Glasgow through and through

Glasgow ist eine Stadt, die auf den ersten Blick nur aus niemals ganz austrocknenden Pfützen zu bestehen scheint und in der es auch gern mal waagerecht regnet. Amy Macdonald singt in The Green and the Blue über ihre Heimat nicht umsonst „The sun, it never shines and the wind, it always blows“ – endlich verstehe ich, wie ernst sie diese Zeile eigentlich meint.
Und trotzdem scheint Glasgow auf magische Weise anziehend zu wirken, und das nicht nur auf Briten. Die Gegend blüht auf, drei Universitäten und eine gesunde Wirtschaft locken junge Leute aus aller Herren Länder in die ehemals schmuddelige Industriestadt. Die Nähe zum Loch Lomond, hinter dem sich die majestätischen, rauen Highlands erheben, ist nicht nur für Wanderfreunde ein Anreiz.

Aber fangen wir von vorne an. Glasgow spielte in der britischen Geschichte eine bedeutende Rolle, war es doch lange der drittgrößte Hafen des Landes. Von hier aus konnte über den Fluss Clyde einmal jedes Land der Erde erreicht werden, der Handel florierte und die Stadt wurde zu einem wichtigen Zentrum des Britischen Empires. Aus dieser Zeit stammt auch ein Teil der Innenstadt, Merchant City, in der sich damals die reichen Tabakhändler angesiedelt haben. Mit der Industriellen Revolution wurde es aber mehr und mehr zur wenig attraktiven Hafenstadt, geprägt von Schiffbau und Armut. Und heute? Die alten Docks werden zu Luxuswohngegenden umgebaut, in ehemaligen Fabriken siedeln sich Galerien an und Tabakhandel gibt es auch keinen mehr, dafür ist Merchant City jetzt von Restaurants und Pubs jeglicher Couleur geprägt. Der Clyde selbst ist mittlerweile versandet und große Schiffe schaffen es nicht mehr bis in die Stadt. Nur wenige Gegenden erinnern noch an die Industrielandschaft, die Glasgow einmal war, doch die Glaswegians, wie die Einwohner genannt werden, sind stolz auf ihre Geschichte und lassen sie nicht in Vergessenheit geraten. Diese bescheidene Art macht die Bewohner Schottlands generell extrem sympathisch. Sie haben ständig ein freundliches Wort auf den Lippen, sind höflich und sogar noch hilfsbereiter als ihre englischen Nachbarn.

Die Innenstadt selbst lockt Gäste aus aller Welt vor allem durch ihr Shopping-Angebot. Die „Style Mile“, wie dieser Stadtteil auch genannt wird, ist in Großbritannien als zweitbeste Shopping-Meile nach der Londoner Oxford/Regent Street bekannt. Einkaufszentren, Straßen und Märkte locken mit Angeboten für jeden Geldbeutel und jedes Interesse, von Second Hand bis Haute Couture.

Der zweite Schwerpunkt des modernen Glasgow ist zweifellos kulinarischer Natur: Pubs und hochkarätige Restaurants reihen sich in manchen Gegenden wie Perlen auf die Kette, man weiß schlicht gar nicht, wo man sich zuerst durchs Menü arbeiten soll. Ich

kann unmöglich alles aufzählen, doch ein ganz besonderer Schatz darf nicht unerwähnt bleiben: Im Westend, direkt am Botanischen Garten, steht eine Kirche. Doch nur auf den ersten Blick, denn tatsächlich versteckt sich in diesem geschichtsträchtigen Gemäuer das Òran Mór, das nicht nur Restaurant und Pub ist, sondern auch gleich noch ein Theater. Mit „A Play, a Pie and a Pint“ lockt es seine Gäste und punktet mit ausgezeichneter schottischer Küche zu kleinen Preisen und einer geradezu beängstigend großen Auswahl an erlesenen Whiskies.
Das Theater im Òran Mór ist natürlich nicht das einzige seiner Art, tatsächlich war Glasgow bereits 1990 Europäische Kulturhauptstadt, und seitdem ist der kulturelle Ruf der Stadt nur gewachsen. Sie beheimatet unter anderem das National Theatre of Scotland, das Royal Scottish National Orchestra und das BBC Scottish Symphony Orchestra, die in mehreren großen Theatern und Konzerthallen ihr Können zum Besten geben.
Glasgow ist eine alte Stadt voller Geschichte, fühlt sich dabei aber trotzdem immer jung und florierend an. Sie strotzt vor Leben und bietet nicht nur Kulturfreunden eine ganze Menge. Wenn man einen Urlaub im Inselkönigkreich plant, mag sie einem nicht spontan als Ziel in den Sinn kommen, aber Glasgow ist tatsächlich eine Reise wert – außerdem kann man von hier bequem die Highlands erreichen und dort einen Wander- oder Whisky-Tasting-Urlaub anhängen.
Einen Regenschirm sollte man aber dann doch immer dabei haben.

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