Unfreiwillige Vergangenheitsbewältigung

c) BR/ORF/Bavaria Fiction GmbH/Jacqueline Krause-Burberg

Josefa bekommt einen Brief zugestellt. Höchst offiziell, es ist ein Brief vom Nachlassgericht. Sie hat ein Haus geerbt in dem abgelegenen Dorf in Bayern, aus dem sie kommt, und das sie vor ca. 40 Jahren verlassen hat. Sie schickt sich an, dort hinzufahren, auch wenn ihr Mann meint, tu dir das nicht an! Nicht umsonst bist du gegangen und nie wieder zurückgekehrt!
Josefa packt ihr Rad und steigt in einen Bus, der sie zu dem Ort ihrer Kindheit und Jugend bringt. Bereits m Gasthaus, in dem sie einkehrt und nächtigt, wird sie scheel angesehen (kleine, markante Nebenrolle: Luise Kinseher als Bedienung). Warum?

Sie war früher Josef und ist dann völlig abrupt und ohne jemandem Bescheid zu geben geflüchtet und nach München gegangen. Im Gasthaus erkennt man sie, und wie durch einen großen „Zufall“ hat sie am Morgen danach einen Platten im Reifen und muss zur Radwerkstatt. Dort wird sie auch schnell wiedererkannt, aber anders. Dieser Mann, der ihr Fahrrad richtet, hat sie früher auch gekannt: Er war ihr bester Freund.

Josefa fährt zu dem Haus, das sie geerbt hat, das Haus ihrer Mutter. Dass ihr Vater vor Jahren gestorben ist, wurde ihr nicht mitgeteilt. Auch dort wird sie wieder ruppig empfangen. Die Frau auf dem Traktor, ein wenig grobschlächtig und derb geworden im Alter, auch durch die harte Arbeit auf dem Bauernhof und den Umgang mit den Leuten im Dorf, ist Josefa nicht wohlgesonnen. Warum? Wer ist sie? Die Antwort schnürt einem fast den Atem ab. Es ist Petra, sie war die Frau von Josef.

Alles wäre verrannt im Bizarren und unlösbar verheddert, käme nicht die beste Freundin von Josefa ins Dorf, um nach ihr und nach dem Rechten zu schauen. Sie ist eine Transfrau, das Herz am rechten Fleck, immer eine Lösung im Ärmel, resolut und charmant zugleich. Sie schafft es, dass alle an einem Tisch sitzen, Josef/Josefa, die verlassene Ehefrau, der zurückgelassene beste Freund.

Josefa muss irgendwann in ihr Leben zurück, doch ein kleiner Unfall verhilft ihr zu einer Stundung ihrer Probleme und Entscheidungen, was die Zukunft anbelangt. Doch sie muss und will in ihre Existenz in der Großstadt zurück. Aber es kommt kurz vor Schluss noch eine kleine Sensation ans Tageslicht, und dies und das Ende machen mich sehr glücklich.

Adele Neuhauser adelt meines Erachtens alle ihre Rollen, allen voran die freche, aber doch gute „Bibi“ im Wiener Tatort. Das ist sie auch hier. Sie stemmt sämtliche Situationen, geht transgender-feindlichen Situation nicht aus dem Weg, sondern löst sie. Mann/Frau fragt sich, warum so etwas persönliches nicht persönlich bleiben kann, sondern von der Öffentlichkeit diskutiert und für gut oder ungut befunden werden darf. Das ist vielleicht noch ein langer Weg, aber Josefa zeigt hier, dass selbst Hinterwäldler in bayerischen Dörfern in der Lage sind (ich darf das so sagen, weil ich selbst eine Hinterwäldlerin aus einem bayerischen Dorf bin) zu reflektieren und ihren Frieden zu finden mit einer Welt, die sie selbst vielleicht nicht verstehen.

Sehenswert!

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Ungeschminkt
Genre: Drama
Buch: Uli Brée
Regie: Dirk Kummer
Produktionsland: Deutschland
Erscheinungsjahr: 2024, 89 Min.
Cast: Adele Neuhauser, Hayal Kaya, Eva Mattes, Ulrich Noethen, Luise Kinseher u.v.m.
Die Erstausstrahlung von Ungeschminkt erfolgte am 13. November 2024 und ist seitdem in der ARD-Mediathek zu sehen.

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