Eines Tages Baby …

Julia Engelmann1

Haltestelle Hackerbrücke. Wo geht’s jetzt zum Circus Krone, wo heute Abend Julia Engelmann spielt? Ich denke, einfach den Scharen junger Mädchen nach. Und richtig: Hier im schönen Circus Krone sieht man sie alle wieder. Beginn ist um 20 Uhr, und um 19.30 Uhr ist schon fast jeder Platz besetzt. Dennoch, guter Blick auf die Bühne, die spärlich ausgestattet ist, ein kleines Tischchen mit Wasser, Gitarre, Mikro und im Hintergrund Selbstgebasteltes, das ein bisschen wie für einen Kindergarten aussieht. Ich bin gespannt, ob die junge Frau die Bühne rockt – so ganz alleine.

Um 20 Uhr ertönt im Hintergrund „One Day – The Reckoning Song“ von Asaf Avidan. Und dann kommt sie auch schon, eine frische, junge, 24jährige Frau, gänzlich unglamourös gestylt, ein offenes freundliches Gesicht.

Sofort merkt man ihre positive Ausstrahlung. Sie bindet das Publikum von Anfang an mit ein, erzählt Persönliches. Wie sie, die kleine Quasselstrippe, die schon immer schreiben wollte, die Lehrerin rasend machte, weil sie immer noch ein Extrablatt für den Aufsatz wollte, wo die anderen schon längst abgegeben hatten, mit Poetry Slam ihr Format gefunden hat. Mit vorgegebenen Richtlinien, Slams, die nicht länger als fünf Minuten dauern sollen, kam sie klar. Sie tingelte etwas herum neben ihrem Studium, war auch schon im Münchner Substanz, aber jetzt, hier in München im Circus Krone Bau, das ist ihr bislang größter Auftritt. Sie erzählt von der Entstehung ihrer Gedichte, zum Beispiel vom überhaupt allerschönsten Taxistand, dem gegenüber sie damals in ihrer WG gewohnt hat, von den Großeltern und vom Bruder, für den sie ein Gedicht geschrieben hat, das ganz einfach „Für meinen Bruder“ heißt, aber Gänsehaut verursacht, so eindringlich ist es. Ganz beeindruckende Gedichte bietet sie dar, persönlich Erlebtes, aber auch kleine skurrile Geschichten wie das Eichhörnchenmärchen oder das Lied, das nur aus Anglizismen besteht, der Anglizismen-Rap. Sie redet wie ein Wasserfall ohne Punkt und Komma, aber pointiert, beim Poetry Slam muss alles sitzen, ein verbockter Reim geht nicht auf. Ich bin beeindruckt, dass dieser viele Text während der zwei Stunden auf Knopfdruck aus ihrem Kopf strömt. Zwischendrin spielt sie Gitarre und singt – und zwar gut -, und das Publikum darf auch Fragen stellen, Mama reicht das Mikrofon herum.

Am Ende kommt noch das, worauf viele sicher gewartet haben: Sie intoniert die ersten Zeilen des „Reckoning Song“ und performt dann das Gedicht. Frenetischer Jubel, die Leute stehen auf. Sie freut sich, wirft mit Konfetti um sich, macht ein Selfie von sich und dem Publikum im Hintergrund für Facebook.

Nach der Vorstellung könnte man sich in ihrem selbst gebastelten Album verewigen, Fragen stellen, Fotos mit ihr machen. Und wem das jetzt alles irgendwie zu niedlich und kitschig erscheint: Wirklich, es berührt die Leute, entweder heult man fast, oder man ist happy. Julia Engelmann singt und spricht darüber, wie wir unser Glück selbst in die Hand nehmen können, Träume wahr werden lassen, Glücksmomente feiern können: mit Grapefruits und Konfettiregen!

Sie sagt über sich selbst in einem Gedicht:
„Ich bin kein süßes Mäuschen, keine Prinzessin, keine Diva.
Ich bin unter weißen Pudeln eher der Golden Retriever.
Manchmal wäre ich gerne zarter, aber das hat keinen Zweck,
ich bin kein Modelmädchen, ich bin komplett unperfekt.“
Und das ist gut so.

Julia Engelmann wurde 1992 in Bremen geboren und ist eine der beliebtesten deutschen Vertreterinnen des Poetry Slam, seit 2014 das Video ihres Vortrags „One Day“ beim Bielefelder Hörsaal-Slam zum Überraschungshit im Netz und bisher mehr als neun Millionen Mal angeklickt, geliked und geteilt wurde. Im Oktober 2016 ist ihr drittes Buch erschienen, das wie immer „Baby“ im Titel hat.

 

 Wie alles begann:
 

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