„Welche grausame Macht hat mich veranlasst, für eines der obskursten Magazine in der Geschichte des Verlagswesens über den Honolulu-Marathon zu berichten?“

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Cover

Für das Magazin Running fliegt Thompson nach Hawaii, um über den Honolulu-Marathon zu berichten – auf seine Weise, die wir bereits von seinem Bericht über das legendäre Mint 400 kennen. Er deckt sich mit diversen Rauschmitteln ein, fliegt auf die Insel, mietet einen Bungalow, sieht sogar einen Teil des Marathons vom Straßenrand aus, die Wahrnehmungsfähigkeit unterstützt durch jede Menge Alkoholika und Drogen.
Doch dann kommt ein Hurrikan auf, Thompson und sein Verleger Ralph nebst Familie sitzen fest. Das Chaos nimmt seinen Lauf und steigert sich in einer immer dichter und bedrohlicher werdenden Atmosphäre, bis es schließlich zur Eskalation kommt, als Thompson verkündet, er sei die Inkarnation des Hawaiischen Gottes Lono…

Damit steht Thompson in einer gewissen Tradition, denn der berühmte Captain Cook wurde ebenfalls für eine Wiedergeburt des Großen Gottes Lono gehalten. Cook und seine Mannschaft machten sich die Verehrung und Unterwürfigkeit der Eingeborenen zunutze, doch als ein Sturm sie nach ihrer Abreise zwang, wieder in die geschützte Bucht von Kona zurückzukehren, wurden sie weitaus weniger freundlich empfangen. Cook wird getötet, sein Kopf und seine Hände als Trophäen von den Häuptlingen einbehalten. Diese Geschichte erfährt man aus immer wieder eingeschobenen längeren Zitaten aus Thompsons Lektüre über die Hawaiianische Geschichte, die erstaunliche Parallelen zu dem aufweist, was Thompson selbst auf der Insel widerfährt.

Getreu der „Prinzipien“ des Gonzo-Journalismus findet das eigentliche Ereignis, der Marathon, nur am Rande statt, ganz zu Beginn des Buches. Der wirklich wichtige Teil ist alles, was sich danach abspielt, als die Läufer die Insel schon längst wieder verlassen haben: Der Tropensturm, der an den Nerven der Touristen zehrt, die, zu Gestrandeten geworden, sich in einen paranoiden Drogenstupor katapultieren und gezwungen sind, aufeinander zu hocken, das tosende Meer schon auf der Veranda. In ihrem Rausch basteln sie Bomben, begeben sich auf Tauchgänge ins Riff und gehen Hochseeangeln, und nachdem Thompson das alles mehr oder weniger unbeschadet übersteht, ist klar: Er ist ein Gott! Und als ein solcher haust er dann allein in einer heiligen Zone, die er nicht mehr verlassen kann, da ihn die Eingeborenen sonst töten würden. Absoluter Individualismus, nie stach ein Individuum radikaler aus der Masse der ihn umgebenden Menschen hervor. Allerdings kostet das auch seinen Preis.

Gewohnt grandios baut Thompson während des Unwetters eine intensive, beklemmende Stimmung auf, die auch bei schönem Wetter nicht verschwindet. Es ist wie ein innerer Druck in ihm, der sich unaufhaltsam steigert, bis es selbst der Leser nicht mehr aushält und man den Moment herbeizusehnen beginnt, in dem der Druck endlich entweicht, die Anspannung sich löst, die Situation vollkommen eskaliert. Als es so weit ist, empfindet man es beinahe als Erleichterung.
Der Fluch des Lono ist ein vielschichtiges Buch, wesentlich komplexer in seiner Struktur als das hierzulande besser bekannte Fear and Loathing in Las Vegas. Nicht nur die Erzählungen rund um Cook und dessen Mannschaft verleihen dem Lono eine eigene Note, der Erzählfluss wird immer wieder durch wörtlich wiedergegebene Telefongespräche, wie in einem Drama, Briefe und Betrachtungen durchbrochen, die mehr wiedergeben als nur die Ereignisse auf Hawaii. Gerade die Parallelen zwischen Historie und Thompsons Erlebnissen sind interessant zu beobachten, und man kommt nicht umhin, sich zu fragen, inwiefern sich alles anders entwickelt hätte, hätte Thompson sich nicht damit befasst.

Alles in allem ist dieses Buch keines, das man schnell verdaut und mit dem man leicht fertig wird. Gerade jetzt, im Februar, wenn Sturmtief Olivia uns mit Schneeflocken so groß wie Untertassen eindeckt, will man die Hitze Hawaiis auch gar nicht so schnell aus der Hand legen!

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Hunter S. Thompson: Der Fluch des Lono.
Heyne Hardcore, € 12,99 [D]
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