Das Treffen zweier Meisterwerke

20241102_211928Bereits seit Februar freue ich mich auf den heutigen Abend, seit Karl Bartos seine Filmmusik zu dem Stummfilm-Klassiker und Meisterwerk des Expressionismus Das Cabinet des Dr. Caligari veröffentlicht hat (Link zur Review). Bereits 1920 ist dieser von Regisseur Robert Wiene gedreht worden. Zwanzig Jahre lang hat Bartos versucht, den Film zu ergründen, dessen Originalmusik verschollen ist. Schlussendlich ist dies in seiner eigenen Filmmusik gemündet.


20241102_191103Dank unseres Sicherheitspuffers für die immer mal wieder ausfallende Bahn sind wir überpünktlich, dafür können wir den tollen Loungesaal mit seinem beeindruckenden Deckengemälde in Ruhe auf uns wirken lassen, bevor nach und nach die weiteren Besucher eintrudeln. Hier gibt es kleine Sitzgelegenheiten, Stehtische und die theatertypischen Erfrischungen. Nur Popcorn sucht mensch hier vergebens, ein Glück. So können wir uns später ganz auf den Film konzentrieren. Das sich hier versammelnde Publikum ist überwiegend das für den Theaterbetrieb typische ältere jenseits der Fünfzig. Aber natürlich gibt es da auch jüngere Ausnahmen. Die Karten sind wirklich nicht billig, das muss mensch sich auch leisten können und wollen. Immerhin ca. zwanzig Personen rechne ich optisch der schwarzen Szene zu. Außerdem gibt es bei der Garderobe einen kleinen Merchandise-Stand, bei dem einige Werke von Karl Bartos angeboten werden. Auffällig ist hier die große weiße LP-Sammelbox.
20241102_193749Um halb acht werden schließlich die Türen zum eigentlichen Saal geöffnet, der mit seiner klassizistischen Ausschmückung ebenfalls sehr sehenswert ist. Die steilen Sitzreihen bieten außerdem allen eine gute Sicht. Unsere Plätze liegen mittig in Reihe Acht, was wirklich optimal ist. Auf der Bühne sind auf sechs Metern Länge zahlreiche Gerätschaften aufgebaut, ich zähle allein schon drei oder vier Laptops. Außerdem gibt es gleich zwei Synthesizer für Bartos.
20241102_200225Der Gong ertönt, und pünktlich um acht werden die Saaltüren geschlossen. Nur eine Minute später betreten Karl Bartos und sein Kollege Mathias Black, der als Klangregisseur und technischer Leiter fungiert, die Bühne, winken kurz zur Begrüßung und nehmen dann ihre Plätze ein. Einen Moment lang lassen sie den Jubel und Applaus über sich ergehen, doch Bartos möchte anfangen und gebietet ganz stummfilmlike mit einem erhobenen Pst!-Zeigefinger um Ruhe. Das Licht erlischt, nur die Bühne ist notdürftig beleuchtet, und über die Leinwand flimmert Das Cabinet des Dr. Caligari. Im Saal ist es mucksmäuschenstill während der Vorführung. Kein Popcorngeraschel, kein Getuschel, alle lauschen gebannt. Doch bei der Szene, in der der Somnambule Cesare von Dr. Caligari gefüttert wird, geht ein Lachen durch den Saal. Ebenso als schließlich das Tagebuch in der Irrenanstalt gefunden wird. Bei der Schlüsselszene, in der Cesare in das Schlafzimmer von Jane eindringt, habe ich unwillkürlich Gänsehaut, obwohl ich ja genau weiß, was passiert.
20241107_081444Bartos und Black agieren derweil konzentriert und bringen ihre Einsätze auf den Punkt. Die Anstalt scheint auch einer der Lieblingsabschnitte von Bartos zu sein, denn hier wippt er beschwingt mit dem Kopf und scheint alles zu genießen. Nach dem Ende brandet der verdiente Beifall auf, und es gibt Jubelrufe. Bartos und Black lächeln gelöst, und die Anspannung fällt von ihnen ab. Sie verlassen die Bühne, während der Applaus anhält, kehren aber gleich wieder zurück. Jetzt bekommt jeder den obligatorischen Blumenstrauß, wobei Bartos dabei etwas überrascht wirkt, was witzig ist. Noch einmal gehen sie hinaus, noch einmal müssen sie zurückkehren. Sie freuen sich und winken, und Bartos geht noch einmal nach vorn an den Bühnenrand, schirmt seine Augen mit der Hand vor dem grellen Bühnenlicht ab und versucht die Menschen im Publikum zu erkennen. Denn im Normalfall sieht mensch im Theater von der Bühne aus nur eine schwarze Wand wegen dem Gegenlicht. Nun ist aber wirklich Schluss und die Saaltüren werden geöffnet. Uns bleibt nur der Heimweg und das Erlebte zu reflektieren.
Die Fotos sind leider nur mit dem Handy entstanden, denn ich hätte es als sehr störend empfunden, während der Vorstellung zu fotografieren.

Fazit: Ich bin mega beeindruckt. Natürlich hatte ich vorab schon das Vergnügen mit der neuen Musik, aber in Verbindung mit der großen Leinwand, noch dazu von Karl Bartos und Mathias Black live eingespielt, das ist noch einmal eine ganz neue multimediale Erfahrung. Da treffen sich wirklich zwei Meisterwerke. Auch die Entscheidung für so ein schönes altes Theater statt eines nüchternen modernen Kinosaals trägt bestens zur Atmosphäre bei, passt dies doch viel besser zu so einem alten Stummfilm.
Ein weiterer Bonus für mich persönlich: Ich hatte Das Cabinet des Dr. Caligari noch nie auf der großen Leinwand gesehen, und so sind mir mehrere kleine Filmdetails aufgefallen, die mir vorher entgangen sind. Die weißen Handschuhe von Dr. Caligari mit den drei schwarzen Streifen erinnern beispielsweise stark an diejenigen von Micky Maus, die dieser erst viel später 1929 anziehen soll. Alles in allem ist der heutige Abend also ein tolles Erlebnis.
Und für diejenigen, die den Abend leider verpasst haben: Am 15.02.2025 bekommt ihr eine neue Chance. Es lohnt sich, auch als besonderes Weihnachtsgeschenk.

  (doch noch Popcorn)

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