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Back to Psychoburbia

Darkness_on_Demand_-_PSAT_FrontHach, da werden Erinnerungen wach an die guten alten neunziger Jahre, als Songs wie „Psychoburbia“ oder „Dance or die“ von gleichnamiger Electro-Band auf keiner guten Grufti-Party quer durch die Republik fehlen durften. Zwischen 1991 und 2011 sind sechs Alben erschienen. Nun führen Wagner, Falgalas und Chris L. die Band unter neuem Namen in eine neue Epoche. Dafür haben sie sich umbenannt in Darkness On Demand, die alte Abkürzung DOD behält also weiter ihre Gültigkeit. Der erste Output Post Stone Age Technology ist nun bei Repo Records erschienen. Weiterlesen

Die drei Dance or Die-Musiker Wagner, Falgalas und Chris L. schreiben ihre Geschichte in ihrem neuen Projekt Darkness on Demand (Vö. 02.02.18) fort.
In ihrem altbewährten Old-School-EBM-Style kombinieren sie tanzbare Dancefloor-Grooves und eingängige Melodien.

Die erste Single „City of the Dreamers“ ist eine moderne Utopie, eine Vision einer besseren Zukunft der Kunst und Kreativität, die eine neue Hoffnung auf ein besseres Leben erweckt, ein Leben ohne Hass, Krieg und Korruption.

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Apokalypse im Luxus-Komplex

 

Richard Wagner: Götterdämmerung
Bayerische Staatsoper München

 

Der Untergang hat begonnen – schon mit den ersten Szenen der Götterdämmerung macht Regisseur Andreas Kriegenburg unmissverständlich klar, wohin die Reise geht: ins Nichts.

Zu Beginn sehen wir Videos mit wohlbekannten Nachrichtenbildern: Flutwellen, die Autos und Gebäude mit sich reißen, brennende Häuser, zerstörte Städte. Wenn dann die Musik einsetzt, zeigt die Szenerie eine Art Flüchtlingslager. Offensichtlich nach irgendeiner Katastrophe sitzen Evakuierte auf ihren wenigen Habseligkeiten, dazwischen laufen Gestalten in Schutzanzügen mit Messgeräten in der Hand herum. Der Verweis auf den Fukushima-GAU ist hier unübersehbar. Rund um diese Menschen schlingen, von diesen offenbar unbemerkt, die drei Nornen (Jill Grove, Jamie Barton, Irmgard Vilsmaier) ihr Seil des Wissens mit all seinen düsteren Prophezeiungen, in diesem Fall ein rotes Wollknäuel.

Ein Anfang, der insofern überrascht, als Kriegenburg hier erstmals in diesem Ring klare Bezüge zur Gegenwart aufzeigt. Hatte er sich in Rheingold, Walküre und Siegfried mit allzu offensiven Interpretationen zurückgehalten und ganz bewusst eher versucht, die Handlung innovativ zu bebildern, ohne sie zu sehr zu „verbiegen“, schlägt er mit dieser Götterdämmerung eindeutig den Bogen in die heutige Zeit.

Dies wird spätestens bei Siegfrieds Rheinfahrt klar, die ihn zu den Gibichungen führt. Während sein und Brünnhildes Liebesnest nur ein etwas profan anmutender Bretterverschlag ist, treibt ihn sein Boot auf den Wellen des Rheins (dargestellt durch die am Boden kauernde Statistencrew) vorbei an Projektionen von Nobelmarken von Gucci bis Versace in die Halle der Gibichungen. Die ist ein bühnenhoher, protziger Glaspalast (Bühne: Harald B. Thor), eine Konzernzentrale, in deren Gängen Büropersonal in grauer Business-Einheitskleidung geschäftig hin und her hastet.

Mittendrin residiert der Gibichungen-Clan: Da wäre zunächst mal Oberboss Gunther (Iain Paterson mit geschmeidigem Bariton), einerseits arrogant und selbstverliebt und neben dem weiblichen Hauspersonal auch schon mal die eigene Schwester lüstern betatschend, andererseits ein zur Flasche greifendes Häufchen Elend, als der zur Vermählung mit Brünnhilde begangene Betrug auffliegt; zum zweiten die Gutrune der brillanten Anna Gabler, ein sexy blondes High-Society-Girl und Luxusweibchen, das zum Zeitvertreib gerne auf einem Schaukelpferd in Form eines goldenen Euro-Zeichens reitet (auch die Hochzeitstafel im zweiten Akt ist ein Tisch in Gestalt eines riesigen Euro-Symbols); und nicht zu vergessen der verschlagene und niederträchtige Hagen, mit wuchtigem Bass gegeben von Eric Halfvarson, der am Premierentag vor drei Wochen nur wenige Stunden vor Beginn der Vorstellung als Ersatz für zwei erkrankte Sänger einsprang und die Rolle bravourös meistert.

Konsequent modernisiert Kriegenburg das Geschehen: Der Siegfrieds Gedächtnis auslöschende Trank beispielsweise wird im silbernen Cocktailshaker zubereitet, und wenn Hagen seine Mannen zu den Waffen ruft, recken sie stolz ihre Smartphones in die Höhe, mit denen im weiteren Verlauf die dramatischen Ent- und Verwicklungen immer wieder eifrig fotografiert und per SMS oder Twitter in Umlauf gebracht werden.

Zwischen diesem selbstgefälligen, dekadenten Kapitalisten-Trio wirkt der rustikale Siegfried (Stephen Gould, der trotz unbestreitbar hervorragender Sangesleistung gegenüber dem fulminanten Siegfried-Siegfried Lance Ryan vergleichsweise blass bleibt) wie ein Fremdkörper. Unbedarft stapft er durch diese Hochglanzwelt und lässt sich wie schon in Siegfried allein nach dem Lustprinzip und ohne jegliche Überlegung zu spontanen Handlungen hinreißen und in aller Naivität ausnutzen.

Nach dem Genuss des Vergessentranks stürzt er sich mehr als freudig auf Gutrune wie ein Kind auf ein neues Spielzeug und ist nur zu gern bereit, mithilfe des Tarnhelms Gunthers Gestalt anzunehmen und für ihn Brünnhilde aus dem für diesen unüberwindbaren Feuerring zu entführen. Wie eine Geisel wird sie dann gefesselt und mit einer von einem Brautkranz gekrönten Papiertüte über dem Kopf in die Gibichungen-Halle geführt – ein etwas grotesk anmutendes Bild.

Nina Stemme als Brünnhilde ist zweifellos die Sensation des Abends und läuft besonders in der abschließenden Erlösungsszene zu Höchstform auf. Leuchtend und unforciert in den Höhen, mit schmelzend dunklem Timbre bei den tieferen Tönen bewältigt die Schwedin eine der schwierigsten und anspruchsvollsten Partien der Opernliteratur und wird berechtigterweise mit orkanartigem Beifall gefeiert.

Musikalisch und stimmlich ist diese Götterdämmerung ohnehin grandios bis in die Nebenrollen, es überzeugen sowohl die Rheintöchter Eri Nakamura, Angela Brower und Okka von der Damerau als auch Michaela Schuster als Waltraute, die, von offensichtlicher Panik getrieben, in einer beunruhigend wirkenden Szene ihre Schwester Brünnhilde vergeblich von der Herausgabe des Rings zu überzeugen versucht. Zwar nur mit einem kurzen Auftritt, aber dennoch erneut beeindruckend: Wolfgang Koch als Alberich.

Eine Höchstleistung vollbringt auch das Staatsorchester, das unter der Leitung von Kent Nagano zur richtigen Mischung aus instrumentaler Detailliertheit und monumentaler Eindringlichkeit findet.

Am Ende bleibt auf der Bühne die einsame und verzweifelte Gutrune zurück und wird nach dem finalen Weltenbrand, der hier allerdings ein eher harmlos anmutendes Abfackeln von Möbelstücken ist, vom weißgekleideten Statistenensemble in die Arme geschlossen. Trost und Hoffnung nach der Apokalypse?

Diese durchaus spannende und unterhaltsame, mit ihren kapitalismuskritischen Verweisen zuweilen vielleicht etwas plakativ geratene Götterdämmerung mag stilistisch zwar nicht ganz zu den drei vorangegangenen Abenden passen. Doch den in sich rundum perfekten Ring des Nibelungen gibt es wahrscheinlich sowieso nicht, und dieser hier ist insgesamt betrachtet auf jeden Fall gelungen und ein Gewinn für München.

Eine nette Geste sei abschließend noch erwähnt: Kent Nagano und das Sängerensemble verbeugten sich nicht nur auf der Bühne in der Staatsoper, sondern zeigten sich auch draußen auf den Stufen vor dem Opernhaus dem nicht minder begeisterten, sechs und mehr Stunden im Freien ausharrenden „Oper für alle“-Publikum. Toll!

 

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Selbstfindung eines (Anti-) Helden

 

Richard Wagner: Siegfried
Bayerische Staatsoper München

 

Zwischen der düsteren Walküre und der apokalyptischen Götterdämmerung bildet Siegfried in Wagners Ring-Tetralogie eine Art heiteres Zwischenspiel, und nach der tendenziell etwas statisch geratenen Walküre durfte man nun gespannt sein, wie Regisseur Andreas Kriegenburg und sein Team dieses Spielmaterial nutzen würden. Und sie tun es ohne Scheu vor ausgefallener Bebilderung und zum Teil auch mit Mut zum fröhlichen Unfug.

Vor allem die im Rheingold für beeindruckende Bilder genutzte und in der Walküre arg an den Rand gedrängte Statisterie, choreographiert von Zenta Haerter, kommt in diesem Siegfried von Anfang an wieder voll zum Einsatz.

Zu den einleitenden Orchesterklängen des Grübelmotivs stehen die ganz in Weiß gekleideten Komparsen dicht beieinander auf der ansonsten leeren, dunklen Bühne und bewegen sich, wechselnd beleuchtet in orange-roten Farben, mal langsamer, mal schneller hin und her, lösen sich voneinander und finden wieder zusammen: Ein lebendes Feuer als Einleitung für den in Mimes Schmiede spielenden ersten Akt, das ästhetisch dem ebenfalls aus Menschenkörpern gebildeten wogenden Rhein am Beginn des Rheingold ähnelt.

Solche und ähnliche Ideen gibt es im Laufe des Abends häufig. Die Segmente von Mimes Schmiede, nicht mehr als eine kleine bronzefarbene Zelle, werden von den Statisten zusammengesetzt und immer wieder auseinandergenommen, um den Blick freizugeben auf das Hintergrundgeschehen, das szenisch verdoppelt und kommentiert, was vorne von den Protagonisten gesungen wird; weitere optische Einfälle sind zum Beispiel aufeinander stehende Statisten mit Zweigen in der Hand als Bäume, eine lebende Blumenwiese mit an Stangen hereingetragenen weißen Wölkchen und nicht zuletzt, besonders beeindruckend, der über der Bühne schwebende, rotglühende Drachenkopf aus Menschenkörpern.

Das hat in seiner unbekümmerten Fantasie beinahe etwas von Kindertheater und Weihnachtsmärchen; und wenn Siegfried die Trümmer von Nothung, dem Schwert seines Vaters Siegmund, wieder zusammenfügt, dann lässt Kriegenburg seinem Einfallsreichtum endgültig freien Lauf und kreiert ein lebendes Wimmelbild. Da wird vom Bewegungschor ein riesiger Blasebalg und allerlei weitere mechanische Maschinerie bedient, glitzerndes Konfetti zur Darstellung der sprühenden Funken in die Luft geworfen, Mime beim Kochen des Tranks unterstützt, mit dem er später Siegfried außer Gefecht setzen will – ein enormes Gewusel, das Witz hat, aber fast schon ein wenig von der Musik abzulenken droht.

Dieser Siegfried ist ein pubertäres Bürschchen, ein Adoptivkind, das die Selbstzweifel über seine Herkunft mit Kraftmeierei kompensiert, zum Muskelaufbau Werkzeugkästen stemmt und dem verhassten Ziehvater Mime (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke grandios als schmieriger, machtgieriger Underdog) ganz im Wortsinne in die Suppe spuckt. Wahres Heldentum sieht anders aus – Siegfried stolpert in seiner Naivität eher unfreiwillig von einem Abenteuer zum anderen, von der Tötung Fafners über die Auseinandersetzung mit dem Wanderer (das heißt Wotan, wieder eindrucksvoll dargestellt und gesungen von Thomas J. Mayer) bis hin zur Erweckung und Befreiung Brünnhildes.

Und es ist beim großen, abschließenden Liebesduett durchaus amüsant und mit ironischer Brechung dargestellt, wie dieser Siegfried trotz allem Ungestüm, trotz aller Heldentaten ein Jugendlicher mit Angst vor dem „ersten Mal“ ist, der zunächst beim bangen Zurückweichen vor Brünnhildes Annäherungsversuchen von der Bettkante plumpst, dennoch aber in der Liebe zu ihr auch zu sich selbst findet.

Lance Ryan beweist, warum er derzeit einer der gefragtesten Wagner- und speziell Siegfried-Sänger ist: Ohne erkennbare Ermüdungserscheinungen bewältigt er mit seinem kraftvollen, aber niemals metallisch harten Tenor diese Mammut-Partie, und das mit einer Textverständlichkeit, die umso mehr erstaunt, als Ryan Kanadier ist.

Großartig auch die stimmlich brillante und ausdrucksstarke Catherine Naglestad als Brünnhilde, hin- und hergerissen zwischen der Zuneigung zu ihrem Retter Siegfried und dem Wissen, dass diese Liebe endgültig den Verlust ihrer einstigen Göttlichkeit bedeutet.

Nicht zu vergessen im exzellenten Sängerensemble der düstere und stimmgewaltige Alberich von Wolfgang Koch, der perlende Sopran von Elena Tsagallova als Waldvogel im weißen Tutu (der, auch einer dieser zahlreichen kleinen Gags, dem sterbenden Fafner mit einem energischen Klaps seines Flügels endgültig den Rest gibt), Jill Grove als einem aus Menschenleibern gebildeten Hügel entsteigende gruselig-bleiche Erda und Rafael Siwek als Fafner.

Kent Naganos Dirigat ist zwar weiterhin relativ langsam, aber nicht schleppend, und findet an den richtigen Stellen auch zur notwendigen Dynamik.

Fazit: Eine auf jeden Fall kurzweilige, wenn auch vielleicht manchmal etwas zu verspielte Inszenierung und musikalisch eigentlich schon der siebte Wagnerhimmel. Die Maßstäbe für die finale Götterdämmerung sind damit jedenfalls hoch gesetzt.

 

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Von Liebe und Tod

 

Richard Wagner: Die Walküre

Bayerische Staatsoper München

 

Endlich! Endlich haben Teile des gediegenen Münchner Opernpublikums die Möglichkeit, sich rebellisch zu geben und während der Aufführung durch „Buh“- und „Aufhören“-Rufe auf sich aufmerksam zu machen. Wie Regisseur Andreas Kriegenburg, der sich doch eigentlich mit provokanten inszenatorischen Einfällen zurückhalten wollte, das geschafft hat? Dazu gleich mehr …

Wir befinden uns nach dem gestrigen Rheingold-Vorabend am ersten Tag des Ring des Nibelungen, in Die Walküre. Mehr als bei allen anderen Teilen steht hier das Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren im Fokus, insbesondere die Liebe: die erkaltete zwischen Wotan und seiner Gattin Fricka, die enthusiastische des von Wotan gezeugten Zwillingspaars Siegmund und Sieglinde und nicht zuletzt auch die väterlich-töchterliche Liebe zwischen Wotan und der Walküre Brünnhilde. Doch ist Liebe überhaupt noch möglich vor dem Hintergrund von Intrigen, Gewalt und Machtspielen? Vielmehr ist auch der Tod allgegenwärtig.

Wie schon im Rheingold ist das Bühnenbild geprägt von Harald B. Thors universellem Riesenkasten, der sich im ersten Akt zu Hundings Haus wandelt, das freilich alles andere als heimelig wirkt: In den Ästen der Esche hängen Tote, im Hintergrund sind Frauen damit beschäftigt, Leichen zu waschen oder zu präparieren. Die Bedrohlichkeit der Situation, in die Siegmund hier geraten ist, ist unterschwellig permanent fühlbar, nicht zuletzt auch durch das herrische Auftreten Hundings (Ain Anger), der seine Ehefrau Sieglinde eher als stets verfügbares Objekt zu betrachten scheint denn als Mensch. Immer wieder zieht er sie gewaltsam zu sich heran, und ihr Kleid muss auch schon mal zum Abwischen der Hände herhalten.

Was für ein kaum fassbares Glück, dass ihr verschollener, innigst geliebter Bruder sie aus dieser Ehehölle befreit! Die im Inzest endende Annäherung der beiden wirkt jedoch irgendwie statisch, auch wenn die Darsteller stimmlich mehr als zu überzeugen wissen.

Klaus Florian Vogt ist der vom Publikum frenetisch gefeierte Siegmund, und es ist ein Genuss, seinem samtweichen, hellen Tenor zuzuhören, auch wenn es ihm an den hochdramatischen Stellen vielleicht ein wenig an Durchschlagskraft mangelt. Nicht weniger umjubelt Anja Kampe als Sieglinde, die mit ihrem klaren Sopran mühelos sowohl die ruhigen als auch die leidenschaftlichen Momente dieser Partie bewältigt.

Für den zweiten Akt haben Kriegenburg und Thor die Bühne zunächst weitgehend leergeräumt. Nichts als ein Schreibtisch signalisiert, dass wir uns jetzt in Walhall, der Macht- und Schaltzentrale Wotans, befinden. Wirklich viel hat er allerdings nicht mehr zu melden, insbesondere wenn es um die von ihm eingefädelte, in der Zeugung des späteren Helden Siegfrieds mündende Begegnung Sieglindes und Siegmunds geht. Seine Frau Fricka (Sophie Koch, stimmlich weitaus prägnanter und präsenter als im gestrigen Rheingold) ist jedoch kein zänkisches Eheweib, sondern eine präzise Analytikerin und Realistin, die Wotan seine Grenzen aufzeigt und gleichzeitig ihr Anliegen als Hüterin der Ehe durchzusetzen vermag, indem sie erfolgreich den Tod des Ehebrechers Siegmund einfordert.

Wotan hingegen ist ein Verzweifelter und Getriebener, sowohl stimmlich als auch schauspielerisch glaubhaft verkörpert durch Thomas J. Mayer, insbesondere in seinem langen Monolog, wenn er Brünnhilde seine Hoffnungslosigkeit über den unaufhaltsamen Gang der Dinge darlegt, sich lediglich das Ende herbeiwünscht und sich sogar deren Schwert an den Hals setzt. Die kurzfristig für die erkrankte Katharina Dalayman als Brünnhilde eingesprungene Iréne Theorin ist ein weiterer vokaler Glücksfall des Abends und beherrscht alle Facetten zwischen lyrischer Intensität und dramatischer Schärfe.

Für die anschließenden Szenen der Flucht Siegmunds und Sieglindes, die Todverkündung Brünnhildes (ein ergreifend intensiver Moment zwischen ihr und Siegmund) und den Kampf zwischen Siegmund und Hunding verengt sich der Bühnenkasten zu einem schmalen Spalt, einem bläulich beleuchteten und von Nebelschwaden durchzogenen, von Toten übersäten Schlachtfeld – eines der an diesem Abend leider insgesamt eher raren eindrucksvollen Bilder.

Und dann der dritte Akt … Der beginnt mit dem selbst den meisten Wagner-Unkundigen hinlänglich bekannten Ritt der Walküren, ein „Hit“ sozusagen, auf den jeder wartet. Doch Kriegenburg bricht mit dieser Erwartungshaltung und provoziert auf diese Weise die eingangs erwähnten Unmutsbezeugungen.

Denn statt des wohl berühmtesten aller Ring-Motive erklingt zunächst – nichts. Was wir hingegen sehen, ist etwa ein Dutzend junger Frauen in knielangen, silbernen Kleidchen und Springerstiefeln, die eine stumme Tanzperformance hinlegen, eine symbolische Darstellung der ungestüm auf ihren Einsatz wartenden Pferde der im Hintergrund bereits präsenten Walküren. Fünf Minuten Trampeln, Stampfen und Haareschwingen ohne jede Musik, zu dem gleichzeitig auf Pfählen aufgespießte Leichen vom Bühnenboden emporgefahren werden. Das hat durchaus Spannung und Dynamik, ist aber vielleicht ein wenig zu lang geraten und ein derart ungewöhnlicher Angriff auf die tradierten Hör- und Sehgewohnheiten, dass es dem einen oder anderen zuviel wird. Die Zwischenrufe halten sich allerdings die Waage mit demonstrativem Applaus, bevor schließlich die Töne des Walkürenritts aufbranden.

Wenn Wotan am Ende Brünnhilde als Strafe für ihren Ungehorsam in Schlaf versetzt und den Flammenring um sie legt, geschieht das auf komplett leerer Bühne. Einerseits ist die Abkehr von effekthascherischem Bühnenzauber erfreulich, und in der Tat geschieht ja auch nicht viel in dieser Schlusspassage, doch wirkt die Reduktion in diesem Fall eher wie eine Kapitulation des Regisseurs vor dem Stoff.

Szenisch ist diese Walküre sicher dennoch nicht schlecht, aber auch nicht der wirklich große Wurf; einzelne gute Einfälle bleiben voneinander isoliert, ohne sich zu einem abgerundeten Ganzen zu fügen. So tauchen die im Rheingold als originelle lebende Bühnenbilder fungierenden Statisten nur noch als etwas beliebig wirkende Staffage auf, beispielsweise als Butlerschar in der Götterburg Walhall, die Getränke servieren oder auch als Sitzmöbel für Wotan und Fricka herhalten muss. Im ungleich aktionsreicheren Siegfried gilt es hier einiges nachzuholen.

 

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Der Anfang vom Ende

 

Richard Wagner: Das Rheingold
Bayerische Staatsoper München

 

Was für ein Unterfangen! Das Vorhaben der Bayerischen Staatsoper, innerhalb nur einer Spielzeit den gesamten Ring des Nibelungen, Richard Wagners opus magnum, auf die Bühne zu bringen, hat in dieser Form wohl noch kein anderes Haus gewagt. Normalerweise verteilen sich die Produktionen von Rheingold, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung auf drei bis vier Jahre; hier in München gab es das Opernkleeblatt nun also ein Jahr vor Wagners 200stem Geburtstag innerhalb nur einer Saison, inszeniert von Andreas Kriegenburg zusammen mit Harald B. Thor (Bühne) und Andrea Schraad (Kostüme), die an der Staatsoper vor wenigen Jahren bereits eine beeindruckende Aufführung von Alban Bergs Wozzeck erarbeitet hatten.

Im Rahmen der momentan stattfindenden Opernfestspiele steht der Ring nun zweimal in einem Zeitraum von jeweils sechs Tagen auf dem Spielplan; den Auftakt zur zweiten Runde machte gestern der Vorabend Das Rheingold, heute gefolgt von Die Walküre, dem Siegfried am Freitag und der Götterdämmerung am Sonntag, die übrigens im Rahmen von „Oper für alle“ auch kostenlos auf einer Großbildleinwand auf dem Max-Joseph-Platz zu sehen sein wird.

Im Vorfeld hatte Kriegenburg zu seinem Inszenierungskonzept gesagt, er wolle nicht mit der x-ten Neuinterpretation oder opulenten Effekten aufwarten, sondern sich auf die Erzählung der Geschichte konzentrieren und diese mit Bildern versehen, die man so vielleicht noch nicht gesehen hat.

Zumindest zu Beginn wird diese Ansage voll eingelöst. Beim Betreten des Zuschauerraums fällt der Blick sofort auf den von Harald B. Thor geschaffenen riesigen, hellen Bühnenraum (ein Einheitsbühnenbild, das sich gleichwohl im Laufe der Aufführung durch verschieb- und kippbare Boden- und Deckenelemente als vielseitig veränderbar erweist), in dem sich in Picknickatmosphäre allerlei jugendliches Volk in weißer Sommerkleidung tummelt. Auf einmal beginnen diese Statisten sich bis auf die hautfarbene Unterwäsche auszuziehen, sich mit blauer Farbe zu beschmieren und im vorderen Bühnenbereich auf den Boden zu legen. Wenn sie dann mit dem Einsetzen der Klänge des Es-Dur-Vorspiels und während der gesamten ersten Szene Oberkörper, Arme und Beine auf- und abbewegen, ist das in der Tat eine faszinierende Bildfindung für die Darstellung des wogenden Rheins.

Auch später wird die Statisterie noch zu sehen sein, zum Beispiel als die Burg Walhall symbolisierende zinnenbewehrte Mauer – gewöhnliche Menschen (die ja im Ring ansonsten kaum vorkommen) als Bühnenbilder: eine interessante Idee, und es wird spannend sein zu sehen, wie diese in den noch folgenden Teilen fortgeführt werden wird.

Darüber hinaus gelingen noch weitere bestechende Bilder, etwa die auf gewaltigen Blöcken aus toten Körpern stehenden Riesen oder Alberichs Nibelheim-Bergwerk: ein düsteres Szenario aus Gewalt, Feuer und Tod, fast schon in einer Art Rammstein-Videoästhetik.

Kriegenburg interessiert sich erfreulicherweise wenig für den mythologischen Unterbau des Stoffes. Seine Figuren sind im zeitlichen Nirgendwo verortet, am ehesten noch im Hier und Jetzt, wozu auch die neutralen Kostüme von Andrea Schraad beitragen. Deren Charakterzeichnung bleibt zwar im Wesentlichen eher konventionell, verlangt den Sängern aber dennoch auch große schauspielerische Fähigkeiten ab.

Wotan (solide: Johan Reuter) ist zu Beginn ein mehr als selbstbewusster Chefgott, der entgegen mahnender Worte vor allem seiner Gattin Fricka (Sophie Koch, teilweise merkwürdig unsauber in den Tiefen) alles im Griff zu haben glaubt. So einer kann den Riesen (Thorsten Grümbel und Phillip Ens) auch schon mal die Göttin Freia (Aga Mikolaj) als Lohn für die Fertigstellung der Burg Walhall versprechen, die nach ihrer Befreiung aus der Geiselhaft Fasolts und Fafners als gebrochene Frau zurückbleibt. Am Ende ist von dieser Selbstgerechtigkeit jedoch nicht mehr viel übrig; der Verlust des Rings als Lösegeld für Freia hat die Katastrophe und den Anfang vom Ende in Gang gesetzt. Dessen ist sich Wotan bewusst, da gerät schließlich auch der Einzug in die neu geschaffene Götterburg wenig glorios.

Stimmlich und darstellerisch der Star des Abends und zu Recht mit stürmischem Beifall und Bravos bedacht ist Wolfgang Kochs Alberich. Wie dieser sich vom allseits abgelehnten Proleten nach dem Raub des Rheingolds und dem Schmieden des Rings zum eiskalten Machtmenschen wandelt und letztlich nach Verlust all dessen zum Enttäuschten und Erniedrigten mit Hass auf alles und jeden, das ist eine durchaus überzeugende Charakterstudie.

Ebenfalls eindrucksvoll der Loge des Stefan Margita: ein zynischer Dandy im roten Anzug, schwankend zwischen blankem Egoismus und Unterstützung der anderen Götter, die aus ihrer Ablehnung für ihn, den Halbgott, keinen großen Hehl machen.

Kent Nagano dirigiert das alles unaufgeregt und durchaus sängerfreundlich. Etwas mehr Energie und etwas weniger Lyrismus wären hier teilweise wünschenswert, aber dies bedeutet schon Jammern auf hohem Niveau.

Alles in allem eine Inszenierung des Vorabends, die man vielleicht als eine Art Exposé für die folgenden Teile verstehen kann. Wäre es eine Tätowierung, so könnte man eventuell von den Outlines sprechen, die es in den kommenden Tagen zu füllen gilt. Ich bin gespannt!

 

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