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Eine Welt, rot mit weißen Punkten

© Christoph Marzi

© Christoph Marzi

Kaum eine Beweihräucherung, die ich über Christoph Marzi noch nicht zu Papier gebracht hätte, und immer wieder bringt er mich zu neuen virtuellen Kniefällen vor seinen Ideen und seinem Talent, dem Leser mit seinen Worten Bilder in den Kopf zu malen. Anlässlich seines brandneuen Romans Die wundersame Geschichte der Faye Archer (http://www.schwarzesbayern.de/?p=3787) habe ich den Autor um ein kleines Interview gebeten.

Enchi: Beschreibe „Die wundersame Geschichte der Faye Archer“ in einem Satz.
Christoph Marzi: Eine Geschichte, die wie ein güldener Herbsttag ist. Weiterlesen

Marzi kann auch anders

Marzi_Faye-ArcherDieser Herbst in Brooklyn wird ein ganz besonderer für Faye Archer. Natürlich ahnt sie davon noch nichts, wie jeden Tag arbeitet sie im Buchladen. Sie ist gerade im Büro als ihr Chef einen Kunden bedient, und so hört sie nur wie er „Manche Geschichten sind wie Melodien“ sagt – und dann sein Notizbuch vergisst, als er geht. Sie kann sich nicht so recht erklären, wieso, doch diese Worte berühren irgendetwas in ihr. So sucht sie auf Facebook nach dem jungen Mann, in dessen Skizzenbuch der Name Alex Hobdon steht – den sie nie gesehen hat, ihn aber trotzdem nicht aus dem Kopf bekommt. Aus dem Schreiben von Emails werden bald große Gefühle, doch irgendetwas an Alex scheint ganz und gar nicht zu stimmen, und nach einer Reihe merkwürdiger Begegnungen wird Faye zunehmend sicherer, dass er nichts als ein Lügner ist. Aber manchmal nimmt eine Geschichte einen merkwürdigen Lauf, bleibt nicht auf dem erwarteten Weg und dreht sich in eine Richtung, die man für vollkommen unmöglich hält … bis man auf sein Herz hört. Weiterlesen

Münchner G‘schichten

 

bronski_mmuenchen_blues_97410-jpgRegionalkrimis sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Es gibt kaum noch einen deutschen Landstrich ohne seinen eigenen örtlichen Ermittler, und insbesondere die bayerischen Erzählungen sind weit über die Landesgrenzen hinaus äußerst erfolgreich. Als besonders prominente Beispiele seien hier die Kluftinger-Romane des Autorenduos Klüpfel / Kobr und Rita Falks Provinzkommissar Franz Eberhofer genannt.

Seit einigen Jahren hat aber auch München einen bislang leider noch nicht so bekannten Lokalhelden: Wilhelm Gossec, der Ich-Erzähler in mittlerweile vier Kriminalromanen von Max Bronski, ist jedoch kein Polizist, sondern ein bodenständiger und schlitzohriger Trödelhändler. Weiterlesen

Das Geheimnis ihrer Herkunft

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Skye wird auf dem Nachhauseweg durch die Wüste von vier Männern in einem Auto verfolgt, die nur ein Ziel haben: Sie wollen die junge Frau vergewaltigen. Als sie endlich anhalten und sich auf sie stürzen, erwacht eine unbändige, dunkle Kraft in Skye und zurück bleiben nur Hautfetzen und zerstückelte Leichen. Ihr Bruder ist der Chief Deputy der Stadt und weiß genau, wer hinter dem Verbrechen steht. Das hat er alles doch schon einmal gesehen, damals, als seine Eltern starben. Aus Angst um seinen Sohn und vor seiner Adoptivschwester, schickt der Polizist Skye weit weg. Doch dann wird sein Sohn entführt und der Täter ist ein alter Bekannter, der den Tod mitbringt …
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Wer wird Deutscher Meister?


052913554-entscheidend-is-auffem-platzDie 50. Bundesligasaison ist zu Ende. Deutscher Meister ist einmal mehr der FC Bayern München geworden, was in Hinblick auf das letzte halbe Jahrhundert wenig überraschend erscheint. Der Rekordmeister beherrscht die 1. Bundesliga seit er darin mitmischen darf. War zu Beginn Borussia Mönchengladbach ewiger Konkurrent und abwechselnd mit den „Roten“ Deutscher Meister, steht der FCB nun einsam an der Spitze und kann nur noch seine eigenen Rekorde brechen.

Mord und Totschlag

Seit dem 5. April 2013 sendet das Bayerische Fernsehen Kriminalgeschichten auf der Grundlage von wahren (versuchten) Mordfällen. Mit Hilfe von Josef Wilfling, ehemaliger Mordermittler im Polizeipräsidium München, wurden in der ersten Folge drei Fälle nachgestellt und dazwischen von ihm kommentiert und zum Teil weiter ausgeführt. Der Kriminalist ist ein sachkundiger Experte für Mord und Totschlag. Dies hat er mit seinen Büchern „Abgründe“ und „Unheil“ eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Abgründe – Wenn aus Menschen Mörder werden

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Den Anfang zum Erstling bildet die Erinnerung an einen Kindermord und eine Art Anklage an die politischen Entscheidungsträger – ein sehr beeindruckendes Statement. In seinem Vorwort geht Josef Wilfling unter anderem auf den § 211 des Strafgesetzbuchs – Mord – ein und stellt einen Bezug zu den sieben Todsünden aus der Bibel her; dem Leser begegnen viele dieser Verfehlungen in den folgenden Kapiteln.

Im Lauf seiner mehr als 20 Arbeitsjahre ereigneten sich rund 1.000 versuchte und vollendete Tötungsdelikte, involviert war der Mordermittler in ca. 100 davon. Diese werden in Kapiteln wie „Heimtücke“, „Mordlust“, „Wollust“ oder „Gemeingefährlich“ erzählt. Aber hierin geht es nicht einfach nur um die jeweiligen Taten, sondern um die Sichtweise eines Mannes, der jeden Tag mit dem (plötzlich) auftretenden Bösen im Mensch rechnen musste und der nach meinem Ermessen sehr viel psychologisches Feingefühl besitzt.

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Flammenwut der Antichristen

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Max Mandel und Sigi Singer sind ehemalige Musikjournalisten und Privatdetektive. Um auf ein Konzert von Dark Reich zu kommen, nehmen sie eine lange Reise mit dem Auto nach Norwegen auf sich. Dort angekommen lernen sie Vilde kennen, die Schwester des Sängers. Das Konzert besuchen sie zwar doch nicht, stattdessen wacht Singer am nächsten Morgen wild geschminkt in einem Regal auf – und Baalberith, Sänger von Dark Reich ist spurlos verschwunden. Dafür taucht ein Foto von ihm auf, auf dem er blutend und irgendwie tot wirkend zu sehen ist.

Berni Mayer hat einen spannenden Thriller geschrieben. Neben der Geschichte an sich lernt man einiges über die vor allem norwegische Metal-Szene, über bekannte Bands, die man selbst einmal gehört, vielleicht sogar auf der Bühne gesehen hat. Sigi Singer erzählt die Geschehnisse und wirkt dabei wie Raoul Duke, Hauptfigur aus Hunter S. Thompsons Kultroman Fear and Loathing in Las Vegas. Obwohl der Start sehr langatmig ist, wenngleich mit dem ein oder anderen guten Satz, nimmt der Roman Fahrt auf und ehe man sich versieht, ist man mitten drin in Kirchenbränden, Kreuzigungen, blutigen Konzerten und einer sehr düsteren Okkultistenwelt, von der der norwegische Metal zu leben scheint.
Mandel hingegen wirkt wie ein wandelndes Lexikon, das restlos alles über die Bands weiß und sich nicht scheut, jeder Gefahr ins Auge zu sehen – und kopflos in sie hineinzurennen.

Was ein netter Roadmovie zu sein scheint, entpuppt sich als atemloser Krimi, der mitten in der Szene stattfindet und nebenbei einen kleinen, aber sehr feinen Bildungsauftrag erfüllt. So macht das Lesen Spaß und man möchte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, bis … Das muss jeder selbst entdecken.
Mayer zeichnet seine Charaktere mit groben Strichen, verpasst ihnen Eigenschaften, die man erwartet: ob es nun ein kettenrauchender Klugscheißer ist; ein müder Privatdetektiv, der eigentlich seine Pflicht erfüllen will, aber immer unter dem Pantoffel des Kollegen steht; oder aber die Schwester des Sängers, die einen Hang zu SM hat und sich auf jeden schmierigen Typen einlässt, der sie schlecht behandelt. Die Figuren sind fleischgewordene Klischees – und dadurch so herrlich sympathisch.
Drummer Bela B. von Die Ärzte hat über das Buch gesagt, er hoffe, dass es verfilmt würde. Das hoffe ich allerdings auch, denn ein guter Regisseur würde daraus im Handumdrehen einen kultigen Blockbuster machen.

Ein Buch, auf das die Welt und vor allem die Schwarze Szene gewartet haben, voller Spannung, Kult und Heavy Metal.

Berni Mayer ist 1974 in Niederbayern geboren und hat unter anderem als Chefredakteur bei MTV und VIVA gearbeitet. Black Mandel ist sein zweiter Kriminalroman, der an das Debüt Mandels Büro anknüpft. Einen Vorgeschmack bekommt man hier: Trailer

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Berni Mayer – Black Mandel
Heyne Hardcore, 2012
384 Seiten, broschiert
8,99 €
Amazon

Odyssee und Heimkehr

Das Leben des Musikers Danny Darcy scheint ein Trümmerhaufen. Nachdem sein Bruder Colin ihm in Schottland geholfen hat, aus einem ziemlich blöden Deal herauszukommen, und das Problem mit seiner Mutter anscheinend gelöst ist, kehrt er in seine neue Heimat Minnesota zurück – nur um sich in den Scherben seiner Beziehung wiederzufinden. Kurz nachdem seine Frau Sunny ihm gestanden hat, dass sie ein Kind von ihm erwartet, trennt sie sich, weil sie ihn mit einer anderen Frau gesehen hatte, in einem Café, in dem Danny nie war. Schnell wird klar, dass dies die Lügengespinste seiner Mutter sind, die wieder einmal Gestalt annehmen und so seine Ehe ruinieren. Dannys Hoffnung, mit dem Verschwinden seiner verhassten Mutter würde auch die Lüge sterben, verrinnt schnell, nachdem Sunny sich bei ihm meldet und besorgt mitteilt, dass es „der Kleinen“ nicht gut gehe. Albträume quälen sie und ihr ungeborenes Kind. Durch einen Tipp erfährt Danny, dass er sich an die Sirenen wenden soll, denn nur ihre Macht reicht aus, um eine so starke Lüge aus Sunny zu entfernen. Doch vor diesen Frauen wird nicht grundlos gewarnt, und so wird der Ausflug in die Sümpfe Louisianas bald zur Gefahr nicht nur für Danny, sondern auch für Frau und Kind…

Lyra knüpft dort an, wo Fabula aufhörte: Die böse Mutter ist besiegt und weggesperrt, die Familiengeheimnisse gelüftet und Danny ist gerade nochmal so davongekommen. Nun beginnt der Leser zu verstehen, wieso er überhaupt versucht hat, seine Mutter loszuwerden. Es werden in Rückblicken noch einige offene Fragen geklärt, bevor die Geschichte nach den Geschehnissen in Schottland weitergeführt wird. Danny ist allein in Minnesota, seine Frau ist ausgezogen und spricht nicht mehr mit ihm, aber er hat immerhin einen Plan. Von Musiklegende Tyler Blake bekommt er den Tipp, nach New Orleans zu gehen und dort mit der Suche nach den Sirenen zu beginnen. Leider – und das ist eine der Schwächen des Buches – besteht diese Suche nicht etwa aus mysteriösen Rätseln, die es zu lösen gilt, vielmehr wird Danny noch zig Mal weiter geschickt, ganz nach dem Motto: „Ich kann dir nicht helfen, aber ich kenne jemanden, der‘s kann!“ Dadurch bekommt Lyra unnötige und auf die Dauer eher nervige Längen, da Danny und Sunny im Grunde über die Hälfte des Buches nur mehr oder weniger erfolgreich durch die Weltgeschichte irren. Als jedoch schließlich endlich die richtige Person gefunden ist, geht es Schlag auf Schlag, und einmal mehr überrascht Marzi den Leser mit seiner Fähigkeit, aus scheinbar aussichtslosen Situationen plötzlich eine schlüssige Wendung hervorzuzaubern, die alles zum Guten führt.
Danny sitzt inmitten eines Netzes aus Intrigen und perfiden Plänen seiner Mutter, deren Ausmaß erst ganz am Ende offensichtlich wird, als er erkennt, dass er ihr direkt in die Falle getappt ist. Hier wird schnell der charakterliche Unterschied zu seinem Bruder Colin (um den sich Fabula drehte) klar: Er ist hitzköpfiger, planloser, impulsiver und scheint dadurch eher dazu zu neigen, die Kontrolle über die Geschehnisse zu verlieren und ein hilfloser Spielball in den Plänen seiner Mutter zu werden. Marzi zeigt hier wieder sein Talent zum Schreiben: Fabula und Lyra sind sprachlich und stilistisch an ihre Hauptfiguren angepasst. Der ruhige, bodenständige Colin fällt stilistisch kaum auf, alles ist eher romantisch, während der aufbrausende junge Danny mit reichlich Schimpfwörtern garniert daherkommt und aus der Romantik des Öfteren auch Erotik wird.
Für Danny als Musiker darf natürlich der Bezug zu seiner großen Leidenschaft nicht fehlen, also flechtet Marzi geschickt wie immer diverse Lieder ein – hier auch erstmals selbst geschriebene (bzw. von Danny geschriebene), und zeigt dabei ein echtes Talent zum Verfassen von Songtexten. Eine Sammlung der Texte von Dannys Band „Dylan’s Dogs“ findet sich im Anschluss an die Geschichte.
Die drückend schwüle Atmosphäre der Sümpfe Lousianas mit ihren zahlreichen Gefahren – sichtbar wie auch unsichtbar – wird von Marzi magisch eingefangen und von Seite zu Seite greifbarer, als Danny und Sunny aus der Zivilisation in die gruselige Einsamkeit des riesigen Geflechts aus Brackwasser und Inseln eintauchen. Sie geraten in eine Welt, die geprägt ist von alten Voodoo-Bräuchen und Aberglaube, doch beide sind sich bewusst, dass in jeder Legende auch ein wahrer Kern steckt. Diese bedrohliche Stimmung reißt den Leser spätestens jetzt mit.

Lyra füllt alle Lücken, die Fabula gelassen hat, und bringt die Geschichte zu einem schlüssigen und glücklichen Ende, diesmal für alle beteiligten Charaktere. Marzi spielt dabei geschickt mit dem Bild, das man vom Sumpfland Lousianas hat und garniert es mit seinen zauberhaften Ideen über Geschichten, die niemand mehr erzählt, und altgriechischen Mythen. Durch die Längen am Anfang kommt dieser Teil für mein Empfinden leider etwas zu kurz. Auch ist Dannys charakterliche Entwicklung im Vergleich zu der seines Bruders aus dem ersten Teil eher übersichtlich gehalten, andererseits erwartet man von ihm auch keine besonderen Fortschritte. Alles in allem ist Lyra ein gelungener Fantasyroman und insbesondere, wenn man Fabula gelesen hat, ein Muss. Da Marzi sich selbst allerdings durch Werke wie die „Uralte Metropole“-Reihe, oder auch sein letzter Roman Grimm sehr hohe Maßstäbe setzt, wirkt Lyra im Vergleich eher durchschnittlich.

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Christoph Marzi – Lyra
Heyne, Paperback, 2009
430 Seiten
14,00€

Ebook: 10,99€

Lyra bei Heyne

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Christoph Marzi

Über die Macht der Geschichten

Colin Darcy führt in London ein langweiliges, aber im Grunde zufriedenes Leben. Zumindest bildet er sich das ein, und besser als seine Vergangenheit in Ravenscraig, dem unheimlichen Schloss seiner Kindheit und Jugend, ist es allemal. Das Verhältnis zu seiner Mutter ist zerrüttet, das zu seinem Bruder Danny erkaltet, und das letzte Mal war er in seiner schottischen Heimat, als sein Vater beerdigt wurde. So dümpelt Colins Leben vor sich hin, bis sich eines Abends die Ereignisse überschlagen: Die Trennung von seiner Freundin war mehr als überfällig. Doch als ihn danach auch noch die Nachrichten erreichen, dass sein bester Freund und Kollege gerade bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben gekommen ist, und dass sowohl seine Mutter als auch sein Bruder spurlos verschwunden sind, bröckelt das perfekte „London Leben“. Ihm bleibt keine Wahl – Colin reist zurück in das verhasste Schloss seiner Vergangenheit, und auf dieser Reise kommen nicht nur die Erinnerungen an all das zurück, was geschehen ist. Warum er seine Mutter hasst, warum er seinen Bruder kaum mehr spricht, all dies und dutzende alte Geschichten werden wieder lebendig…

Fabula braucht etwas, um in Gang zu kommen, da man anfangs nicht wirklich etwas mit dem Lauf der Dinge anfangen kann. Es beginnt eher unspektakulär, nimmt dann aber zügig Fahrt auf und reißt den Leser mit. Wenn man die Geschichte zu fassen beginnt, erinnert sie zunächst ein wenig an „Big Fish“, in dem ein Mann durch seine Geschichten lebt, doch nach und nach wird klar, dass es sich bei den Geschichten von Colins Mutter nicht um charmante Märchen handelt … So kommt Fabula erwachsener daher, als die „Uralte Metropole“-Reihe; düsterer, gruseliger. Colin ist über weite Teile der Geschichte vollkommen hilflos und versteht kaum, in was er da hinein geraten ist. Einzig seine Jugendliebe Livia gibt ihm Kraft und schlussendlich auch den entscheidenden Hinweis auf des Rätsels Lösung.
Die Marzi-typischen Anspielungen fehlen natürlich auch hier nicht, maßgeblich sind in Fabula die Anlehnungen an alte Westernfilme und Schwarzweiß-Schinken der 50er Jahre, und natürlich wie immer allgegenwärtig Bob Dylan. Persönlich kann ich damit weniger anfangen, allerdings ist dies alles so flüssig in die Geschichte eingebaut, dass es auch nicht stört. Für Fans dieser Art von Film und Musik sollte es ein echtes Sahnehäubchen darstellen.
Das Setting in der abgeschiedenen schottischen Kleinstadt, wo sich die Schlinge um Colins Hals enger zieht, weil gleich zwei windige Ermittler ihn für tatverdächtig halten, gibt dem Leser das wohlig-gruselige Gefühl alter Krimis, dekoriert mit einem Hauch von Fantasy. Die mystische Komponente in Fabula bleibt die ganze Zeit über eher dezent. Selbst als man erfährt, dass es Fabelwesen gibt, bleiben sie eher im Hintergrund. Colins Welt ist weniger fantastisch als Emilys „Uralte Metropole“, vielleicht aber auch nur, weil er die Magie aus den Geschichten seiner Mutter über Jahre hinweg erfolgreich verdrängt hat. In seinem „London-Leben“ könnte Colin durchaus der Typ Mensch sein, der den Kampf von Engeln und Trickstern um sich herum überhaupt nicht wahrnimmt. Erst durch die Rückkehr nach Schottland, insbesondere durch das Wiederaufleben seiner alten Liebe zum Friedhofsmädchen Livia, lernt Colin, die Magie der Welt um sich herum wieder wahrzunehmen. Der Leser folgt der Entwicklung seines Charakters unmittelbar, man fühlt sich selbst sogar etwas verloren in dem Strudel der Ereignisse.

Fabula ist ein Märchen über die Macht der Worte und Geschichten, die wohl fast jeden Menschen in seiner Kindheit fasziniert hat. Wer hat sich nicht vorm bösen Wolf oder dem Monster unter dem Bett gefürchtet? Christoph Marzi bringt diese Geschichten zurück und konfrontiert einen Mann damit, der die Ängste seiner Kindheit verdrängt hat und sich fest in der Realität verankert fühlt. Dass hier ein Erwachsener gewählt wird, unterstreicht die Situation – plötzlich kehrt alles zurück und der reife Verstand findet sich in einer Welt wieder, die er so bemüht als Einbildung abgetan hat, dass er sie komplett verdrängt hat. Dieses geschickte Spiel macht Fabula reizvoll und zieht den Leser mit, sodass es nach kurzen Startschwierigkeiten ein absolut lesenswerter Roman ganz in gewohnter Marzi-Manier ist. So ganz kommt es allerdings nicht an die Magie heran, die die „Uralte Metropole“-Reihe inne hatte.
Am Ende dieser Ausgabe gibt es noch eine kleine Kostprobe der Kurzgeschichtensammlung „Nimmermehr“, die Lust auf mehr macht.

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Christoph Marzi – Fabula
Heyne, Paperback, 2007
496 Seiten
14,00€

Ebook: 10,99€

Fabula bei Heyne

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Christoph Marzi

 

„Nichts ist blöd genug, um nicht mal darüber nachzudenken“
– Sylvia Witt –

Jedes Festival gleicht der Wildnis und die Besucher der bunten Fauna, die man dort antrifft. Keiner weiß das besser als Oliver Uschmann, der in seinem Buch die über Jahre hinweg gesammelten Erkenntnisse vorstellt. Neben den Besuchern, werden auch die Künstler in Kategorien unterteilt, das Festivalessen unter die Lupe genommen und – ganz wichtig: alle Rituale erklärt. Ein Musikfestival ist eine eigene, kleine Welt, mit speziellen Regeln und Gattungen, die hier allesamt ausführlich vorgestellt werden.

Oliver Uschmann ist Musikjournalist und Autor. Er hat sie mitgemacht, die großen Festivals wie Wacken oder Rock am Ring. Die dabei gesammelten Erfahrungen waren viel zu wertvoll, als dass er sie für sich behalten konnte. Gut so, denn nun hat jeder eingefleischte Besucher von Rock im Park oder der schüchterne Neuling beim Summer Breeze den ultimativen Führer. So kann man schnell und einfach herausfinden, welcher Kategorie der Nachbar auf dem Zeltplatz zuzuordnen ist.
Gut: Die Krankenschwester, weil sie alles dabei hat, was man auf jeden Fall braucht; der Kegler, weil keiner großherziger selbstgemachten Nudelsalat und gutes Bier anbietet.
Schlecht hingegen: Der Barbar, der ist dann doch etwas rauer; der Choleriker, weil man von vornherein verloren hat; die Vandalen – da ist es egal, ob sie in direkter Nachbarschaft randalieren oder weiter entfernt: Sie finden immer ihre Opfer, zünden Müllberge und Dixiklos an und vermöbeln gerne mal jemanden. Ihre Trophäen sind die Kabelbinder der Security, mit denen sie endlich dingfest gemacht wurden.
Bereits hier erkennt man sich selbst, seine Mitreisenden und die umgrenzenden Festivalbesucher des letzten Konzertsommers wieder und kann sicherlich uneingeschränkt zustimmen. Uschmann bietet einen besonderen Service: Die fünf Lieder einer jeden Kategorie, das Motto derselben und Verhaltenshinweise, trifft man auf ein Exemplar dieser Spezies.

Weiter geht es mit den Rockern selbst, die auf, hinter, vor der Bühne stehen und das Publikum anschreien, begeistern, ignorieren oder mit lustigen roten Kappen amüsieren.
Da ist die Elfe, die fein über die Bühne schwebt und mit zartem Stimmchen ihre Lieder ins Mikro haucht, etwa eine Katie Melua oder Björk. Daneben steht die Röhre, ebenfalls weiblich, die so manchem männlichen Frontmann die Show stiehlt und ihm zeigen kann, wie man nun richtig growlt – man denke an Bonnie Tyler oder Arch Enemy-Frontfrau Angela Gossow.
Manche Musiker können ohne Nikotin gar nicht mehr überleben, frische Luft würde zum sofortigen Tod führen, daher sieht man Peter Maffay, E-Gitarren-Gott Slash oder Lemmy Kilmister nur mit Glimmstängel im Mund.
Tragisch wird es, so weiß Uschmann zu berichten, wenn man auf die Kategorie Männerherzen trifft: Der Sänger war unsterblich und leider auch unglücklich verliebt. Das gebrochene Herz spiegelt sich fortan in jeder Platte und ausnahmslos jedem Song wider, etwa bei Bruce Springsteen oder Jupiter Jones.
Schließlich wird die Fangemeinde endlich mal aufgeklärt, wie das mit den „Amtlichen Brettern“ ist: Todesbretter, Britische, Satanische, Wahre, Christliche Bretter stehen da auf den Bühnen. Dazu zählen unter anderem Marduk, Korn, Manowar oder Overkill.
Überhaupt glänzt der Autor nicht nur mit viel Wissen über Bands und kategorisiert diese übersichtlich, nein, für den Laien bietet er auch nach jeder Beschreibung eine Auswahl an Musikgruppen und Alben, damit das Einordnen beim nächsten Open Air leichter fällt.

Auch die Verhaltensrituale sind genauestens aufgeführt. Schließlich wäre es kein guter Festivalführer und ein Überleben auf diesen Veranstaltungen unmöglich, kennte man sich nicht mit Dingen wie der Bierrutsche, dem Beflaggen, Crowdsurfing oder gar der Festivalreligion „Helga!“ aus. Wichtig ist auch die richtige Benutzung der aufgestellten Dixiklos, nämlich … genau: Mit dem Einkaufswagen reinfahren, die blauen Häuschen anzünden oder sie einfach ignorieren. Außerdem darf man nicht die Skulpturen, die Beuys Tränen der Rührung in die Augen treiben würden, oder gar die Schilder mit hochgeistigen Sprüchen, wie „Titten raus, es ist Sommer!“ vergessen.

Wenn sich Uschmann um die Ernährung bemüht, denkt man sicherlich lächelnd an die eigenen Vorräte, die unbedingt dabei sein müssen: Bier. Das Grundnahrungsmittel eines jeden Festivalbesuchers. Keine Mixgetränke, denn: „Das vorgefertigte Biermischgetränk ist der Untergang des Abendlandes.“ (S. 263), und untergräbt zudem das strikte Obstverbot auf dem Gelände.
Obst, genau: Obst sieht man teilweise verschüchtert bei Lese-Lauras rumliegen, wird der Genuss desselben aber entdeckt, drohen harte Strafen. Bleiben noch nie verzehrtes Toastbrot, das die Weltherrschaft plant, Fertignudelgerichte, die süchtig machen und das Grillen. Ohne Grillen geht gar nichts! Dazu gehört ordentliches Fleisch. Vegetarier-Weltverbesserer legen lieber Auberginen und Zucchini auf den Rost, eine Freude für Gott, der beide Gemüsesorten nur zum eigenen Amüsement erschaffen hat.

Auch die Schlafplätze sind beschrieben. Dabei sollte man die Finger von 1er-Zelten lassen und alleine in einem 2er-Zelt nächtigen! Sofa nicht vergessen und tunlichst die Nachbarschaft zur lautbrummenden Generatorhölle vermeiden, rät Uschmann.
Ganz zum Schluss kommt die Security: die Sicherheitskräfte der Finsternis und des Lichts. Der Autor behält auch hier recht, sollte sich aber bei zukünftigen Festivalbesuchen vor ersteren in Acht nehmen, möchte er das Gelände lebend verlassen.
Im Anhang befindet sich ein Register aller genannten Bands.

Das kleine Büchlein würde sich schnell lesen lassen, denn es ist flüssig geschrieben. Doch beim Lesen denkt man an vergangene Festivalbesuche und küsst des Öfteren den Boden, weil man vor Lachen vom Stuhl gefallen ist, das unterbricht den Lesevorgang. Mit viel Witz und Charme beschreibt Uschmann das Rockreich. Da kann keiner widersprechen, denn der Autor hat recht: So ist es! Das Buch macht sehr viel Spaß und es erscheint zum richtigen Zeitpunkt, beginnt doch gerade wieder die Festivalsaison, hängen die Tickets für Wacken, Summer Breeze oder RIP schon lange an der Pinnwand und wird bereits fleißig geplant, wer wann wie zum Campingplatz kommt.
Zusätzlich amüsiert Uschmann mit Vor- und Nachwort. Darin sind zwei Dialoge mit seiner Frau Sylvia Witt enthalten.
Um das Beschriebene zu veranschaulichen, enthält das Buch noch ca. 30 Schwarzweißfotos vom Open-Air-Leben.

Ein sehr gelungenes Buch, das jedem Hardcorefestivalbesucher ans Herz zu legen ist, wenn er die Zeit zwischen Wachwerden und der ersten Band, die er sich anhören wird, überbrücken möchte. Aber auch für jeden Grünschnabel, der endlich alt genug ist, um sich in die Hölle zu begeben, ist die Lektüre geeignet, sollte man doch niemals unvorbereitet Neuland betreten.
Vielleicht wird man in diesem Sommer nicht nur bei Lese-Lauras die neue Pflichtlektüre mit entsprechenden Markierungen auf dem Zeltplatz vorfinden.


Zukünftiger Anblick auf Festivals?

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Oliver Uschmann – Überleben auf Festivals. Expedition ins Rockreich
Heyne Hardcore, 2012
368 Seiten, Broschiert
12,99 €
Oliver Uschmann bei Heyne
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