Abschießen und abgeschossen werden

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200 Fotografien der sechziger und siebziger Jahre aus der Nicola Erni Collection gibt es derzeit im Münchner Stadtmuseum unter dem Ausstellungstitel „Shoot! Shoot! Shoot!“ zu sehen.
Die Ausstellung ist in unterschiedliche Räume unterteilt, jeder Raum hat eine eigene Farbe. Thematisch geht es um die Swinging Sixties und die glamourösen Siebziger. Die Themen sind in acht Kapitel eingeordnet, angefangen bei der „Factory“ Andy Warhols, Party, Politik, Filmstars, Musik, Perfomance, Kunst, Mode und „Women are beautiful“. Die Fotografierten wie auch die Fotografen lesen sich wie ein Who’s who der damaligen Zeit. Andy Warhol, Dennis Hopper, Richard Avedon, Annie Leibovitz, Robert Mapplethorpe und Helmut Newton haben wilde Partys porträtiert, in denen Rockmusiker und Groupies endlos in Hotelzimmern weiterfeierten. Es gab die Selbstinszenierungen Andy Warhols und seiner Clique; Politiker haben in schwarzweiß noch sehr viel glamouröser gewirkt als heutzutage bei ihren Schlagabtauschen in bunt. Models waren einfach ätherisch und wirkten sündhaft, und Magermodels wie Twiggy in den Sechzigern waren etwas ganz Besonderes. Man schaut fasziniert hin, wie ein Marlon Brando von einem Filmdreh mit dem Taxi zum Hotel zurückkehrt, und Bilder von schrägen feministischen Kunst-Performances fesseln einen.

Man kommt nicht umhin sich Gedanken zu machen, wie das mit den Papierrollen aus der Vagina der Künstlerin live wohl vonstatten gegangen ist. Irgendwie skurril, von diesen Dingen in den Siebzigern zu lesen, wo heutzutage Facebook Bilder mit nackten Brüsten automatisch löscht. Obwohl die Bilder zwar auch nur ebensolche Momentaufnahmen sind wie die heutzutage millionenfach mit dem Handy gemachten, bleiben sie im Gedächtnis haften. Glamouröse Bilder einer Brigitte Bardot, wundervolle, lebendige Bilder von der jungen Tina Turner, einer fast noch kindlichen Diana Ross, herumtollende Beatles mit ihren Pilzköpfen, ein blutjunger Mick Jagger mit einer Flasche Schampus zwischen den Knien, seine frisch angetraute Frau Bianca strahlend neben sich, in einem hellen Oberteil ohne BH. Und immer glimmende Zigaretten mit im Bild.

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Viele der Bilder kennt man, den jungen nackten Yves Saint Laurent oder das anrührende Foto mit Yoko Ono und den sich an sie schmiegenden John Lennon. Es gibt aber auch durchaus Neues zu sehen, vor allem Garry Winogrands Fotoserie „Women are beautiful“. Diese steht im Widerspruch zu den meisten anderen Bildern, weil sie Schnappschüsse von anonymen Frauen auf der Straße zeigt.

Am Ende der Ausstellung hat man sich etwas Originelles einfallen lassen: Man kann sich von einem verdeckten Fotoapparat ablichten lassen. Hier wird man sprichwörtlich „abgeschossen“, denn man muss bis an eine gewisse Linie treten, damit das Foto ausgelöst wird, man weiß aber nicht, wann das passiert. So sind die Fotos, auch wenn man es möchte, nicht gestellt, sondern passieren spontan wie bei Paparazzi-Bildern.

In Zeiten von Selfie-Wahnsinn und Selbstdarstellung auf allen sozialen Netzwerken sind diese Bilder, obwohl sie meist auch unter hektischen Bedingungen entstanden sind, wohltuend entschleunigend. Diese Fotos sind Zeitdokumente, denn so etwas gibt es heute nicht mehr. Nicht mehr Fotografen, die selbst berühmt sind, machen wundervolle Fotos von richtigen Stars, heutzutage machen IT-Girls mit handtaschengroßen Hunden sowie auch wirkliche Stars ihre Fotos selbst und stellen sie auf Instagramm oder Facebook. Man scrolled einen Augenblick lang über die Bilder und hat sie somit auch schon wieder vergessen. Es war meist nur für den Augenblick und den kleinen Ruhm, den man mit einem „Like“ zu bekommen hofft. Diese Bilder hingegen sind für die Ewigkeit. Anschauen!

Zur Ausstellung gibt es einen Katalog in deutscher und englischer Sprache im Hirmer Verlag zum Preis von 29,90 Euro:

Dauer der Ausstellung: 16. September 2016 bis 15. Januar 2017
Bild 1: David Bailey, Mick Jagger, Fur Hood, 1964, printed 2001 © David Bailey
Bild 2: Jeanloup Sieff, Yves Saint Laurent poses for his perfume‘s ad campaign, Paris, 1971 © The Estate of Jeanloup Sieff

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1 Kommentar
  1. Michael Teuber
    Michael Teuber sagte:

    Schöne Rezession, wobei ich etwas sekeptisch bin, ob die Protagonisten heutzutage nicht auch zu den Selfies auf Instagram greifen würden. Letzendlich sind diese Fotos auch nichts anders als eine grosse Selbstinszenierung mit den damaligen Mitteln.

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