BiG-THIEF_Manchmal sind es die besten Bands, für die man den längsten Anlauf braucht, und ich habe noch selten so lange gebraucht wie für Big Thief. Das Quartett aus Brooklyn, New York, wird oft unter dem Label Indie-Folk gehandelt, aber ihr Stil ist nicht auf diesen oder irgendeinen anderen Begriff zu reduzieren. Dass hier ein paar Leute ihr Leben lang Musik gemacht und auch studiert haben, dass Adrianne Lenkers Kompositionen und ihre charakteristische Spiel- und Gesangstechnik auch Anleihen aus Singer/Songwriter und Rock haben, Gitarrist Buck Meek aus Texas stammt, was von Jazz versteht und sehr gut darin ist, die richtigen Noten wegzulassen, Drummer James Krivchenia auch Soundtechniker ist und nebenher experimentelle elektronische Musik macht, während Bassist Max Oleartchik einfach immer exakt das (und nur das) spielt, was der Song gerade braucht, das kann man ja alles heraushören – aber es erklärt nicht den völlig eigenen Stil oder die außergewöhnliche Intensität und Dunkelheit, die ihre Musik auszeichnen. Die steht für sich, und vielleicht braucht es ja auch einfach mal kein Genre-Label.

Mir war letztes Jahr schon mehrmals von dieser fabelhaften und fabelhaft düsteren Band erzählt worden, aber der richtige Moment war für mich offenbar einfach noch nicht gekommen. Bis Anfang dieses Jahres ihr drittes Album U.F.O.F. angekündigt wurde und ein Freund einigermaßen fassungslos kommentierte, dass ausgerechnet der für ihn allerbeste, packendste und vollkommenste der neuen, schon live gespielten Songs es nicht aufs Album geschafft habe, nämlich – irgendwie ja passend – „Not“. Als ich mir diesen Song dann mal anhörte, war es auch um mich geschehen.
U.F.O.F. erschien im Mai dieses Jahres, ist auch ohne „Not“ ein (um es mit äußerster Zurückhaltung zu formulieren) sehr, sehr gutes Album und, wie ich fand, quasi unrezensierbar. Versucht hatte ich es trotzdem, und wer mag, kann das hier noch nachlesen, bevor schon wieder das nächste Kapitel ansteht.
Denn jetzt, gerade mal dreieinhalb Monate nach diesem Meisterwerk und grad so, als wär gar nichts gewesen, kündigen Big Thief schon das nächste Album Two Hands an. Noch in derselben Woche begonnen, in der U.F.O.F. fertig geworden war, und als das irdische Gegenüber des sphärischen Vorgängers konzipiert, soll es im Oktober erscheinen. Einige der Songs auf der Tracklist sind von Konzerten und Live-Mitschnitten bekannt; mit ihnen steht schon mal fest, dass Two Hands alles werden mag, aber ganz sicher keine verlängerte B-Seite von U.F.O.F. Wo auch immer man die kreative Energie für zwei eigenständige und tatsächlich notwendige Alben innerhalb einiger Monate hernimmt, diese Band hat sie.

Und die erste Vorab-Single ist (innerlicher Freudensalto!) „Not“. Manchmal hat man ja ein wenig Angst, was gerade aus den Songs, die einem live immer wieder den Boden unter den Füßen wegziehen, im Studio wird – geht die Unmittelbarkeit verloren, erliegen Band oder Produzent der Versuchung, den Song aus- und totzuproduzieren? Hier nicht, zum Glück: „Not“ in der Studio-Version ist noch ganz genauso trocken und zurückgenommen; wenn, dann wird die unterschwellige, unheimliche, ungeheure Energie, die sich aufbaut und aufbaut und immer nur weiter aufbaut, hier sogar noch zwingender. Mehrminütiges Elmsfeuer und statische Elektrizität, reines Potential ohne Auflösung, ohne jede mögliche Erlösung, die ganze Gewalt von allem, was es nicht ist, alle Gewalt, die nie losbricht, nicht nach außen: eine langsame, umfassende, gespenstisch und fast qualvoll schöne Implosion.

Two Hands erscheint am 11. Oktober auf 4AD, eine Europa-Tour steht im Frühling an.

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