Take care and control
Wie schreibt man über etwas, das eigentlich nicht in Worte zu fassen ist? Das immer noch nicht zu begreifen ist? Wie würdigt man einen Menschen, dessen Tod nicht nur Familie und Freund*innen unter Schock und in tiefer Trauer zurücklässt, sondern auch weltweit unzählige Menschen – Kolleg*innen, Fans usw. – bestürzt? Wie schreibt man über einen Menschen, den man nicht ein Leben lang kannte wie so viele andere, dessen Schaffen und vor allem dessen Persönlichkeit man aber unbedingt würdigen möchte? Ich habe keine Ahnung. Andere, die ihn länger gekannt und intensiv mit ihm zusammengearbeitet haben, können das besser. Und trotzdem erzähle ich jetzt ein wenig über Andreas Catjar-Danielsson, langjähriges Mitglied von Covenant und noch so viel mehr, einen enorm kreativen und vielseitigen Künstler und klugen, faszinierenden Menschen. Ihn persönlich kann man nicht mehr kennenlernen, seine fantastische Musik jedoch schon.
Geboren am 03.03.1973, aufgewachsen in Helsingborg, spielte Andreas schon früh alle möglichen Musikinstrumente und als Schüler natürlich auch schon in Bands. Joakim Montelius von Covenant schreibt auf Facebook in seinem berührenden ersten Post nach Andreas’ Tod: „I still have a vivid memory from another time and age. In our hometown of Helsingborg, in the late 80s, there was a small venue with an open stage. We played there a few times before we were Covenant. Andreas was few years younger, just a kid really, but when we saw him play with The Raftsmen it was the coolest thing ever. This scrawny 16-year old just made everyone else seem ordinary and boring. He played his guitar with drum sticks. He made the most heavenly racket ever heard in town. And the amazing thing was the way he didn’t make a show of it. It just came natural to him. Effortless. Like it was just the way it was supposed to be.“
Andreas war ein Soundwizard, der leise Töne genauso beherrschte wie dissonanten Noise und Emotionen und Gedanken perfekt in Musik und Klänge übersetzen konnte. Herzzerreißende Schönheit wie bei seinen Solosachen und den jüngsten Kollaborationen mit Antonia Henn, melancholische Neofolk-Indie-Klänge wie bei seinen Bands Baby Blonde and The Downs, Down in June und Lovac, wilder, aufmüpfiger Indie-Rock wie bei seiner Band Souls (deren Debütalbum Tjitchischtsiy (Sudêk) von niemand Geringerem als Steve Albini produziert wurde), Black Metal wie beim Projekt Korpelarörelsen, Experimentalfolk wie bei Undantaget – ein winziger Ausschnitt aus seinem enormen und maximal vielseitigen Schaffen. Und alles, alles, alles ist fantastisch, von tiefer Musikalität und Seele durchdrungen. (Weitere Bands und Projekte waren zum Beispiel: The Commercial Side of Laziness, Haag, Brudjävlar, The Veryones, Home Made Hi-Fi, Pass the Angel, Wir bleiben, Broken)
Ein großer Teil, wichtiger Teil seiner Karriere war auch die Musik für Theaterproduktionen und Performances, in Schweden (Institutet in Malmö/Teater Institutet in Vitsaniemi), Finnland (Taideyliopiston Teatterikorkeakoulu – Konstuniversitetets Teaterhögskola) und Deutschland (u. a. in Mainz, wo er die Musik für die Nibelungen-Aufführung von Jan-Christoph Gockel komponiert und in der er auch mitgespielt hat). Mit Andriana Seecker zum Beispiel brachte er in Berlin die Performance „It’s never too late“ auf die Bühne, in der Tänzerin Andriana und Musiker Andreas die Rollen tauschten. In Stockholm war er vor zwei Jahren für die Musik für die Aufführungsreihe „The Unknown“ von Markus Öhrn verantwortlich, bei der an jedem Abend etwas anderes präsentiert wurde und bei der das Publikum vorab nicht wusste, was auf der Bühne eines der kleineren Säle im ehrwürdigen Dramaten passieren würde. (Ich war an einem Abend dabei und habe einen Auftritt von O+THER genießen dürfen – für mich als Goth nichts Ungewöhnliches, für das in weiten Teilen Nicht-Goth-Publikum sicher sehr Unknown und etwas, worauf man sich einlassen musste.)
Den meisten internationalen Fans wird er vermutlich als Mitglied von Covenant bekannt sein, deren Sound er mit Gitarre, mehr Noise, mehr Ambient und Lee Hazlewood bereichert hat, und auch ich bin vor vielen Jahren so auf ihn aufmerksam geworden.
Januar 2013: Meine immerwährende Lieblingsband hatte kurzfristig ein Konzert in Malmö angekündigt, und ich beschloss spontan, hinzufahren. Manches muss man einfach machen, egal wie verrückt. In zehn Minuten waren Konzert- und Flugticket sowie Hotel gebucht, und zehn Tage später stand ich am 26.01.13 in Malmö im Babel Club, einer ehemaligen Kirche (sehr kultig!). Die Vorband Cryo hatte gerade gespielt, der Umbau war in vollem Gange, und ein groß gewachsener Mann kam auf die Bühne. Meine ersten Gedanken waren: „Oh, wer ist das denn? Und was baut er da alles an Instrumenten auf? Ernsthaft, eine Gitarre??“
An diesem Abend – der natürlich fantastisch war – stand Andreas zum ersten Mal mit Covenant auf der Bühne und hat mich mit seinen verrückten, noisigen Sounds, mit denen er die geliebten Songs bereicherte, vom ersten Moment an fasziniert.
Zum Glück sollten noch viele Konzerte mit ihm und Covenant folgen, zum Beispiel die beiden Auftritte der Band beim „Call the ship to port“-Event des Amphi-Festivals oder die beiden Konzerte im Rahmen des Gothic Meets Klassik im Haus Auensee und im Gewandhaus in Leipzig. Oder auch die unvergesslichen Konzerte der Fieldworks-Tour 2019. Andreas war – oft in Begleitung von „Betty“* – die perfekte Bereicherung für das Kollektiv Covenant, das sich ständig weiterentwickelt, ständig auf der Suche nach neuen Sounds und Ausdrucksmöglichkeiten ist, das auf der Bühne natürlich die großen Hits spielt, aber immer in abgeänderten und oft auch improvisierten Versionen. Und improvisieren konnte Andreas (siehe auch seine beeindruckenden Improvisationsarbeiten bei Theateraufführungen). Ein Moment ist mir besonders in Erinnerung geblieben, im Haus Auensee. Ich weiß nicht mehr, welches Lied Covenant gerade spielten, Andreas improvisierte sich jedenfalls gerade an seiner Gitarre und anderen Geräten in Trance und erzeugte himmlische Geräusche, der Song musste aber natürlich trotzdem irgendwann zum Ende kommen. Nach einem amüsierten kurzen Hinweis von Eskil erwachte er überrascht und leicht verwirrt aus seiner Konzentration, und das war einfach ein rundum niedlicher und sehr typischer Andreas-Moment.
* „Betty“ ist ein speziell für Andreas von Derek Holzer gebautes Instrument zur Geräuscherzeugung. Mehr Infos zu Derek Holzer hier. Mehr Infos zu Betty hier.
Andere könnten sicher noch Unmengen solcher und noch viel persönlicherer Anekdoten beisteuern, die Freunde und Bandmitglieder von Covenant oder auch Erica Li Lundqvist, mit der er in den letzten Jahren bei den wunderbaren Abu Nein und davor in diversen anderen Bands gespielt hat (bei den schon erwähnten Baby Blonde and The Downs, Down in June und Lovac sowie The Veryones). Vielleicht – hoffentlich! – tun sie es im Lauf der Zeit, wenn sich der erste große Schock gelegt hat.
Vor allem aber war Andreas Catjar-Danielsson ein unfasslich netter Mensch, bescheiden und aufmerksam, der die Welt jeden Tag ein bisschen schöner gemacht hat. Nicht nur durch seine Musik, sondern auch durch die Kunst verschiedenster Epochen und Genres, die er auf seinem Facebook- und seinem Instagram-Kanal jeden Tag mehrfach geteilt hat. Jede Begegnung, jeder Kontakt mit ihm ist in Erinnerung geblieben, er hat Menschen tief berührt. Seine letzte Nachricht an mich vor ein paar Monaten beendete er wie meistens mit den Worten: „Allt kommer bli bra.“ Alles wird gut.
Da war er schon seit Langem schwer an Krebs erkrankt. Bis zuletzt machte er Musik, auch live. Am 29.07.24 hat er mit 51 Jahren viel zu früh die Bühne des Lebens verlassen. Unser tiefes Beileid zu diesem riesigen Verlust gilt seiner Familie und seinen Freund*innen und allen anderen, die ihn vermissen werden. Tack, Andreas, för musiken, för din vänskap, för allt. Take care and control.
Andreas‘ Bandcampseite
Andreas‘ YouTube-Kanal
Hörempfehlungen
Die letzte Zusammenarbeit mit Antonia Henn, ein Genesis-Cover.
Solo
Mit Abu Nein
Mit Covenant und Erica Li Lundqvist
Mit Undantaget
Mit Souls
Mit Lovac
Mit Baby Blonde and The Downs
https://moonpalacerecords.bandcamp.com/track/rollercoaster-confusion
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