Apokalypse im Luxus-Komplex

 

Richard Wagner: Götterdämmerung
Bayerische Staatsoper München

 

Der Untergang hat begonnen – schon mit den ersten Szenen der Götterdämmerung macht Regisseur Andreas Kriegenburg unmissverständlich klar, wohin die Reise geht: ins Nichts.

Zu Beginn sehen wir Videos mit wohlbekannten Nachrichtenbildern: Flutwellen, die Autos und Gebäude mit sich reißen, brennende Häuser, zerstörte Städte. Wenn dann die Musik einsetzt, zeigt die Szenerie eine Art Flüchtlingslager. Offensichtlich nach irgendeiner Katastrophe sitzen Evakuierte auf ihren wenigen Habseligkeiten, dazwischen laufen Gestalten in Schutzanzügen mit Messgeräten in der Hand herum. Der Verweis auf den Fukushima-GAU ist hier unübersehbar. Rund um diese Menschen schlingen, von diesen offenbar unbemerkt, die drei Nornen (Jill Grove, Jamie Barton, Irmgard Vilsmaier) ihr Seil des Wissens mit all seinen düsteren Prophezeiungen, in diesem Fall ein rotes Wollknäuel.

Ein Anfang, der insofern überrascht, als Kriegenburg hier erstmals in diesem Ring klare Bezüge zur Gegenwart aufzeigt. Hatte er sich in Rheingold, Walküre und Siegfried mit allzu offensiven Interpretationen zurückgehalten und ganz bewusst eher versucht, die Handlung innovativ zu bebildern, ohne sie zu sehr zu „verbiegen“, schlägt er mit dieser Götterdämmerung eindeutig den Bogen in die heutige Zeit.

Dies wird spätestens bei Siegfrieds Rheinfahrt klar, die ihn zu den Gibichungen führt. Während sein und Brünnhildes Liebesnest nur ein etwas profan anmutender Bretterverschlag ist, treibt ihn sein Boot auf den Wellen des Rheins (dargestellt durch die am Boden kauernde Statistencrew) vorbei an Projektionen von Nobelmarken von Gucci bis Versace in die Halle der Gibichungen. Die ist ein bühnenhoher, protziger Glaspalast (Bühne: Harald B. Thor), eine Konzernzentrale, in deren Gängen Büropersonal in grauer Business-Einheitskleidung geschäftig hin und her hastet.

Mittendrin residiert der Gibichungen-Clan: Da wäre zunächst mal Oberboss Gunther (Iain Paterson mit geschmeidigem Bariton), einerseits arrogant und selbstverliebt und neben dem weiblichen Hauspersonal auch schon mal die eigene Schwester lüstern betatschend, andererseits ein zur Flasche greifendes Häufchen Elend, als der zur Vermählung mit Brünnhilde begangene Betrug auffliegt; zum zweiten die Gutrune der brillanten Anna Gabler, ein sexy blondes High-Society-Girl und Luxusweibchen, das zum Zeitvertreib gerne auf einem Schaukelpferd in Form eines goldenen Euro-Zeichens reitet (auch die Hochzeitstafel im zweiten Akt ist ein Tisch in Gestalt eines riesigen Euro-Symbols); und nicht zu vergessen der verschlagene und niederträchtige Hagen, mit wuchtigem Bass gegeben von Eric Halfvarson, der am Premierentag vor drei Wochen nur wenige Stunden vor Beginn der Vorstellung als Ersatz für zwei erkrankte Sänger einsprang und die Rolle bravourös meistert.

Konsequent modernisiert Kriegenburg das Geschehen: Der Siegfrieds Gedächtnis auslöschende Trank beispielsweise wird im silbernen Cocktailshaker zubereitet, und wenn Hagen seine Mannen zu den Waffen ruft, recken sie stolz ihre Smartphones in die Höhe, mit denen im weiteren Verlauf die dramatischen Ent- und Verwicklungen immer wieder eifrig fotografiert und per SMS oder Twitter in Umlauf gebracht werden.

Zwischen diesem selbstgefälligen, dekadenten Kapitalisten-Trio wirkt der rustikale Siegfried (Stephen Gould, der trotz unbestreitbar hervorragender Sangesleistung gegenüber dem fulminanten Siegfried-Siegfried Lance Ryan vergleichsweise blass bleibt) wie ein Fremdkörper. Unbedarft stapft er durch diese Hochglanzwelt und lässt sich wie schon in Siegfried allein nach dem Lustprinzip und ohne jegliche Überlegung zu spontanen Handlungen hinreißen und in aller Naivität ausnutzen.

Nach dem Genuss des Vergessentranks stürzt er sich mehr als freudig auf Gutrune wie ein Kind auf ein neues Spielzeug und ist nur zu gern bereit, mithilfe des Tarnhelms Gunthers Gestalt anzunehmen und für ihn Brünnhilde aus dem für diesen unüberwindbaren Feuerring zu entführen. Wie eine Geisel wird sie dann gefesselt und mit einer von einem Brautkranz gekrönten Papiertüte über dem Kopf in die Gibichungen-Halle geführt – ein etwas grotesk anmutendes Bild.

Nina Stemme als Brünnhilde ist zweifellos die Sensation des Abends und läuft besonders in der abschließenden Erlösungsszene zu Höchstform auf. Leuchtend und unforciert in den Höhen, mit schmelzend dunklem Timbre bei den tieferen Tönen bewältigt die Schwedin eine der schwierigsten und anspruchsvollsten Partien der Opernliteratur und wird berechtigterweise mit orkanartigem Beifall gefeiert.

Musikalisch und stimmlich ist diese Götterdämmerung ohnehin grandios bis in die Nebenrollen, es überzeugen sowohl die Rheintöchter Eri Nakamura, Angela Brower und Okka von der Damerau als auch Michaela Schuster als Waltraute, die, von offensichtlicher Panik getrieben, in einer beunruhigend wirkenden Szene ihre Schwester Brünnhilde vergeblich von der Herausgabe des Rings zu überzeugen versucht. Zwar nur mit einem kurzen Auftritt, aber dennoch erneut beeindruckend: Wolfgang Koch als Alberich.

Eine Höchstleistung vollbringt auch das Staatsorchester, das unter der Leitung von Kent Nagano zur richtigen Mischung aus instrumentaler Detailliertheit und monumentaler Eindringlichkeit findet.

Am Ende bleibt auf der Bühne die einsame und verzweifelte Gutrune zurück und wird nach dem finalen Weltenbrand, der hier allerdings ein eher harmlos anmutendes Abfackeln von Möbelstücken ist, vom weißgekleideten Statistenensemble in die Arme geschlossen. Trost und Hoffnung nach der Apokalypse?

Diese durchaus spannende und unterhaltsame, mit ihren kapitalismuskritischen Verweisen zuweilen vielleicht etwas plakativ geratene Götterdämmerung mag stilistisch zwar nicht ganz zu den drei vorangegangenen Abenden passen. Doch den in sich rundum perfekten Ring des Nibelungen gibt es wahrscheinlich sowieso nicht, und dieser hier ist insgesamt betrachtet auf jeden Fall gelungen und ein Gewinn für München.

Eine nette Geste sei abschließend noch erwähnt: Kent Nagano und das Sängerensemble verbeugten sich nicht nur auf der Bühne in der Staatsoper, sondern zeigten sich auch draußen auf den Stufen vor dem Opernhaus dem nicht minder begeisterten, sechs und mehr Stunden im Freien ausharrenden „Oper für alle“-Publikum. Toll!

 

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