deserterDeSerter – wer? Auch wenn das Projekt vielleicht jetzt erst wenige kennen mögen, reinhören lohnt sich, denn DeSerter erschafft seine ganz eigene Welt der Popmusik, die aber trotz aller Eingängigkeit nicht oberflächlich ist. Am 14.11. erscheint das Debütalbum The Good Life mit zehn spannenden Popmusikperlen.

Doch wer ist DeSerter eigentlich? Folgender Pressetext gibt vielleicht ein wenig Aufklärung:

DeSerter bedeutet: Abtrünniger, Fahnenflüchtiger. DeSerter ist neu und anders. Eigenständig, autonom, unabhängig. Frei, neue Wege zu gehen. Frei aber auch, aufzugreifen, was bisher geschah und frei, zu verbinden, was vielen als unvereinbar gilt.

Wer Vergleiche sucht, findet sie überall und nirgends: In den Protestbewegungen der Sechziger, bei den Singer/Songwritern der Siebziger, aus Punk entstandenem New Wave der Achtziger über 118 bis 122 BpM der Neunziger bis hin zu den postmodernen Auflösungserscheinungen der Gegenwart.

Der Eklektizismus wird formal begrenzt durch Unverwechselbarkeit als Sänger und Songschreiber. Die Beliebigkeit des Inhalts wird vermieden durch den Mut zur Botschaft: Die allseits verpönte „Message“ wird in die Popmusik reimportiert, aber ohne lästige Großschnäuzigkeit oder wohlfeilen Weltschmerz. An deren Stelle treten Verbindlichkeit, Authentizität und eine Auseinandersetzung mit Themen dieser Zeit oder schlicht jeder Zeit. Zugleich geht es um die Rückbesinnung auf den ursprünglichen Ansatz: Rock’n’Roll, Rock, Pop als Rebellion oder zumindest Aufbegehren des Individuums gegen den Gleichschritt (gleich ob politisch oder von einem imaginären „Markt“ diktiert), andererseits die konsequente Ersetzung des Handgeschnitzten durch die Nutzung der digitalen Möglichkeiten.

Denn DeSerter steht auch für ein einfaches Konzept: „Keep it simple“ lautet die Devise. Ein Mensch mit einem Mikrofon und einem Rechner, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Wenn man so will: Ein Singer/Songwriter mit dem Laptop in der Hand.

DeSerter fordert also auch zur Nachahmung auf: So kann jedes Kind seine/ihre Idee von Musik schnell, einfach und mit extrem niedrigen Kosten verwirklichen. Das ist natürlich kein Dogma: Mit der Gitarre geht es auch. Aber: Wir leben im 21. Jahrhundert. Die CPU schafft dem Einzelnen neuen Raum und neue Freiheiten für den direkten, unverfälschten, kompromisslosen Ausdruck der eigenen Gefühle und Gedanken. Für den eigenen Song. Das ist nicht der einzige Weg zur Renaissance der Idee von Pop/Rock/Rock ’n’ Roll, die jenseits aller Stile und Moden immer die gleichen geblieben sind. Aber es ist immerhin ein Weg.

DeSerter ist also im mehrfachen Sinne fahnenflüchtig, abtrünnig: Radikale Individualität gegen die Macht der Mode oder des „Marktes“, die im Zeitalter des Netzes in Wahrheit ohnehin vor allem noch als Wunschtraum oder Wahnvorstellung der Industrie existiert und zugleich eine Nutzung der neuen Technik nicht bloß für den Verbraucher, sondern für den Menschen als schöpferischem Wesen bedeutet. Hinzu kommt: DeSerter ist nicht als Produkt aus Deutschland für Deutschland zu verstehen, sondern als Europäer, der sich in mehreren Sprachen ausdrückt und von Anfang an alle anspricht, die offene Grenzen nicht nur als Erleichterung an der Grenze, sondern auch und vor allem als Symbol verstehen: Mit Armeen aus Fahnenflüchtigen werden Nationen sich jedenfalls nicht mehr bekriegen können.

Pathos? Wahrscheinlich. Vergröberung? Bestimmt. So aber war es immer: my, my, hey hey … (oder „my oh my“? Die Grenzen sind fließend und sollen es auch bleiben).

Am 14.11.2014 erscheint das Album The Good Life. Der Titel ist Programm: Wirtschaftswissenschaftler kennen den Begriff als Umschreibung nicht eines Lebens im Überfluss, sondern im Gegenteil: eines menschlichen Lebens (vgl. etwa die Publikationen von Sidelsky/Sidelsky: How much is enough? Money and the good Life, 2012, oder von Nussbaum/Sen: The quality of Life, 2004). Im Song heißt es folglich, bezogen auf die Bankenkrise und ihre Folgen, aus der Perspektive des Nicht-Global-Players und auch nicht des Konsumenten, sondern des Menschen, der ein Leben leben will: „While the Doers ain’t caught we play a different game: We lead the Good Life.“

Vorab veröffentlicht DeSerter die Single “Pictures of me”, eine Auseinandersetzung mit der Macht der Bilder, inspiriert u.a. von Neil Postman (vgl. etwa schon 1992 Postman/Powers: How to watch TV). Der Bogen wird dabei von der privaten zur globalen Katastrophe gespannt und der Punkt ist: Wir können versuchen zu glauben, an den Frieden, die Menschheit oder gar Gott, aber es wird uns schwerlich gelingen uns der suggestiven Kraft von Bildern zu entziehen, im Guten wie im Schlechten. Und das mag auch mit dem Gefühl zu tun haben: Das könnte auch ich sein – What if that’s Pictures of me?

Opener des Album ist der Song “First World Third”. Ein Beispiel dazu: Kürzlich sprach eine aufgebrachte afroamerikanische Bürgerin aus Ferguson, Missouri, angesichts des Verhaltens der Polizei, die einen Minderjährigen erschossen hatte, in die Mikrofone: „Today the United States are the Third World.“ Darum geht es: Was macht die angeblich erste Welt eigentlich aus? Das Bruttosozialprodukt? Oder sollte es nicht um mehr gehen, die Art, miteinander umzugehen, sich gegenseitig zu respektieren und Rechte zuzugestehen, und wie sieht es damit aus? Vielleicht haben andere dem Westen hier inzwischen etwas voraus, z. B. die Bolivianer, von denen im Song die Rede ist, und die sich von der Bevormundung durch die USA losgesagt haben? Und außerdem: Lampedusa wirft ein trübes Licht auf unsere erste Welt.

Quelle: result promotion

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