonders viele jüngere Frauen, die seinen leidenschaftlichen Predigten mit Begeisterung lauschten und ihm bald so etwas wie geistheilerische Fähigkeiten nachsagten.

Refrain:

RA RA RASPUTIN
Lover of the Russian Queen
There was a Cat that really was gone
RA RA RASPUTIN
Russia’s greatest Love Machine
It was a Shame how he carried on

Im Refrain kommen wir nun zur Krux an Rasputin: Hatte der Teufelskerl wirklich was mit der Zarin? Und war er echt so gut im Bett? Die zweite Strophe schildert das noch näher:

He ruled the Russian Land and never mind the Czar
But the Kasachok he danced was really wunderbar
In all Affairs of State he was the Man to please
But he was real great when he had a Girl to squeeze
For the Queen he was no Wheeler Dealer
Though she’d heard the Things he’d done
She believed he was a holy Healer
Who would heal her Son

Die Vorwürfe, dass Rasputin der heimliche Herrscher Russlands sei, wurden ab Beginn des Ersten Weltkrieges laut, insbesondere, als sich das Kriegsglück gegen Russland zu wenden schien. Erwiesenermaßen hielt sich Rasputin oft bei Hofe auf und hatte Zugang zur Familie des Zaren. Die Zarin hatte nämlich von seinen angeblichen Fähigkeiten als Heiler gehört und hoffte, er könne ihren einzigen Sohn, den Zarewitsch, von seiner Bluterkrankheit heilen. Diese Krankheit hatte der junge Prinz von seinen Vorfahren geerbt – sie lässt sich bis zur britischen Königin Victoria zurückverfolgen. Um 1910 gab es dafür kein Heilmittel. Die Zarenfamilie wusste, dass der Thronerbe an einem kleinen Kratzer verbluten könnte. Ohne gesicherte Thronfolge bestand allerdings die Gefahr, dass das fragile Zarenreich zusammenbrechen und in Chaos versinken würde. Verständlich also, dass die Zarin nach jedem Strohhalm griff. Genauso verständlich war aber auch, dass die Feinde des Zaren so eine vermeintliche Abhängigkeit von einem Scharlatan sofort ausnutzten und eifrig Propaganda gegen Rasputin und somit indirekt auch gegen die Zarenfamilie machten. Zu seiner Verteidigung trug Rasputin nun auch nicht unbedingt bei, noch während des Krieges wurde er mehrfach dabei beobachtet, wie er sturzbetrunken aus Moskauer und Petersburger Spelunken stolperte. Immer mehr wurde Rasputin so zu einem Risiko für den Zaren – am 17.12.1916 wurde er schließlich ermordet, vermutlich von engen Vertrauten des Herrschers. Allerdings war es da für die Zarenfamilie selbst auch schon zu spät, kurz darauf wurde Zar Nikolaus von Bolschewiken entmachtet und wenig später mit seiner gesamten Familie erschossen.

Wo hat jetzt Rasputin genau seinen Ruf als „Love Machine“ her? Nun, nachdem die Bolschewiken die Macht übernommen hatten, war ihnen daran gelegen, dass sich niemand mehr das Zarenreich zurückwünschen sollte. Schnell wurde der ehemalige Wanderprediger zu einem Symbol für die Korruption des alten Russlands erklärt und als ultimativer, verschlagener Bösewicht dargestellt. Ob er das wirklich war? Neuere Untersuchungen deuten eher darauf hin, dass er ein recht geschickter und zudem alkoholabhängiger Betrüger war, der in der Verzweiflung der Zarin seine Chance auf Ruhm und Reichtum sah. Ob er mit der Zarin im Bett war? Das wird sich weder beweisen noch widerlegen lassen. Man darf jedoch getrost davon ausgehen, dass er weder der größte russische Lover aller Zeiten, noch ein Hellseher oder der heimliche Herrscher über Russland war.

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