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Wenn einer eine Reise macht …

Samuel Mumm, Kommandeur der Stadtwache von Ankh-Morpork und seit der Heirat mit Lady Sibyl Käsedick obendrein ein steinreicher Herzog, wird von seiner Herzensdame zum Urlaub auf dem gemeinsamen Landsitz verdonnert. Als Stadtkind, das nie aus der Zwillingsstadt herausgekommen ist, tut Mumm sich auf dem Lande reichlich schwer, insbesondere die Kultur der Teepartys und jungen Frauen, deren einzige Perspektive eine gewinnbringende Heirat ist, will ihm so gar nicht in den Kopf. Noch dazu kommt ihm ständig irgendetwas verdächtig vor, und sei es nur die lärmende Stille des Getiers vor seinem Schlafzimmerfenster. Wo ein Polizist, da auch ein Verbrechen, heißt es so schön – und als der aufmüpfige Schmied verschwindet, dem Mumm vor der Dorfkneipe eine kleine Abreibung verpasst hatte, findet er sich plötzlich mitten in einem Verbrechen wieder, dessen Ausmaße erst langsam ans Licht kommen.

Pratchett lässt sich wie üblich viel Zeit, um das eigentliche Geschehen in Gang zu bringen, und ich habe lange gerätselt, wie denn die neue Rasse der Goblins, die uns vorher so noch nicht auf der Scheibenwelt begegnet ist, wohl ins Bild passen würde. Auch der Titel blieb mir lange schleierhaft, doch die Zeit wird gut genutzt. Die Handlung läuft ganz in Ruhe an, und der Leser bekommt die Gelegenheit, sich in die Gefühlswelt und das Familienleben von Samuel Mumm hineinzuversetzen.
Mumm, der rechtschaffene Polizist, der treuen Fans aus vielen Scheibenwelt-Romanen bekannt ist, dürfte wohl fast jedem sympathisch sein. Früher oft bloß ein Spielball von Lord Vetinari hat er sich zu einer noch stärkeren Persönlichkeit gemausert, und in Steife Prise hat es sogar den Anschein, dass er den Patrizier von Ankh-Morpork tatsächlich überrascht. Sein innerer Kampf zwischen Polizist und Verbrecher tritt stärker zutage als in früheren Romanen und verleiht dem Charakter eine neue Tiefe. Er scheint sich vor etwas zu fürchten, das aus ihm werden könnte, wenn er kein Polizist wäre, und hält deshalb nur mit umso größerer Kraft an Gesetz und Ordnung fest.

Die Goblins wurden zwar in einer Handvoll früherer Scheibenwelt-Romane erwähnt, fanden jedoch nie Beachtung. Endlich widmet „Sir Pterry“ ihnen mehr Aufmerksamkeit und erschafft so eine neue Rasse, für die der Leser nur tiefste Sympathie und Mitleid empfinden kann. Vom Rest der Welt als Ungeziefer angesehen, gesteht die zivilisierte Scheibenwelt ihnen nicht einmal den Rang einer vernunftbegabten Rasse zu. Als wäre das nicht schon schlimm genug, scheint die immerwährende Isolation und Verdrängung dieser hässlichen, stinkenden kleinen Kerle sie selbst davon überzeugt zu haben, wertlos zu sein. So fristen sie ihr karges Darsein in abgelegenen Höhlen und warten auf ihre gänzliche Verdrängung aus der Welt. Doch Pratchett wäre nicht Pratchett, hätte er diesen bemitleidenswerten Wesen nicht auch ein paar ganz einmalige Qualitäten mitgegeben, und so lernt Sam Mumm, dass auch diese Geschöpfe ihn brauchen, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Steife Prise ist thematisch einer der ernsten Scheibenwelt-Romane und wird nur durch Pratchetts urkomischen Stil zu einem echten Lese“vergnügen“. Die Geschichte ist ein actiongeladener Krimi, dessen Setting etwas an viktorianische Romane à la Jane Austen erinnert. Die Verdorbenheit der Gesellschaft, insbesondere der Aristokratie, steht im Mittelpunkt und wird nur langsam und mühevoll ausgetrieben, indem ehrliche Menschen wie die Eheleute Mumm und Dorfpolizist Volker Aufstrich sich für die Schwachen einsetzen.
Der übliche Slapstick, Pratchetts einmalige Beobachtungsgabe und sein lockerer, humorvoller Stil machen Steife Prise zu einem lesenswerten, kurzweiligen Abenteuer mit viel Hintergrund und Tiefgang. Der Roman zählt meiner Meinung nach zwar nicht zu den besten Scheibenwelt-Romanen, doch da die Messlatte extrem hoch liegt, bleibt er dennoch eine Empfehlung – für Fans ein Muss, für Einsteiger ein großer Lesespaß!

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Terry Pratchett – Steife Prise
Manhattan, Taschenbuch, 2012
448 Seiten
17,99€
ebook: 13,99€

 

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