All current Art is Fake!

Manifesto

Wikipedia sagt: „Ein Manifest (…) ist eine öffentliche Erklärung von Zielen und Absichten, oftmals politischer Natur.“ Der 1965 in München geborene und in Berlin lebende Film- und Videokünstler Julian Rosefeldt hat etwas völlig Verrücktes mit diesem Statement gemacht. Er hat sämtliche Manifeste der Kunst- und Menschheitsgeschichte durchgeackert und daraufhin eine Art „Über-Manifest“ erzeugt, das er „Manifesto“ getauft hat und in 13 Episoden unterteilt verfilmt hat. Es soll eine Art Hommage an die Tradition und literarische Schönheit von Künstlermanifesten sein und die Rolle des Künstlers in der heutigen Gesellschaft hinterfragen. Nach einigen anderen Ausstellungsstätten ist die Filminstallation nun in München in der Villa Stuck zu sehen.

Man tritt vom lichten Eingangsbereich ins absolut Dunkle. Der Ausstellungsraum ist ganz in Schwarz gehalten, eine Wendeltreppe führt einen vom Erdgeschoss über ein Zwischengeschoss ins Obergeschoss, die 13 Stationen, große Monitore, sind darin aufgeteilt. Die erste Station, der filmische Prolog, bereitet uns darauf vor, was man zu erleben bekommt: Eine brennende Zündschnur, Knistern, Cate Blanchetts Stimme, die den ersten von 13 Texten liest. Dies ist eine Kompilation von Karl Marx/Friedrich Engels (Manifest der Kommunistischen Partei, 1848), Tristan Tzara (Dada Manifest 1918, 1918) und Philippe Soupault (Literatur und der Rest, 1920). Dann geht es weiter von Episode zu Episode. Hauptdarstellerin ist immer Cate Blanchett. Sie ist fantastisch. Sie spielt eine Nachrichtensprecherin, eine spießige amerikanische Hausfrau, einen Obdachlosen, eine Börsenmaklerin, eine tätowierte Punkerin mit großer Ähnlichkeit zu Lisbeth Salander, eine Geschäftsführerin, eine Arbeiterin in einer Müllverbrennungsanlage, eine Puppenmacherin, eine Ballett-Choreografin, eine Trauerrednerin, eine Wissenschaftlerin und eine Lehrerin. Jeder Film (bis auf den Prolog) umfasst 10 Minuten und 30 Sekunden und spielt eine jeweils absolut andere Handlung. Gegen Ende setzt Frau Blanchett in jedem Film zu einem lauten Vorlesen oder Vorsingen eines Manifest-Auszugs an, was absolut skurril wirkt, laut ist und einen irgendwie aus dem Film reißt, vor dem man gerade sitzt. Es ist eine richtige Kakophonie, aber unheimlich beeindruckend. Die Bilder der Spielstätten sind zum Teil gewaltig: Lost Places, von der Natur zurückeroberte Plätze oder auch die kleine Welt einer Börsenmaklerin, ihr Arbeitsplatz von oben fotografiert, so klein und unbedeutend wie eine Bienenwabe. Ich war von manchen Filmen so betroffen und gerührt, dass ich stundenlang weitersehen hätte wollen. Wenn die Arbeiterin in einer Müllverbrennungsanlage aus ihrer kargen Wohnung geht, die triste, dreckige Wohnanlage verlässt, im Nieselregen auf dem Moped zu ihrem Arbeitsplatz fährt, dort dann den ganzen Tag den Schwenkarm des Krans in der Müllverbrennungsanlage in den Dreck eintauchen lässt, und dabei dann aus dem Manifest von Wassily Kandinsky und Franz Marc (Vorwort zum Almanach „Der Blauer Reiter“, 1912) zitiert, davon spricht, dass sie sich freut an schönen Dingen und Farben: Das rührt einen. Die Ausstellung wird natürlich getragen von der Perfektion der Filme Julian Rosefeldts und dem schauspielerischen Können und der unglaublichen Wandelbarkeit einer Cate Blanchett. Das kann man kaum in Worte fassen. Der Epilog bringt einen in einem abgegrenzten Räumchen noch kurz vor dem Ausgang zum Schmunzeln: Cate Blanchett, eine typische Grundschullehrerin, die die kleinen Kinder im Zeichenunterricht mit Manifesten von Werner Herzog, Lars von Trier und Jim Jarmusch anspricht.

Diese Ausstellung ist mein absoluter Tipp für diesen Museums-Frühling. Aber Vorsicht: Durchschlendern verboten! Man muss genügend Zeit mitbringen, sonst entgeht einem die Schönheit und vor allem der Sinn.

Gezeigt wird „Manifesto“ noch bis zum 21. Mai 2017.

 

(2209)