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Musiker, bleibt bei der Musik

Quelle: www.imaginaerum.com

Quelle: www.imaginaerum.com

Tom, ein alter, dementer Komponist, wird ins Krankenhaus eingeliefert. Es ist offensichtlich, dass seine Tage gezählt sind, deswegen reist seine Tochter Gem an. Die beiden sind sich nach dem frühen Tod ihrer Mutter allerdings fremd geworden, und es ist vieles vorgefallen, was die junge Frau ihrem Vater einfach nicht verzeihen kann. Noch dazu ist auch Ann anwesend, die Sängerin von Toms ehemaliger Band, der Gem die Schuld am tragischen Unfall ihrer geliebten Mutter gibt. Die versucht, trotz der feindseligen Stimmung, Gem die Welt ihres Vaters näherzubringen. Tom selbst kämpft währenddessen im Koma mit den Erlebnissen seiner Vergangenheit und sucht die Erinnerung an seine Tochter, die die Demenz ihm genommen hat. Weiterlesen

Ein Feuerwerk der Fantasie

Vier Jahre nach dem Debüt mit neuer Sängerin veröffentlichten die finnischen Symphonic-Metaller am 2.12. ihr neues Album „Imaginearum“. Als Sahnehäubchen oben drauf gibt’s zum Album einen Film, beruhend auf den einzelnen Stücken und nach der Idee von Songwriter Tuomas Holopainen. Wie man sich diesen nun genau vorzustellen hat, weiß ich leider nicht, aber hier soll es auch erst mal nur um die Musik gehen, denn die steht ja nach wie vor im Mittelpunkt.
Im Vergleich zum Vorgänger Dark Passion Play ist Imaginaerum vor allem eines: anders. Weniger easy-listening, die Songs gehen langsamer ins Ohr, wenn sie dort allerdings erst mal ankommen breiten sie sich beeindruckend weit aus. Generell ist Imaginaerum rhapsodischer, man kann von den ersten Takten eines Liedes kaum auf dessen Ende schließen. Wendungen und Überraschungen, sowohl harmonisch als auch instrumental, begleiten fast jedes Lied. Der rote Faden, in variierender Form, ist deutlich sichtbar in den 13 Stücken: Fantasie. Träumen, Hoffen, Wünschen. Das reicht von Gutenacht-Geschichten über Alpträume bis hin zu Reisen in den fernen Orient.
Die erste Singleauskopplung „Storytime“ (erschienen am 8.11.) ist eigentlich kein besonders repräsentatives Stück für Imaginaerum. Wahrscheinlich das poppigste, das das Album zu bieten hat, eignet es sich aber wohl gut dazu, einen leichten Einstieg zu bieten.

Endlich wieder ein Lied in ihrer Muttersprache finden wir als ersten Track – „Taikatalvi“ („Wintermagie“), gesungen von Basser Marco Hietala. Ein zauberhaft melancholisches Stück in finnischer Folk-Manier, das stilistisch den ruhigen Trio Niskalaukaus Songs ähnelt und schließlich nahtlos in „Storytime“ übergeht.
Mit „Ghost River“ betreten wir nun weniger massentaugliche Gefilde, anfangs sehr düster und eher wild, mischt sich jedoch im Verlauf des Stückes ein geradezu heroischer Unterton hinein, der zu einem strahlenden Ende hinführt.
Eine Innovation erwartet uns mit „Slow, Love, Slow“. Jazz? Ich dachte, die machen Metal? Und doch hören wir hier extreme Anspielungen auf den ruhigen, etwas düsteren Bar-Swing der 20er Jahre, natürlich nicht ohne typischen Nightwish-Klang.
Mein erster Gedanke bei Track fünf, „I want my Tears back“, war in etwa: Oh je, plötzlich doch wieder so platt? Aber bei intensiverem Hören kristallisiert sich ein wunderschöner Refrain heraus, der von Sängerin Anette und Marco in ihre persönlichen Interpretationen eingefärbt wird. Schließlich mündet das Ganze in ein folkiges Instrumental-Battle zwischen Uillean-Pipes, Fiddle und Gitarre, das definitiv Spaß macht.
Doch gleich wird es gruselig: „Scaretale“ entführt den Hörer in einen Alptraum, in dem er einer mörderischen Braut, einem wahnsinnigen Zirkus und allerhand anderen Kinderschrecken begegnet. Musikalisch erinnert es teilweise an Danny Elfman, den Chefmusikanten von Tim Burton, was dem Stück einen nahezu burtonesquen Hauch verleiht.
Es geht nahtlos weiter mit dem Instrumental „Arabesque“, eine sehr rhythmische Reise auf einem fliegenden Teppich. Ein Stück, zu dem man sich einen Haufen Schals suchen möchte um den Tanz der Sieben Schleier aufzuführen!
Track Acht, „Turn loose the Mermaids“, beruhigt die Stimmung etwas und erzählt eine traurige Geschichte über lange vergangene Liebe. Nur wieso der Erzähler jemandes Zähne kontrolliert, will mir nicht in den Kopf, aber das ist wohl eine Metapher
„Rest Calm“ beginnt eher durchschnittlich, entwickelt sich aber zu einem extrem kraftvollen Ende hin, all die schönen Erinnerungen auffängt und episch in den Vordergrund rückt.
Ein Lied über Vögel? Na nu, sind wir unter die Ornithologen gegangen? „The Crow, the Owl and the Dove“ klingt nach dem Soundtrack zu einem nachdenklichen Romantik-Schinken, zum Teil sogar nach „The Last Unicorn“. Mancher mag es zu dick aufgetragen finden und hätte damit zumindest für den Mittelteil auch recht, aber im Großen und Ganzen ein sehr angenehmes, romantisches Stück zum Träumen.
Wir nähern uns dem Finale, auch inhaltlich: „Last Ride of the Day“ klingt anfangs wie der Ritt zur Schlacht, wird dann aber etwas fröhlicher und schlägt einen sehr optimistischen Ton an: „Aufwachen! Die Zukunft ist jetzt, lebe dein Leben!“ scheint es dem Hörer zurufen zu wollen.
Mit „Song of Myself“ gibt uns Tuomas einen kleinen Einblick in seinen verrückten Kopf. Die Melodie etwas flach, doch was sich darunter abspielt ist atemberaubend. Auch hier – wie schon vorher – sollte man nicht mit dem alten „Strophe – Refrain-Schema“ rechnen, es werden wesentlich komplexere Teile zusammengefügt, ohne dabei den Charakter des Liedes zu verändern. Es endet mit einem minutenlangen Gespräch über Eindrücke, Gedanken, Hoffnungen, Erinnerungen, Wünschen… also mit der Quintessenz des Albums!
Als besonderes Zuckerl hat sich Arrangeur Pip Williams als letzten Track ein orchestrales Medley der Stücke einfallen lassen, bei dem man die Gelegenheit bekommt, die Themen in ihrer Reinform nochmals zu verfolgen und sinken zu lassen. So beenden wir eine Reise in die Fantasie, schlagen unser Buch zu und stellen es zurück ins Regal, doch nicht, ohne ein Stück Kindheit wiedergefunden zu haben, das unter dem Alltag verschüttet lag.

Fazit: Ein unheimlich interessantes Album, aber nichts zum nebenbei hören. Es zieht den Hörer nicht mit, sondern er muss schon selbst schauen wo er bleibt und aktiv zuhören und mitdenken. Komplexer als sein Vorgänger, jedoch muss ich bemängeln, dass viele der Melodien etwas flach und nahezu poppig sind, dadurch allerdings besser zu Anette’s Stimme passen. Trotzdem besteht da noch etwas Nachholbedarf. Im Allgemeinen ein sehr ambivalentes Album, jedes Stück hat mindestens einen genialen Moment, manche sind insgesamt echte Perlen, andere dümpeln nach ihrem großen Augenblick etwas vor sich hin. Doch alles in allem nicht nur für Fans ein Ohrenschmaus, sondern auch durchaus einen Versuch wert für diejenigen, denen die letzten Alben von Nightwish nicht gefielen.

Nightwish (2011)
Nuclear Blast
www.nightwish.com

 

Tracklist

1. Taikatalvi
2. Storytime
3. Ghost River
4. Slow, Love, Slow
5. I want my Tears back
6. Scaretale
7. Arabesque
8. Turn loose the Mermaids
9. Rest Calm
10. The Crow, The Owl and the Dove
11. Last Ride of the Day
12. Song of Myself
13. Imaginaerum