© Stadt Leipzig/ Bolko Kosel

© Stadt Leipzig/ Bolko Kosel

Mrs.Hyde:

Freunde haben uns überredet, am Viktorianischen Picknick teilzunehmen, das wir eigentlich auslassen wollten. Das Wetter ist zum Glück ok, etwas kühl, aber trocken. Nicht ok dagegen sind die Myriaden von Rentnern, die wie Mückenschwärme über die gewandeten Besucher herfallen und jedem ungefragt die Smartphone-Kamera vor die Fresse halten. Das nimmt einfach überhand, es ist anstrengend und raubt dem Ganzen die Atmosphäre. Teilweise wirken die Besucher aber auch selbst deplatziert, wenn sie sich in Faschingsklamotten übertrieben in Pose werfen. Zum Glück müssen wir nach zweieinhalb Stunden aufbrechen, da die polnischen Gothrocker UnderTheSkin im Täubchenthal ein tolles düsteres Set spielen. Das ist mal echte Grufti-Musik und der ideale Auftakt für das diesjährige Wave Gotik Treffen. Nun fahren wir nach einem Parkplatz-Quick-Change ins Stadtbad zur Cold-Wave-Legende Guerre Froide. Der Auftritt gerät düster und tanzbar zugleich und ist solide, auch wenn das Publikum insgesamt etwas verhalten bleibt, außer natürlich bei „Demain Berlin“. Eigentlich wollen wir nun für Boy Harsher und vor allem Ash Code bleiben, allerdings drängen jetzt unaufhörlich weitere Besucher durch den kleinen Zu- und Ausgang in das eh schon sehr gut gefüllte Stadtbad. Das führt zu Platzangst und massiven Sicherheitsbedenken, zumal wir allein fünfzehn Minuten brauchen, um herauszukommen. Latente Todessehnsucht mag auf dem WGT zwar voll trve sein, hat für mich aber definitiv auch ihre Grenzen. Als Alternative geht es zurück zum Täubchenthal, wo wir zwangsläufig leider nur noch die finalen drei Songs der Gothic Rocker Merciful Nuns mitbekommen, die jetzt irgendwie nicht so richtig knallen. Wahrscheinlich hätte man die ganze Show sehen müssen. Dafür spielen Skeletal Family zum Abschluss des Tages ein schönes Konzert und begeistern damit ihre Fans. Für die Aftershow-Party wollen wir noch zum Felsenkeller, versumpfen dann allerdings in der Küche.

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torshammare:

20180518_172037Der Himmel ist düster – bestes Geburtstagswetter also für mich. Beim Schlendern durch die Stadt treffe ich Unmengen an Freunden, und das WGT-Feeling stellt sich endgültig ein. Zwei liebe Bekannte nehmen mich dann gleich mal mit dem Auto mit ins Westbad, eine fürs WGT neue Location am Lindenauer Markt. Dieser ist ansonsten mit drei Tramlinien hervorragend angebunden, jetzt allerdings ist grade perfekt über Pfingsten eine große Baustelle, weshalb man mit dem Schienenersatzverkehr rumzockeln muss. Aber es finden trotzdem einige Leute den Weg zu Formalin, einem EBM/Electro-Duo aus Berlin, das ich vor einigen Monaten auf dem E-Only schon mal gesehen habe. Hier gefallen sie mir ein wenig besser, auch wenn ich bei ihrer Musik den letzten Kick vermisse. Ich sehe mir dafür das Westbad genauer an, ein altes Schwimmbad mit bunt-putziger Deckenmalerei, das aus der Bauhaus-Zeit stammt und frisch restauriert als Eventlocation dient. Ein sehr schönes Ambiente, nur der Weg zu den Toiletten im Keller ist ganz schön weit. Der Sound ist auch in Ordnung, und als Formalin das etwas aggressivere „Yuppiescum“ anstimmen, tanze ich dann doch noch. Danach geht es gut aufgewärmt raus zur agra, wo meine zwei Highlight-Bands des Abends spielen werden.

20180518_193355Gerade rechtzeitig schaffe ich es zu The Eden House, der britischen Goth-Allstar-Band (mit ehemaligen Fields-Mitgliedern), die ich vor einigen Jahren bereits schon im Felsenkeller gesehen habe. Ihr Sound ist nicht mal besonders gothisch, aber trotzdem zauberhaft und mitreißend, vor allem dank Hauptsängerin Monica Richards und diverser Gastsängerinnen (heute u. a. Sally Holliday). Ich habe ein bisschen Angst vor dem berüchtigten Soundfresser in der agra, aber heute ist ein guter Tag – die Halle ist mäßig gefüllt und der Sound direkt vor der Bühne hervorragend, was bei drei Sängerinnen plus Gastgeigerin (die wunderbare Shir-Ran Yinon, die schon mit New Model Army auf Tour war) plus vollständiger Band ein Glücksfall ist. So können die Songs und vor allem die elfenhaft-kraftvollen Stimmen der Damen ihre volle Wirkung entfalten, und schon bald wiegt sich das Publikum zu den himmlisch schönen Melodien. Besonders großer Jubel brandet auf, als die ersten Klänge der „Battle hymn“ von Faith and the Muse erklingen, und Monica Richards trägt den legendären Song eindringlich und mitreißend vor. Ganz, ganz toll! Der letzte Song, „To believe in something“, entlässt einen mit seiner träumerischen Melodie aus diesem wunderbaren Konzert, das in dieser Besetzung, mit rundum tollen Musikern, exzellenter Lightshow und dem schon erwähnten überraschend guten Sound etwas ganz Besonderes war. Danke!

20180518_205329Ich bleibe dann gleich an meinem Platz und schiebe mich sogar noch ein wenig vor, denn jetzt kommt eine Band, die seit 20 Jahren nicht mehr in Deutschland gespielt, 2015 nach langer Pause wieder ein Album (Enola) veröffentlicht hat und seither nur in ihrem Heimatland Norwegen aufgetreten ist – Seigmen. Ihre große Zeit hatten die fünf Norweger Anfang der Neunziger, und seither habe ich gehofft, sie mal live sehen zu können. Musik haben sie natürlich in der Zwischenzeit gemacht, und als Zeromancer kann man zumindest drei der fünf Seigmen regelmäßig auf deutschen Bühnen sehen, aber das ist trotzdem was anderes. Ich bin also mehr als hibbelig vor diesem historischen Konzert, und meine Vorfreude wird schon ab dem Intro und den ersten Tönen von „Performance Alpha“ belohnt. Alex Møklebust ist ein grandioser und charismatischer Frontmann, Bassist Kim Ljung moderiert den Abend auf Deutsch, und Noralf Ronthi an den Drums sowie Marius Roth und Sverre Økshoff an den Gitarren spielen sich traumwandlerisch sicher durch den Gig. Diverse Songs stammen vom englischsprachigen Album Radiowaves (z. B. „The world revolves around you“ oder „The modern end“), doch glücklicherweise fehlen die großen Hits auf Norwegisch nicht, wie „Ohm“ oder „Fra X till döden“. Den Übersong „Döderlein“ brüllt die ganze Halle mit, beim Operngesang von Gitarrist Marius Roth („Agnus dei“) erstarren alle in Ehrfurcht, um dann in ohrenbetäubenden Jubel auszubrechen. Bei „Hva vi elsker“ habe ich Tränen in den Augen, und bei „Hjernen er alene“ wähnt man sich in einer anderen Welt, so episch, brachial und einzigartig ist dieser Song. Dann ist es vorbei, und ich bin so glücklich wie schon sehr lange nicht mehr. Ein sensationeller Auftritt, bei dem glücklicherweise Sound und Lightshow das hohe Niveau halten konnten. Takk, Seigmen!

Auf Wolke Sieben lasse ich mich dann von der Tram zurück in die Stadt schaukeln und überlege, ob ich noch ins Schauspielhaus zu Einar Selvik gehen soll oder ins Stadtbad zu Ash Code, doch ich strande an der Moritzbastei und schaue mir mit Ankalætha noch ein wenig Scheuber an. Hier ist der Sound jedoch grottig, sehen tut man traditionell als kleiner Mensch in der Konzerttonne sowieso nichts, und wirklich begeistern kann mich Herr Scheuber leider auch nicht. Wir beschließen also nach diversen Schwätzchen mit Bekannten, zu einer moderaten Zeit zurück in die Wohnung zu fahren.

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Phoebe:

Am Nachmittag bin ich in der Nikolaikirche bei einem Orgelkonzert. Ich war schon mehrmals in dieser schönen, geschichtsträchtigen Kirche mitten in der Innenstadt, aber noch nie habe ich die Orgel spielen hören. Schön!

Nicolaikirche

Der erste richtige WGT-Konzert-Tag beginnt mit einer Entscheidung. Raison D’Être im Schauspielhaus oder The Eden House in der agra? Ich liebe The Eden House, also …
Ich bin noch nie eine der Ersten in einer Schlange gewesen, und weil ich so früh dran bin, muss ich nicht einmal vor der Toilette anstehen. Das ist so ungewöhnlich, dass ich und die anderen Damen irritiert nachsehen, ob wir überhaupt vor den richtigen Häuschen stehen!
Drin dann, in der luftig befüllten agra-Halle, beginnt relativ pünktlich das Konzert. Vier schöne Ladies treten auf, mit schwarzen, brünetten und roten Haaren, die drei Sängerinnen treten vor ihre mit Blumen geschmückten Mikrofonständer, die ganz in schwarz gekleidete schöne Geigerin geht auf die rechte Seite. Gekleidet sind die Schönheiten wie Elfen, Feen, Zauberinnen, in der Mitte der Star, Monica Richards. Monica!, schreit auch gleich zu Anfang wer. Die Holde nimmt es zur Kenntnis. Der Auftritt ist bombastisch, episch, und doch auch zart und subtil. Was vom Sound her nicht so gut rüberkommt wie in kleineren Locations oder gar wie auf den Alben, machen die Herren an den Instrumenten wieder wett. Die Musik ist perfekt inszeniert, Stimmung kommt rüber, vor allem bei den ergreifenderen, langsamen Stücken.

Danach steht schon wieder eine Entscheidung an: Soll ich zu Eivør ins Heidnische Dorf hetzen oder gemütlich in die Stadt und ins Schauspielhaus zu Einar Selvik? Ich entscheide mich für Einar. Weil ich nicht hetze, werde ich „belohnt“ mit einer langen Warteschlange. Alle wollen den Norweger sehen. Kommt sein Bekanntheitsgrad daher, dass er für die Fernsehserie Vikings Musik schrieb? Es wird ein bisschen gebibbert, ob man noch reinkommt. Belohnt werde ich mit einem Platz in Reihe 1, mittig. Hier hätte man beste Sicht, wenn nicht die Fotografen vor der Bühne unzählige Fotos machen würden, allen voran eine gewandete Dame, die im Gegensatz zu den Herren aufrecht stehend ihre Bilder macht, nicht in der Hocke. Na egal, Bühnenshow ist hier nicht: Einar steht alleine im Alltagslook auf der Bühne, greift nacheinander zu den einzelnen bereitgelegten Instrumenten vor sich und beginnt zu erzählen. Er macht uns gleich zu Anfang klar, dass dies ein Auftritt werden wird, bei dem er zur Hälfte erzählen wird und zur Hälfte singen und spielen. Er wird uns die Nordische Mythologie rüberbringen, wird uns von alten Gedichten erzählen, von Sagen um Ragnar und das Leben der Wikinger. Er erzählt vom Goldenen Horn, vom Lindwurm, der Segen und Fluch zugleich war: Er saß zwar auf dem Gold und vermehrte es beträchtlich, doch umso mehr der Goldberg wuchs, umso größer wurde auch der Lindwurm. Und so musste man immerhin mit einem immer größer werdenden Drachen klarkommen! Mit dem Horn wurde damals kommuniziert, es wurden Tiere zurückgerufen, mit seinen Tönen Schafe zurückgeholt, man kommunizierte aber auch untereinander damit. Es war sozusagen das erste Mobile Phone! Das, was er jetzt hier in der Hand hält, wäre sozusagen ein iHorn 5! Er zwinkert dabei, weiß, dass das ein bisschen kalauerig war, aber er ist witzig, das Publikum liebt ihn! Aus dem Saal wird er gegrüßt, ihm wird zugerufen, aber, hey, Einar kommt dem Zwischenrufer drauf: Das ist Schwedisch! Nicht Norwegisch! Gelächter. Zwischendurch fragt er, ob wir eigentlich noch wach sind, es ist ja doch schon spät, und das Konzert ist ja eher ruhig. Aber die Geschichten fesseln, er ist inbrünstig, aber nicht verbissen, und er beherrscht seine skurrilen Instrumente perfekt, seine Stimme göttlich. Vereinzelt nur ein paar bunte Lichtspots, das ist alles, mehr muss es manchmal gar nicht sein. Am Ende kündigt er an, morgen nochmal aufzutreten, dass es schön wäre, wenn wir nochmal kommen würden. Gerne, wenn es sich einrichten lässt!

Interview mit Einar (MDR): https://www.youtube.com/watch?v=4wZN6FLKEr8

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Ankalætha:

Nicht nur wegen des feuchtfröhlichen Vorabends, sondern auch aus organisatorischen Gründen beginnt mein Freitag eher schleppend, vor halb fünf Uhr nachmittags bin ich nicht aus dem Haus. Ich treffe mich mit Freunden an der MB, und gemeinsam geht es weiter ins Täubchenthal, wo um sechs die erste Band spielt, die auf meiner „Herzchen-Liste” steht. Undertheskin aus Polen haben mich im Vorfeld mit ihren bisherigen Veröffentlichungen restlos überzeugt, und ich freue mich sehr auf den Auftritt. Das Täubchenthal ist auch schon relativ gut gefüllt, gute Voraussetzungen also. Leider kommt der Sound zunächst nicht wirklich mit dem doomigen Post-Punk klar, es dröhnt recht breiig, und da die Musiker eher statisch auf der Bühne stehen, gibt es dazu auch nicht viel zu sehen. Erst gegen Ende des Sets, als mit „//WAVE//” und „//tRAIN//“ das Tempo ein bisschen anzieht, kommt doch noch ordentlich Stimmung im Publikum auf.
Anschließend stehen wir noch eine Zeitlang vor der Halle im Innenhof, bewundern die Anwesenden und genießen die frische Luft – leider führt das dazu, dass wir zu The Beauty of Gemina kaum noch in die Halle zurück kommen. Es ist brechend voll, die Leute stehen bis hinter die Toiletten, und auf der Galerie kann man sich zwar noch einigermaßen bewegen, einen Blick auf die Show zu werfen, ist aber nicht möglich. Dummerweise sind auch alle Fenster und Türen zum Innenhof und der oberen Terrasse zu, sodass man draußen, wo man vernünftig atmen kann, überhaupt nichts hört. Ich beschließe darum, mich gleich auf den Weg ins Stadtbad zu machen, wo jetzt Guerre Froide spielen und auch einige Freunde und Bekannte zu treffen sein sollten.
Schon in der Tram höre ich, dass es „überall voll ist”, vom Westbad wird gar der erste Einlassstop gemeldet. Und dabei wissen die meisten Leute noch nicht mal, wie man da überhaupt hinkommt. Endlich beim Stadtbad angekommen habe ich aber Glück, die Schlange am Einlass ist gar nicht besonders lang, und die Halle zwar gut, aber zu diesem Zeitpunkt noch erträglich gefüllt. Von Guerre Froide bekomme ich nur die allerletzten Songs mit, es scheint ein guter Auftritt gewesen zu sein.
Im nachfolgenden Gewühl irgendjemanden finden zu wollen, erweist sich als komplett utopisch, ich gebe nach zwei Runden durch den Saal auf, finde einen Platz Mitte links außen und freue mich auf Boy Harsher. Die US-Band erfüllt auch durchaus alle Erwartungen, leider steht man aber schon nach zwei, drei Songs wirklich so dicht wie die berühmten Heringe in der Tonne. Nachdem dann der Herr neben mir sich einbildet, den Platz, an dem ich mich befinde, als Tanzfläche beanspruchen zu können, und mir zu diesem Zweck mehrfach seinen Bierbecher schmerzhaft gegen den Oberschenkel rammt, gebe ich auf. Ich ziehe mich unter die Arkaden zurück, höre mir von dort noch ein paar Songs an, ohne etwas zu sehen, aber als auch dort dank immer noch steigender Publikumszahl mehr und mehr Leute über meine Füße stolpern, wird es mir zu viel, ich muss raus an die Luft. Schade, Ash Code hätte ich sehr gerne gesehen, aber so macht das keinen Spaß mehr. Als ich aus der Tür trete, sehe ich, dass die Schlange am Einlass inzwischen aus dem Hof raus, ums Eck und den ganzen Block runter steht.
Ich laufe in Richtung Augustusplatz und überlege, ob ich es überhaupt noch irgendwo versuchen will oder den Tag lieber gleich abschreiben soll. Aber zumindest nochmal Leute kucken könnte man ja … lustigerweise ist in der MB dann kaum was los. Einzig und allein die Konzerttonne ist ziemlich voll, ein extra Türsteher regelt den Einlass, doch sogar hier komme ich nach kurzer Wartezeit rein und kann einen Blick auf E-Craft erhaschen. Ich mache aber ziemlich bald wieder Platz für andere Besucher, treffe mich mit torshammare, und gemeinsam lassen wir den Abend gemütlich ausklingen. Wir schauen noch mal kurz in der Konzerttonne vorbei, als Scheuber dort auf der Bühne steht, aber hier ist es immer noch ziemlich voll, und die Gelegenheit, den Herren live zu erleben, werde ich dieses Jahr noch öfter haben. Darum gehen wir bald wieder, treffen noch den einen oder anderen Bekannten, und fahren dann nach Hause.

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littlenightbird:

Der Freitag beginnt für uns mit einem „WGT-Törtchen“ (gab es in rund, pastell-lila mit Rose drauf oder in Sargform) sowie einem schwarz glasierten „WGT-Krapfen“ vom Bäcker und später mit dem Viktorianischen Picknick. Wieder einmal falle ich als Cybergoth aus dem längst nicht mehr streng eingehaltenen „Dresscode“ – offenbar sehr zur Freude der Fotografen. Ich stelle fest, dass ich dieses Jahr als einer von gefühlt sechs Cybergoths am ganzen WGT anscheinend zu einer aussterbenden Spezies gehöre und so oft um Fotos, Tanzdarbietungen oder ähnliches gebeten werde wie seit Jahren nicht mehr. Es ist angenehm, wenn man offenbar positiv auffällt, aber inzwischen messe ich meinen „Beliebtheitsgrad“ auch nicht mehr an der Anzahl Fotos von mir, die im Netz auftauchen (oder an den potentiellen Kitschpostkarten mit mir als WGT-Motiv im nächsten Jahr). Mich stört das Viktorianische Picknick am Freitag immer ein bisschen, da man viel zu schnell wieder zu Konzerten „muss“ oder eigentlich lieber gleich in der agra shoppen gehen würde – aber die Freunde wollen ihre prunkvollen und stilvollen Gewänder ausführen. Dabei stößt vielen doch immer wieder die rege Beteiligung von „Nichtgoten“ und Zaungästen auf, deren Anzahl die der Gothics inzwischen schon fast überwiegt.

Doch kommen wir zurück zum „Wave-Gotik-Verpassen“: Meine vorhergehende Befürchtung, das Westbad könnte sich als Kohlrabizirkus-Ersatz als zu klein erweisen, wird am Abend leider bestätigt durch eine einmal um den Block reichende Warteschlange, vor der zumindest von außen nett anmutenden Location. Nach mehrmaliger Auskunft, es herrsche Einlassstopp und keiner käme mehr rein, und etwa einer halben Stunde vergeblichen Wartens auf der Stelle, ziehen wir es vor, SITD (eigentlich einer meiner zwei Headliner dieses WGTs) in den Wind zu schlagen, stattdessen zum Stadtbad zu fahren und Boy Harsher und Ash Code anzusehen. Am Stadtbad kamen wir gerade aus dem Taxi, rein in die Halle ohne nennenswerte Warteschlange, wie ich es immer gewohnt bin.

© Boy Harsher-HP

© Boy Harsher-HP

Boy Harsher, die ich bisher nur durch ihren Hit „Pain“ kannte, begeistern mich wie erwartet, und es war kein Fehler hierher zu fahren. Die Band spielt guten, tanzbaren, poppigen Wavesound. Allerdings ist auch das Stadtbad so voll wie noch nie, und unser Konzertgenuss wird etwas getrübt durch vier rücksichtslose „Giraffen“ (über eins neunzig) mit strengem Körpergeruch und schlechten Manieren, die sich trotz Protest direkt vor uns bzw. auch zwischen uns drängen, was nicht kommentarlos hingenommen wird.
Bange Momente gab es auch, als eine Freundin zum Rauchen rausging und sich Minuten später in einer angeblich nicht mehr hineingelassen werdenden Schlange wiederfand, die aber dann doch abrupt eingelassen wurde. Überhaupt habe ich den Eindruck, dieses Jahr unterliegt das WGT einer sehr willkürlichen Einlasspolitik, die manchmal Fragen aufwirft.
Ash Code, die ich von einem Auftritt beim Münchner Katzenclub kenne, sorgen erneut für eine volle Halle, der wir aber hinten an der Bar entgehen, wo noch relativ Platz ist, wo man sich anlehnen kann, es riecht verführerisch nach den dort erhältlichen Brezen! Ich lasse mich vom Konzert und den Videos zu den Songs eher berieseln, wobei die Aussage „Give me my life back“ eher deprimiert, zeigt das Video doch plakativ das „rat race“ des täglichen Alltags mit seinem Leistungsdruck und seinen Folgen in Drogen-, Glückspillen-und Alkoholkonsum. Der Abend in der warmen vollen Halle hat mich eher angestrengt, wir lassen ihn in der Cocktailbar der Moritzbastei ausklingen.

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