Der Abend, den ich in einer Metzgerei verbrachte,
ein neues Adjektiv kennen lernte und
danach fast einen Schriftsteller nach Hause gefahren hätte.

 

Im September 2014 fahre ich an einem Donnerstagabend im Berufsverkehr fast eine Stunde lang mit dem Auto nach Oberschleißheim, um in einer Buchhandlung dem Autor Su Turhan zuzuhören, der mir von einer Freundin empfohlen wurde. Ich bin etwas früh dran. Die Mutter des Inhabers der Buchhandlung „Bücher am Schloss“ zeigt mir die Räumlichkeiten. Ihr Sohn, Ronald Hanke, komme etwas später, der müsse den Schriftsteller von der U-Bahn abholen. Das klingt ja schon mal sympathisch!

Kurze Zeit später treffen zwei Herren ein, einer ist der Herr der Bücher, und der andere ist der Schriftsteller. Er wollte mit der S-Bahn nach Oberschleißheim fahren, wegen eines Wies‘n-Malheurs ging es aber ab Hackerbrücke nicht weiter. Der Autor musste zurück zum Hauptbahnhof, in die U-Bahn einsteigen und von dort nach Feldmoching fahren.
Nun sind wir also genau eine Handvoll Leute, und es ist noch recht persönlich, so kommen wir ins Gespräch, und ich biete Herrn Turhan an, ihn wieder in die Stadt mit reinzunehmen, denn es stellt sich heraus, dass wir Stadtviertel-Nachbarn sind: Von Sendling nach Obergiesing, das ist ein Rutsch. Su freut sich, für die Fahrt zurück in die Stadt eine Mitfahrgelegenheit zu haben.

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Die Besucher treffen nach und nach ein und besetzen die Stühle und Bänke im hinteren Raum der Buchhandlung. Es ist alles sehr hübsch vorbereitet. Es hieß schon in der Vorankündigung, dass es eine kleine Überraschung geben würde: Brezen und Bier! Für die Lesung wurde extra bei der Schlossbrauerei Au ein Lesungs-Bier bestellt, das mit speziell entworfenen Aufklebern versehen wurde. Das „Lesungsbräu“ der „Oberschleißheimer Books Brew“ sieht sehr gut aus, und soweit ich das aus den zwei, drei kleinen “ich-muss-noch-Autofahren-Schlückchen” beurteilen kann, schmeckt es auch gut. Auf jeden Fall ist es eine originelle Idee für eine Lesung zum Thema Bierleichen.

Als es dann auf 20 Uhr zugeht, gibt uns Herr Hanke erst einmal ein paar Erklärungen zu seiner Buchhandlung. Die Buchhandlung war früher eine Metzgerei, der Raum, in dem wir sitzen, ist komplett gefliest. Wir befinden uns mitten im Antiquariat und unter Kinder- und Jugendbüchern, früher sind hier aufgehängte Schweinehälften durchgeschoben worden. Uns wird erklärt, dass es eine Veranstaltungsreihe „Literatur in der Wurschtkuchl“ gab, die mit dieser Lesung wiederbelebt wird.
Der Autor Su Turhan wird vorgestellt, und dieser nimmt an einem etwas zu hell ausgeleuchteten Tisch Platz. Er zieht sein Skript aus dem Rucksack und legt los. su-lesung_autor1

Schön, dass er des besseren Verständnisses wegen bei seinem ersten Buch beginnt, bei Kommissar Pascha. Hier liest er aus Passagen vor, die uns verständlich machen, wie Zeki Demirbilek von Istanbul über Augsburg nach München ins Hasenbergl kam und von dort nach Haidhausen. Wie Jahr für Jahr nicht wahrgemacht wurde, was Baba Demirbilek versprach: „Nur noch ein Jahr, dann haben wir genug gespart, dann gehen wir zurück nach Istanbul“. Er erzählt uns, wie der junge Zeki sich hier sein Leben eingerichtet hat, wie er zur Polizei kam und zu seiner Dienststelle Migra (für Migrationshintergrund). Su hat eine unheimlich leidenschaftliche und energiegeladene Art und Weise zu lesen. Er zwirbelt an den Reißverschlüssen seines sportlichen Zipper-Sweatshirts, streicht seine Haare immer wieder zurück, nimmt mit Augen und Ohren Kontakt zu den Zuhörern auf, ihm entgeht kein Kommentar und kein Lachen, auf das er nicht eingehen könnte. Der Bleistift in der Hand ist wie ein Taktstock. Könnte man den Ton abschalten, würde man meinen, er sei ein Dirigent.

Nun kommt er zu seinem zweiten Fall, den Bierleichen. Die Handlung spielt im August, zur Zeit des Ramadan. Als erstes wird uns ein hungriger, auf anderer Leute Leberkäs-Semmeln und Kaffee neidischer Kommissar Demirbilek vorgestellt. Es gibt einen Toten im Wittelsbacher Brunnen, eine tote Biertrinkerin des Jahres, eine alteingesessene Brauerei, die ausgerechnet nach Istanbul verkauft werden soll. Hier wird kurz über die Aktualität dieses Falles sinniert, wieviel Bier, das in München gebraut wird, tatsächlich noch in Münchner Hand ist bzw. wirklich von Münchner Händen gebraut wird. Ich möchte jetzt nicht so ausführlich die Handlung dieses Buches wiedergeben, weil es schon eine Rezension dazu gibt: Buchrezension Bierleichen wie auch eine Rezension über eine Lesung von Su Turhans Bierleichen: Lesung Kapuzinerbräu, Bierleichen.
Wie schon bei anderen Gelegenheiten singt Su: „Zeki, da liegt a toter Türk im Wasser, der is scho hi, der is scho hi“. Das gehört zur Handlung des Buchs und ist einfach Kult. An der Stelle, wo die junge Brauereiangestellte – die Biertrinkerin des Jahres – im Dirndl ohne Unterwäsche am Tatort aufgefunden wird, mit ferrariroten Lippen (ferrarirot, ein selbst kreiertes Adjektiv, auf das Su sehr stolz ist), schaut er in die Runde und sagt in Richtung der einzigen Dame, die im Dirndl kam, sowas wie „Entschuldigung, nix für ungut, aber so muss man sich das hier jetzt vorstellen”. su-lesung_publikum

Später spricht er die Dame an, ob ihr das auch wirklich nicht peinlich war, das ist sehr nett und sensibel.

Die Lesung ist wirklich unheimlich kurzweilig, plötzlich sind mehr als zwei Stunden vorbei. Gegen Ende gibt es noch einen kleinen Ausblick, wie es vielleicht in der Zukunft mit Kommissar Zeki Demirbilek und der Liebe aussehen könnte – hier muss ich ein klitzekleines Tränchen aus dem Augenwinkel wischen – und dann ist alles vorbei.

Die Bücherstapel auf dem Tisch schrumpfen merklich, fast jeder, der die Bücher noch nicht hat, nimmt sie sich mit, zumal Herr Turhan anbietet, sie liebevoll zu signieren. “Liebste Monika (liebste!), vielen Dank fürs Kommen nach Oberschleißheim … Viel, viel Freude mit dem Pascha.“ schreibt er in mein Buch.
Ich biete ihm nochmal an, ihn mit nach München zurückzunehmen, aber er genießt sichtlich das Bad in der Menge und trinkt nachher vielleicht noch in Ruhe ein Lesungs-Bier.

Su, mit voll ausgeschriebenem Vornamen Süleyman „mit einem Ypsilon als schönsten Buchstaben im bayerischen wie im türkischen Alphabet“ (s. „Kommissar Pascha“, S. 328), ist ein charismatischer, freundlicher und sympathischer Mann. Meine Menschenkenntnis sagt mir, dass jeder, der mit ihm befreundet ist, froh sein kann.

Ach ja: Tolle Bücher schreibt er auch!

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Links zur weiteren Info:
Bücher am Schloß, Oberschleißheim
Homepage Su Turhan
Homepage Su Turhan, Trailer
Bierleichen – YouTube

Fotos: Ronald Hanke

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