Nicht nur Kinder können grausam sein

Samuel Szajkowski, der junge Geschichtslehrer, betritt die Aula, die bis auf den letzten Platz besetzt ist. Langsam geht er an den Reihen entlang, aber kaum jemand nimmt Notiz von ihm. Dann hebt er die Waffe – und schießt. An diesem Tag sterben drei Schüler, eine Lehrerin und der Schütze selbst. Die erschütternde Tat an einer renommierten Londoner Schule lässt Schmerz und Fassungslosigkeit zurück. Kommissarin Lucia May soll den Fall abschließen, doch sie kann einfach nicht loslassen, recherchiert, sucht nach Antworten – und enthüllt schließlich die erschreckende Wahrheit…

„Ein toter Lehrer“ ist das Debüt von Simon Lelic und begeistert Massen. Der Autor schreibt schonungslos, mit viel Liebe zu kleinen, zwischenmenschlichen Details und blickt in die Abgründe menschlichen Handelns. Der Roman fesselt, verfolgt, beklemmt – und hinterlässt starke Zweifel an der Zivilisation.

Das Buch hat mich tief berührt, um nicht zu sagen, es hat mich bis ins Mark erschüttert.
Das Monster, so wird Szajkowski nach der Tat genannt, sei ein verhaltensgestörter Psychopath gewesen, der doch schon immer negativ aufgefallen sei. Seine beiden Anzüge, sein stilles Wesen, sein mangelndes Durchsetzungsvermögen – all das war doch schon sehr seltsam, finden die Zeugen im Nachhinein. Für seine Schüler war der Geschichtslehrer das perfekte Opfer. Der „Polacke Scheißkoffski“ (hier ist die Übersetzung schwierig: Im Original heißt es „cuff“ – „husten“ und die Schüler husten an dieser Stelle des Namens, später anstelle der Namensnennung) hat es doch nicht anders verdient und vor allem die Streiche, die Jugendliche nun mal so spielen, überbewertet. Dieser Meinung ist schließlich auch Direktor Travis, der alles tut, um den Ruf seiner Schule zu bewahren. Dabei verliert er jegliches Augenmaß für Recht, Unrecht und die Erfüllung des Erziehungsauftrags.
Dann ist da aber noch Elliot, ein Siebtklässler, der traumatisiert und verstümmelt im Krankenhaus liegt. Niemand hat etwas gesehen, es gibt keine Zeugen für die Tat und der Kleine wird schon darüber hinwegkommen. Man verrät nicht zu viel, wenn Elliots Ende benannt wird: Er begeht Suizid. Tragisch, aber eben nicht zu ändern.
Detective Lucia May ist fassungslos, hilflos, fühlt sich ohnmächtig und gleichzeitig verantwortlich. Doch all ihre Versuche, auf das eigentliche Problem, den Grund für den Amoklauf aufmerksam zu machen, werden abgeblockt: Von Direktor Travis und von ihrem Vorgesetzten Cole. Sie kämpft gegen Windmühlen, muss sich gegen ihren Kollegen Walter behaupten und verliert schließlich.

Die Geschichte hat zwei Ebenen: Zum einen ist da die Schule und alles rund um den Amoklauf und Elliot. Zum anderen wird aus Lucias Leben erzählt: ihr Kampf, ihre Ideale und ihre eigenen Problem.
Mobbing ist das große Thema und eines wird deutlich: Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Der Täter kann durchaus auch Opfer gewesen sein, oder gar nicht um seiner Selbst willen handeln.
Lucia ist selbst Mobbingopfer und zweifelt plötzlich an den Institutionen, die doch eigentlich für Recht und Ordnung zu sorgen haben: an der renommierten Schule und der erhabenen Polizei.
Im Buch wird immer abwechselnd eine Zeugenaussage dargestellt, dazwischen rücken die aktuellen Ereignisse und Lucias Ermittlungen ins Zentrum. Krass ist, dass manche gar nicht erkennen, was sie da getan haben, was sie aussagen, wo sie selbst nicht agiert, sondern schweigend zugesehen haben.

„Ein toter Lehrer“ ist absolut erschütternd, aber äußerst lesenswert. Während der Lektüre kann man sich immer wieder selbst kontrollieren: Wie hätte ich an Stelle von Charakter XY gehandelt? Man muss sich selbst hinterfragen und in Anbetracht der Amokläufe von Erfurt, Winnenden und anderen Schulen überlegen: Kann man den Täter rücksichtslos verurteilen? Sind wirklich (nur) die Eltern schuld, weil sie Zugang zu Waffen ermöglichten? Oder haben nicht schon lange vorher ganz andere Leute versagt?

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„Der arme Kerl. Armer Kerl: Was rede ich da? Ein Mörder ist er. Das vergesse ich immer. Er war ein Mörder. Er hat drei Kinder erschossen und eine Lehrerin, eine unschuldige Frau. Und der tut mir leid. Dieser durchgeknallte Psychopath. Ich tue ja gerade so, als müsste man Mitleid mit ihm haben.“ (Ein toter Lehrer, S. 117.)


Simon Lelic – Ein toter Lehrer
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
352 Seiten
Droemer, 2011
16,99 € (Hardcover)
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Droemer Verlag

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