Die Logik, das Leben und die Liebe
Cass Seltzer ist Anfang/Mitte vierzig, Professor für Psychologie – genauer: Religionspsychologie – an der Frankfurter University an der Ostküste der USA. Sein bis dato beschauliches, vom lebenslangen Studieren bzw. Lehren an der Universität geprägtes Leben erfährt einen radikalen Umschwung, als er mit der Veröffentlichung seines Buches [i]Die Vielfalt religiöser Illusion[/i] schlagartig berühmt wird. Der introvertierte Mann weiß gar nicht, wie ihm geschieht, als sein Buch plötzlich in Dutzende Sprachen übersetzt und er im ganzen Land als „Atheist mit Seele“, der sich in das Denken Gläubiger hineinversetzen könne, gefeiert wird, Harvard will ihn abwerben, man lädt ihn zu philosophischen Podiumsdiskussionen mit Nobelpreisträgern ein und und und. Dabei will er doch eigentlich nur in Ruhe seine Studien betreiben, sich über die Welt wundern und mit seiner aktuellen Freundin, der hinreißend schönen und gefährlich intelligenten Lucinda Mandelbaum – ebenfalls Professorin an der Frankfurter University -, das Leben verbringen. Als Lucinda sich dann eine Woche auf einer Tagung in San Francisco befindet, geraten einige Dinge für Cass ins Rollen.
Diese eine Woche bildet den Rahmen für Die seltsame Logik der Liebe, von dem aus Cass’ Vergangenheit als Doktorand bei dem so charismatischen wie unausstehlichen Professor für Glauben, Literatur und Werte Jonas Elijah Klapper und seine früheren Beziehungen zu der ungebärdigen Anthropologin Roz Margolis – die in dieser speziellen Woche nach Jahren wie ein Wirbelwind wieder in sein Leben tritt – sowie der egozentrischen französischen Lyrikerin Pascale erzählt werden. Außerdem taucht der Leser in Cass’ jüdische Herkunft ein, seine Mutter stammt aus einer Valdener Gemeinde – streng orthodoxe Juden –, von der sie sich schon vor Jahren losgesagt hat, zu der Cass über Umwege aber als Erwachsener wieder Kontakt bekommt.
Vorab: Dieses Buch ist ein Phänomen. Auf über 500 Seiten wird der Leser mit einer alles andere als stringent erzählten, ja, eigentlich kaum vorhandenen Handlung konfrontiert, mit seitenlangen philosophischen Exkursen zu den verschiedensten Themen, mit Einführungen in die Kabbalistik und das orthodoxe Judentum (eine ordentliche Portion Jiddisch lernt man auch gleich dazu), mathematischen Höhenflügen und ausufernden Diskussionen, ob sich die Existenz Gottes beweisen lässt oder nicht. Dazwischen lernt der Leser die Hauptfigur Cass und seine Beziehungen zu seiner Umwelt kennen, viel mehr eigentlich aber den unausstehlichen Professor Klapper, aus dessen Fängen sich kaum ein Doktorand je befreien kann, der aber von seinen Studenten geradezu messianisch verehrt wird.
Eigentlich fehlt diesem Buch also alles, was einen süffig und unterhaltend zu lesenden Roman gemeinhin ausmacht – eine bzw. mehrere Hauptfiguren, in deren Leben man eintauchen kann, eine nachvollziehbare und gut aufgebaute Handlung, tatsächliche Ereignisse im Leben der Menschen und und und. Dennoch habe ich mich schon nach wenigen Seiten in dieses Buch verliebt und es begeistert gelesen, habe mich von Cass’ Erinnerungen mitreißen lassen, bin aufmerksam (wenn auch nicht immer erfolgreich) den philosophischen, mathematischen und religiösen Exkursen gefolgt und habe dabei überhaupt nicht gemerkt, wie die Seiten verflogen sind. Rebecca Goldstein kann aber nicht nur über Philosophie schreiben, sie hat auch ein Händchen für punktgenaue Dialoge, Situationskomik und gute Figuren. Diese Seite fällt allerdings zugegeben etwas hinter der „Kopfseite“ des Buches zurück, was es sicher für viele Leser noch schwerer zugänglich macht.
Man könnte darüber hinaus noch diverse weitere Kritikpunkte anführen – die Autorin schreibt nur über das, was sie kennt (sie ist selbst jüdischer Herkunft, „Atheistin mit Seele“ und Philosophie- sowie Psychologieprofessorin) und verliert sich dabei in ihrem Fachgebiet; selbst mit der Rahmenhandlung dieser einen Woche in Cass’ Leben in der Gegenwart ist es nicht immer leicht, den Zeitsprüngen zu folgen und den gerade erzählten Abschnitt aus Cass’ Vergangenheit richtig einzuordnen; die Handlungsstränge um Cass, Roz und Lucinda – vor allem aber um Azarya, einen hochbegabten Jungen aus der Valdener Gemeinde – hätten noch besser ausgebaut werden können; was will das Buch eigentlich vermitteln, worauf will es hinaus?
Doch man kann sich auch einfach darauf einlassen, das Kritteln mal beiseiteschieben und sich daran erfreuen, beim Lesen auch denken zu dürfen. Einige (Grund-)Kenntnisse über Philosophie und das Judentum helfen allerdings, ganz ohne Vorkenntnisse, zum Beispiel diverser jiddischer Ausdrücke, könnte die Lektüre etwas mühsam, wenn nicht gar langweilig werden.
Wer richtig tief einsteigen möchte, der kann sich in die im Anhang ausführlich dargelegten „36 Argumente für die Existenz Gottes“ vergraben.
Ein großes Lob auch an den Übersetzer Friedrich Mader und die nicht genannte Redaktion – das Buch liest sich hervorragend, die sprachliche Virtuosität und Komplexität des Originals ist ausgezeichnet übertragen worden. Chapeau!
Rebecca Goldstein (geb. 1950) hat in Princeton Philosophie studiert und den Doktorgrad erworben, hat am Barnard College und in Harvard Philosophie und Psychologie gelehrt, ist Autorin diverser philosophischer Abhandlungen und Romane und vielfach ausgezeichnet für ihr Werk. Sie stammt aus einer jüdisch-orthodoxen Familie, ihr älterer Bruder ist Rabbi.
Auf Deutsch liegen noch einige ältere Werke von ihr vor, zum Beispiel Die Liebe im logischen Raum oder Die Eigenschaften des Lichts. Ein Roman um Liebe, Verrat und Quantenphysik.
Die seltsame Logik der Liebe ist bereits als Hardcover im Blessing Verlag unter dem Titel 36 Argumente für die Existenz Gottes erschienen.
Verlag: Heyne
Übersetzer: Friedrich Mader
Ausgabe: Taschenbuch, 559 Seiten
Preis: € 9,99
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