Magie mit Puppen

Manchen ist die Geschichte von War Horse vielleicht aus der gleichnamigen Kinoadaption von Steven Spielberg bekannt: Es geht um einen Jungen und sein Pferd. Aus einer trunkenen Laune heraus ersteigert Bauer Ted ein Fohlen. Für seinen halbwüchsigen Sohn Albert ist es wie Liebe auf den ersten Blick – er nimmt sich der Aufzucht und Erziehung des Fohlens an und tauft es Joey. Doch die schönen Jahre währen nicht lang. Das Geld der Familie ist knapp, und als der Erste Weltkrieg ausbricht, kauft das Militär Pferde für ihre Offiziere, und der mittlerweile stattliche Hengst Joey wird kurzerhand verkauft. Zu diesem Zeitpunkt ist noch niemandem bewusst, dass der Krieg nicht bis Weihnachten gewonnen sein würde, und so beginnt für Joey und Albert eine Odyssee durch das kriegsgebeutelte Frankreich.


Doch der Film ist nur ein blasser kleiner Bruder des Theaterstücks, das man in London bestaunen kann: Basierend auf dem Roman von Michael Morpurgo hat das National Theatre hier eine wirklich beeindruckende Produktion eines außergewöhnlichen Kriegsdramas auf die Beine gestellt, die seit Jahren die Massen begeistert. Aber wie bekommt man so ein Pferd auf eine Bühne mitten in London?
Natürlich sind da keine echten Pferde im Theater, sondern Puppen. Aber wer jetzt an die Augsburger Puppenkiste mit Nylonschnüren und hölzernen Gesichtszügen denkt, täuscht sich gewaltig. Die gigantischen Pferdepuppen werden von jeweils drei Puppenspielern der südafrikanischen Handspring Puppet Company geführt, und zuerst denkt man: Wow, großartig, wie diese drei Schauspieler das machen! Doch dann wirkt die Magie des Stückes, und nach wenigen Minuten sieht man das Schnippen eines Schweifes, das lässige Anheben eines Fußes, das Drehen der Ohren, das Glänzen der Augen, das Beben des Brustkorbes mit jedem Atemzug. Man hört das leise Schnauben, das leicht nervöse Wiehern, und auf der Bühne steht plötzlich ein Pferd.

Diese Verschiebung von Puppe zu Tier verleiht dem ganzen Stück eine neue Ebene und gibt dem Zuschauer ein äußerst intensives Gefühl. Es rückt die Aufmerksamkeit weg von der Puppentechnik und hin zum Kern des Stückes: Krieg, Menschen und Tiere im Krieg. Die Geschichte hinter War Horse ist nicht besonders komplex und vielleicht sogar etwas kitschig, aber das Stück schafft etwas, das man in Kriegsdramen selten sieht: Es erzählt nicht vom Krieg und wie die Guten die Bösen besiegt haben, sondern von den persönlichen Geschichten dahinter. Von Verzweiflung, Hoffnung, Angst, und davon, dass die meisten Soldaten einfach ganz normale Menschen waren, die nach Hause wollten, die Mitgefühl miteinander und mit den Pferden hatten, mit denen die Briten den Krieg gewinnen wollten.
All das wird in einer sehr spartanischen Kulisse präsentiert, es gibt so gut wie kein Bühnenbild. Stattdessen wird viel mit Licht und Soundeffekten gearbeitet, und gezeichnete Landschaften werden auf eine schmale Leinwand projiziert. Diese schlichte Ausstattung lässt den Zuschauer sich ganz auf die „Pferde“ konzentrieren, die so voller Details stecken, dass man nur immer wieder staunt. Das Ganze wird unterstützt mit Sprachen – denn die Deutschen und Franzosen sprechen überwiegend ihre Muttersprachen – und Musik, sodass eine enorm intensive und mitreißende Atmosphäre entsteht, die nicht selten Gänsehaut erzeugt.

Verglichen mit anderen Londoner West-End-Produktionen ist War Horse eher auf der teuren Seite, aber dieses Theatererlebnis ist jeden Penny wert – es begeistert nicht umsonst seit 2007 die Zuschauer und Kritiker. Man verlässt das Theater mit dem großartigen Gefühl, ein wirklich einmaliges Stück gesehen zu haben.

http://www.warhorseonstage.com/

Trailer: https://youtu.be/FS51Ut9cnXA

Bild: http://ntlive.nationaltheatre.org.uk/productions/9460-war-horse

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