Ein aussichtsloser Kampf

Amerika auf dem Weg in ein neues Jahrhundert: Im Jahr 1900 glaubt Isaac Cline, Meteorologe in Galveston, Texas, noch uneingeschränkt an das – seiner Meinung nach – allumfassende Verständnis der Menschen für Natur und Naturgewalten. Als eines Nachts ungewöhnliche Wellen die aufstrebende Küstenstadt erreichen, verwundert ihn das zwar, doch alle Instrumente verhalten sich normal, und auch der Wetterdienst ist nicht im Mindesten beunruhigt. Schließlich wurde gerade erst herausgefunden, dass schwere tropische Stürme diese Gegend gar nicht erreichen könnten. Außerdem sei der tropische Sturm, der gerade die Karibik überquert hatte, sowieso nicht ernst zu nehmen und würde bald nach Norden abdrehen.
Am 8. September 1900 brach die Hölle in Gestalt eines Hurricanes der Kategorie 4 über Galveston, Texas, herein.

Wieso sich einen Thriller ausdenken, wenn die Geschichte selbst so viele liefern kann – das dachte sich wohl Erik Larson, als er die wahre Geschichte um „Isaacs Sturm“ in einem packenden Roman zusammenfasste. Brillant und ausführlich recherchiert verknüpft der Autor Augenzeugenberichte mit Wissenschaft und zeichnet so ein ganz und gar erschreckendes Bild der Begebenheiten zwischen dem 8. und dem 9. September 1900.
Isaacs Sturm braucht etwas, um in Fahrt zu kommen, und gleicht damit dem Hurricane, der irgendwo über der afrikanischen Savanne als gerade mal laues Lüftchen begann. Doch der Leser sollte sich nicht täuschen lassen, denn mit seiner Reise über den Ozean nimmt der Sturm gewaltige Ausmaße an – und mit ihm das Buch. Spätestens, als das Meer in die Straßen Galvestons gedrückt wird, verwandelt es sich vom historischen Bericht in einen mitreißenden Page-Turner, den man einfach nicht mehr aus der Hand legen mag. Der Schrecken, den die zahllosen Familien in jener Nacht empfunden haben müssen, ist nahezu greifbar. Nicht zuletzt erreicht Larson diese Spannung durch die Berichte der Brüder Isaac und Joseph Cline, die ihre Erlebnisse nach dem Sturm niederschrieben, sowie etlichen weiteren Schicksalen, die er mühevoll aus Archiven zusammengesucht hat. Sich ständig wieder vor Augen zu halten, dass all das tatsächlich geschehen ist, verleiht dem Roman ein schrecklich bedrückendes Lesegefühl.
Wie konnte es soweit kommen? Warum mussten über 6000 Menschen in diesem Sturm ihr Leben lassen? Nicht zuletzt bekommt man das Versagen und die Überheblichkeit von mehreren Menschen vor Augen geführt. Der Wetterdienst war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine sehr junge Institution, die sich aufgrund vieler Fehlvorhersagen ständig zu beweisen suchte. Die eigenen Fähigkeiten maßlos überschätzend, wurde das Wort „Hurricane“ von den Verantwortlichen nie auch nur in den Mund genommen, nicht mal eine offizielle Sturmwarnung kam in Galveston an. Und Isaac Cline, dessen Bauchgefühl ihn warnte, war so überzeugt vom damaligen Verständnis der Atmosphäre, dass er bis zum letzten Moment nicht daran glaubte, der Sturm könnte Galveston etwas anhaben. Er sollte es bitter bereuen.
Isaacs Sturm beginnt zwar etwas gemächlich, punktet aber von Anfang an mit wissenschaftlich fundierten, anschaulich erklärten Erläuterungen über Entstehung und Lebenszyklus eines Hurricanes, die nicht nur für Wetterfrösche wie mich interessant sind. Bald mischt sich in die zäh anmutende Beschreibung einer aufstrebenden amerikanischen Stadt und ihrer Bewohner um die Jahrhundertwende eine gehörige Portion Spannung und echter Nervenkitzel, der dem Buch das gewisse Etwas verleiht.

Der „Galveston-Hurricane“, wie der Sturm heute genannt wird, gilt als tödlichster Sturm in der Geschichte der USA und forderte nach unterschiedlichen Angaben zwischen 6000 und 12000 Todesopfer, und Isaac Cline war einer der Männer, die ihn nicht vorhersagen konnten.

:buch: :buch: :buch: :buch: :buch:

Die deutsche Ausgabe von Isaacs Sturm ist leider vergriffen und wurde nicht neu aufgelegt (Eine Schande, wie ich finde), sie ist nur noch gebraucht erhältlich. Eine englische Ausgabe ist nach wie vor über Amazon, auch als Kindle Version, verfügbar.

Erik Larson – Isaacs Sturm
Fischer Taschenbuch Verlag, 2000
373 Seiten
9,90€


Galveston Hurricane

(2471)