Es sollte bekannt sein, trotzdem muss es leider wohl noch sehr häufig wiederholt werden, bevor sich etwas ändert: Betroffene von sexualisierter Gewalt und anderen Übergriffen sehen sich grundsätzlich der sehr realen Gefahr gegenüber, nicht ernst genommen zu werden, wenn sie über das Erlebte sprechen oder Anzeige erstatten – sei es bei den Behörden, von Dritten oder in der Öffentlichkeit. Und immer noch werden oft die Betroffenen selbst beschuldigt, dass sie etwa irgendwie „selber schuld“ seien oder aus irgendwelchen Gründen nur jemanden verleumden wollten. Wer trotzdem öffentlich über das Geschehene spricht und Anzeige erstattet, kann sich unter Umständen selber mit juristischen Folgen konfrontiert sehen, wenn ein Übergriff nicht genau so bewiesen werden kann, wie das Gericht es fordert. Ren Aldridge von der Londoner Punk-/Post-Hardcore-Band Petrol Girls schreibt auf Bandcamp dazu:
„On the one hand, the criminal justice system consistently fails and often further traumatises the minority of survivors who decide to report to the police. This system clearly does not protect the majority of survivors and I personally do not believe it holds any answers in dealing with gender based violence. Then on the other hand, when survivors and their allies try to protect one another by speaking out about abusive behaviour, they become vulnerable to libel / defamation law. And in both criminal and libel cases, the burden of truth is placed on the survivor. Literally what does the law expect us to do?“

In England spielt sich seit einigen Jahren ein Fall in der Musikszene ab, der auch hierzulande Aufmerksamkeit verdient. Ex-Partnerinnen hatten 2016 gegen einen in UK sehr bekannten Musiker Vorwürfe erhoben, und mehrere Musikerinnen hatten diejenigen, die damit an die Öffentlichkeit gegangen waren, anschließend unterstützt, darunter Nadia Javed von der Pop-Punk-Band The Tuts und Ren Aldridge. Daraufhin erhielten sie von den Anwält*innen des Betreffenden Verleumdungsklagen und Kompensationsforderungen. Einige von ihnen fanden sich daraufhin zusammen, um ihre Verteidigung zu organisieren, da sie den Forderungen nicht nachkommen können und wollen. Der Rechtsstreit zieht sich seit mittlerweile über vier Jahren hin. Das alles kostet natürlich extrem viel Zeit, Nerven, und außerdem mehr Geld, als Normalsterbliche haben. Darum haben sich mittlerweile weitere Musiker*innen solidarisiert, ein Fundraiser wurde ins Leben gerufen, so dass es etwas moralische und finanzielle Unterstützung gibt in einer Situation, die für die Einzelne kaum noch zu schultern wäre. Das Motto, dass sich Betroffene und Unterstützer*innen gegeben haben: Solidarity not silence.

Diese Solidarität äußert sich auch musikalisch. Ende 2020 haben bereits Petrol Girls mit „I believe them“ einen Song zu dem Thema veröffentlicht, und dazu ein schlichtes und aufwühlendes Video.

Mit „This is sisterhood“ erschien Anfang Mai dieses Jahres ein zweiter Song, um Aufmerksamkeit und finanzielle Unterstützung für den Fall zu schaffen. Mit dabei sind diesmal u.a. Kathleen Hannah (Bikini Kill, Le Tigre), The Tuts, Petrol Girls, Colour Me Wednesday und Personal Best. Nadia Javed von The Tuts schreibt auf dem Fundraiser dazu:
„This song isn’t only to raise funds and awareness for our legal case and survivors but also for the wider issue. It’s for anyone who wasn’t believed, for anyone who spoke up and got shut down, for the fuckery caused by the CPS, for that person who is too scared to speak up, for that person who has to live with the haunting trauma and so much more. We hope that this song is somewhere you can feel safe, believed and feel less alone.“

Bis und damit die Gesellschaft endlich zu einem besseren Umgang mit Überlebenden von (sexualisierter) Gewalt findet, müssen das Schweigen und die Isolation gebrochen werden und gebrochen werden können, ohne Angst vor Existenzverlust. Und wo Systeme versagen, können Unterstützer*innen-Netzwerke helfen. Solidarität statt Schweigen, das darf und sollte oft und laut wiederholt und in die Tat umgesetzt werden!

Crowdfunder: https://www.crowdjustice.com/case/solidaritynotsilence/
Bandcamp: https://solidaritynotsilence.bandcamp.com/

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