torshammare:

Den Samstag beginne ich langsam und gemütlich, fahre irgendwann zur agra und verquatsche mich dort wie jedes Jahr bei Edition Roter Drache. Auch einen Abstecher ins (da noch locker gefüllte) Heidnische Dorf schaffe ich, bin aber froh, dann auch wieder gehen zu können, als die Massen hereindrängen. Lieber schnell wieder ins Stadtbad und den verträumten, aber nicht übermäßig zarten Electropop von Sally Dige anhören. Zusammen mit einer anderen Musikerin/Sängerin präsentiert Sally sehr charmant – und auch charmant nervös, denn natürlich gibt’s am Anfang Technikprobleme – ihre Songs, die teilweise auch ein bisschen Gas geben und sehr tanzbar sind. Vor allem gefallen aber auch die stimmungsvollen Visuals auf der Leinwand. Meine zweite große Entdeckung auf dem WGT (man spricht den Nachnamen übrigens Dänisch aus, also in etwa „Di(j)a“), mit der ich danach am Merchstand noch ein wenig plaudere. Von den wunderschön designten Sachen muss ich unbedingt etwas kaufen.

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Double Echo aus England können mein Begeisterungslevel dann leider nicht halten, Post Punk ist bei mir eh immer so eine Sache, und hier kommt das alles ein bisschen zu gefällig daher, auch wenn durchaus schöne Melodien enthalten sind. Allerdings schlägt hier auch mal wieder der berüchtigte Dröhnsound im Stadtbad zu, und mein Kreislauf möchte auch ganz dringend in einem dunklen Eck auf dem Boden sitzen und sich ein bisschen aus allem ausklinken. Insofern kann ich eigentlich nicht qualifiziert über Double Echo urteilen, viele Anwesende haben jedenfalls Spaß (oder können zumindest das Dröhnen besser ignorieren).
Kontravoid-1-von-1Kontravoid danach können mich wieder mobilisieren, auch wenn es ein bisschen faszinierend ist, wie man mit einem Grundbeat ein ganzes Konzert bestreiten kann, ohne dass es langweilig wird. Überraschungen in dem Sinn gibt es keine, auch die Vocals sind immer im selben Stil, aber irgendwie schafft Kontravoid (ein Mann und seine Synths) es, die ganze Halle – einschließlich mir – mit hartem Electro zum Tanzen zu bringen. Leider ist der Sound auch hier wieder böse übersteuert, sodass nicht nur der Hallenboden über dem Schwimmbecken wackelt, sondern auch mein Magen.
A-spell-inside-1-von-1Ich bin daher auch ganz froh, dass ich danach gemütlich in die Moritzbastei wechseln kann, wo ich vor der Noisenacht noch ein bisschen Synthiepop hören möchte. Hören ist leider auch das Stichwort, denn man merkt immer erst, wie viele Menschen über 1,90 m auf dem WGT sind, wenn man in die Konzerttonne der MB geht, denn da stehen sie nämlich alle wie eine Wand vor einem. Jedes Jahr. Ich erkenne mittlerweile schon die Kopfformen wieder. Insofern habe ich zuerst einmal keine Ahnung, wie A Spell Inside aussehen, aber anzuhören sind sie tatsächlich ganz wunderbar, wenn man melodiösen und ergreifenden Synthiepop mag. Trotz durchaus vorhandener Kenntnisse in dem Genre ist mir die Band bisher unbekannt gewesen (ihr letzter Auftritt auf dem WGT liegt auch schon zehn Jahre zurück), das wird aber definitiv nachgearbeitet.
Machinista-1-von-1Bei Machinista aus Schweden leert sich die Konzerttonne zum Glück ein klein wenig, sodass ich etwas mehr Bühnensicht habe. Außerdem bleiben die Hardcore-Fans übrig, was in einem formidablen Abriss resultiert. Hier wird zu dem sehr energischen Synthiepop gejubelt und getanzt, John Lindqwister ist hervorragend bei Stimme, holt noch Gastsängerin Annelie auf die Bühne, die beiden kündigen das Cat-Rapes-Dog-Konzert am folgenden Tag schon mal an und entlassen schließlich sehr viele glückliche Fans in die lange Partynacht.
Ich marschiere danach in die Obertonne, wo der Hands-Act Supersimmetria ab Mitternacht ein Set spielen wird, auf das ich mich schon den ganzen Tag freue. Hier gibt es überaus intelligenten Dark Techno/Electronic zu hören, der oft etwas verhalten und eher ruhig daherkommt, sich aber unerbittlich in Gehörgänge und Füße fräst. Stillstehen ist unmöglich, das Set ist hervorragend aufgebaut und steigert sich im Lauf der zur Verfügung stehenden Stunde, bis man am Ende schier davongerissen wird. Ganz, ganz fein!
Wir sind schon perfekt eingetanzt für das DJ-Set von Udo Wiessmann von Winterkälte, der es richtig, richtig krachen lässt. Eine Stunde Rhythm’n’Noise vom Feinsten, alles in der jedes Jahr aufs Neue beeindruckenden Obertonne der Moritzbastei. Danach habe ich Fuß und hinke glücklich zur Tramstation am Augustusplatz (wo ich prompt von einem nächtlichen Straßenreiniger mit dem Laubbläser (!) verscheucht werde – immerhin sehr höflich).
Das wahre Highlight des Samstags ist allerdings eine nachmittägliche Unterhaltung in der Trambahn, als eine junge Frau mich zu dem ganzen Schwarz und Goth hier in der Stadt ausfragt (sie scheint erst kurz in Leipzig zu leben), und nachdem ich ihr ausführlich erklärt habe, warum wir hier sind (Freunde treffen, Musik, Freude an der Parallelwelt und dass man so sein kann, wie man möchte), ist sie total überzeugt und schenkt mir ein Hanuta. Herzerwärmend!

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prager.student:

Samstag geht’s ins Heidnische Dorf. Während die Freundin die Stände zum Shoppen besucht, höre ich mir die schamanischen Klänge von Ÿurod an, ein angenehmes sibirisch-nordisches Ritual-Gebrumme. Nach einem Rundgang durchs Heidnische Dorf geht’s zur agra, um CDs zu kaufen, Freunde zu treffen und die Frauen ihrem Kaufrausch nachgehen zu lassen.

©Ÿurod FB

©Ÿurod FB

Dann breche ich ins Haus Leipzig zu den Punk-Konzerten auf. Zunächst spielen Karies Deutschpunk à la Blumfeld, ein angenehmes, locker gefülltes Konzert mit guter Stimmung.
Die Nerven begrüßen ihr Publikum mit: „Schön, dass ihr alle gekommen seid, auch wenn ihr nur auf die Fehlfarben wartet. Wir können auch alte Lieder spielen“ und fangen an „Wish you were here“ von Pink Floyd zu intonieren. Es wird ein geiles treibendes Punkkonzert mit coolen Sprüchen und kleinem, gesittetem Pogokessel.

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Die Nerven © prager.student

Die Fehlfarben legen einen tollen Auftritt hin, wesentlich besser als das Konzert in den Münchner Kammerspielen vor dem Ü60-Publikum. Die Ansage Peter Heins zu Beginn: „Ich ziehe jetzt eine Beleidigung zurück, die ich noch gar nicht ausgesprochen habe: Wir dachten, wir wären eine Fehlbuchung, aber gut; solange es Gage gibt, spielen wir halt.“ Die Hütte ist voll, die Stimmung super, nach ein paar Intro-Songs wird das MonarchieundAlltag-Album gespielt und danach noch mit ein paar Zugaben die Zeit überzogen: „Wir tun jetzt so, als würde die Feuerwehr uns den Strom abstellen, dann fühlen sich alle cool.“
Nachteil: Wie kommt man in 45 Minuten vom Haus Leipzig zur agra und gabelt dort die Freunde fürs Mitternachtsspecial auf?
Prompt schaffen wir es auch erst zum ersten Song von New Model Army in die Halle. Nur soviel dazu: New Model Army haben die Zeitmaschine erfunden, und das war kein Konzert, sondern ein spirituelles Erlebnis.

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New Model Army © prager.student

Bis man sich gegen drei Uhr danach gesammelt hat, wollen auch die Unentwegten nicht mehr auf die Fetischparty (also erst ins Hotel zum Umziehen, um dann gegen Partyende um fünf Uhr dort aufzutauchen), sondern es geht nur noch auf ein Bierchen in die Moritzbastei („Nein, heute wird’s nicht so lang“), das sich dann doch wieder bis nach Sonnenaufgang hinzieht.

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Mrs.Hyde:

Leicht lädiert wegen zu wenig Schlaf starten wir den Tag an der agra, wo wir über den Schwarzmarkt schlendern, Kleinigkeiten einkaufen (Plüschfledermäuse, Plüschfledermäuse, und außerdem Plüschfledermäuse) und am Stand von Flez-Art eine alte Münchener Freundin treffen, die erst vor Jahren nach Berlin und kürzlich nach Leipzig gezogen ist. Dann müssen wir uns beeilen, denn schon seit Jahren möchte ich die allgemein völlig unbekannten Dystopian Society live erleben, und so müssen sie bereits um 16:30 Uhr das Täubchenthal eröffnen. Erwartungsgemäß ist noch wenig los, was schade für die Band aus Florenz ist. Das anwesende Publikum ist dafür umso mehr begeistert, denn sie spielen eine tolle, extrem düstere Mischung aus Post Punk und Gothic Rock mit Hang zum Death Rock, die nicht nur meine schwarze Seele in Schwingungen versetzt. Für mich ganz klar der beste Auftritt vom WGT.
Nun bleibt die Entscheidung: Murder At The Registry, die ich schon mehrmals gesehen habe, oder rüber ins Stadtbad für Double Echo, und somit auch mal eine andere Location sehen als nur das Täubchenthal? Nach einem letzten Vergleich auf YouTube entscheiden wir uns spontan für Letzteres und werden auch nicht enttäuscht. Vorne vor der Bühne brummt der Bass zwar wieder einmal zu stark und sorgt dank dem vibrierenden Hohlraumboden über dem Schwimmbecken für eine Fußreflexzonenmassage, aber weiter im Mittelbereich reduziert sich das zum Glück auf ein erträgliches Maß. Auch Double Echo spielen düsteren Post Punk, der aber mit Gitarre, Synthies und typischer Drum Machine starken Achtzigerjahre-Einfluss aufweist und im sonst recht elektrolastigen Stadtbad eine ungewohnte, aber willkommene Atmosphäre erzeugt.

©Black Cat Net / Double Echo

Double Echo ©Black Cat Net

Anschließend geht es direkt zurück ins Täubchenthal, wo The Bellwether Syndicate noch spielen, die Band von Legende William Faith (Faith And The Muse, Mephisto Walz, Christian Death) und Sarah Rose, besser bekannt als Scary Lady Sarah. Wir haben sogar Glück und kommen genau in dem Moment, wo Rosie Garland von The March Violets auf die Bühne gebeten wird. Dunkel, treibend, Gothic, und das Publikum jubelt begeistert. Leider reicht es nur zu zwei Songs und somit nur zu einem kleinen Eindruck, aber bei William Faith kann man nicht viel falsch machen. Toller Auftritt, den ich das nächste Mal dringend in voller Länge sehen muss. Wenn das mal nicht der Beste vom WGT gewesen ist, und ich habe das meiste verpasst.
Aber nun folgen Inkubus Sukkubus, die legendäre Pagan-Goth-Band um Sängerin Candia Ridley und Tony McKormack, die schon zu Beginn mit dem Rolling Stones-Cover „Paint it black“ die Stimmung anheizen. Als Candia ein paar Worte sagen möchte, ruft ein weiblicher Fan: „No! Just go on!“, und Candia entgegnet zuckersüß lächelnd: „Oh, fuck you very much!” Das sorgt für massives Gelächter, danach ist Ruhe im Karton. Inkubus Sukkubus ziehen wirklich alle Register, die Stimmung ist großartig, sie spielen den besten Gig vom WGT.

©Shadow Project 1334 FB

©Shadow Project 1334 FB

Nun steigt die Spannung, denn es folgen Shadow Projekt 1334 mit Eva O., die die Band 1987 zusammen mit der Szene-Legende Rozz Williams gründete. Für den leider verblichenen Rozz springen William Faith und Stevyn Grey (Fangs On Fur, Mephisto Walz, Heathen Apostles) ein, außerdem ist Eva O.s erst sechzehnjährige Tochter Scarlet Dream an der Gitarre dabei, die heute ihren zweiten Auftritt vor großem Publikum hat und entsprechend nervös ist. Endlich betritt Eva O. allein die Bühne, klassisch im schwarzen Kleid und mit schwarzem Schleier vor dem Gesicht. Die Eröffnung gerät so dark and gothic, dass ich durchgehend Gänsehaut habe. Zu einer apokalyptischen Soundlandschaft intoniert sie ihren Text, teilweise dunkel grollend wie aus dem Film Der Exorzist. Ein Freund bezeichnet es als „die totale HieronymusBosch-Nummer“, besser kann ich das auch nicht beschreiben. Ein Auftritt, der Ur-Ängste weckt. Erst danach kommen die anderen auf die Bühne, und das eigentliche Konzert beginnt. Shadow Project zelebrieren Death Rock vom Feinsten und versprühen eine dunkle und unheilvolle Energie, die auch auf das Publikum überspringt. Bis auf die ersten zwei Reihen, die sich völlig respektlos an ihren Handys festklammern und den ganzen Auftritt über filmen. Leute, wenn sich der Auftritt nicht in eurer geistigen Festplatte einbrennt, dann ist er es sowieso nicht wert, den noch einmal anzuschauen. Davon mal abgesehen, dass Atmosphäre, Bild- und Tonqualität ohnehin beschissen sind. Wer auf einem Konzert nur auf ein Display starren will, kann gleich daheim bleiben und YouTube anmachen. Aber der Rest feiert, und als ein Foto von Rozz im Hintergrund eingeblendet wird und seine Stimme dazu ertönt, ist es nur noch Gänsehaut pur, und ein Aufschrei geht durchs Publikum. Völlig verdient wird minutenlang eine Zugabe verlangt, bis die Band schließlich noch einmal erscheint und sich beim Publikum bedankt. Eva O. entschuldigt sich im Namen der Band, aber damit habe man nicht gerechnet und mehr ist einfach nicht einstudiert. Schade, aber irgendwie auch sympathisch ehrlich, und so ist das dennoch der beste Auftritt vom WGT.
Nun geht es zum Mitternachts-Special meiner Lieblingsband New Model Army um Sänger (und letztes verbliebenes Gründungsmitglied) Justin Sullivan in der agra. Zugegeben, ich bin etwas in Sorge, was die Soundqualität in der Blechhalle angeht, und dass hier natürlich kein reines Fan-Publikum zu erwarten ist, wie das sonst bei den Tour-Club-Konzerten der Fall ist. Doch New Model Army meistern die Sache mit ihrer Erfahrung großartig und beginnen druckvoll und zum Glück auch klar vom Sound. Sie präsentieren der Menge einen breiten Querschnitt aus schnellen und rockigen Sachen und ruhigen Songs, wechseln dabei geschickt zwischen aktuellen Songs und alten Klassikern, die jeder Alt-Gruftie noch immer mitsingen kann, selbst wenn er sie zwanzig Jahre nicht gehört hat. Mehrmals habe ich Gänsehaut, nur geht die Menge leider nicht so ab wie bei einem Club-Konzert, aber das war auch zu erwarten. Vor allem bei “Lights go out” hätte es mit dem Pogo normalerweise kein Halten mehr gegeben. Aber das kann man der Band an sich ja nicht anlasten. Der Jubel und Beifall zwischen den Songs ist stets laut. Sie versprühen auch nach all den Jahren noch immer diese brennende Spielfreude, die mich seit 1989 so fasziniert, Justin ist wie immer die zentrale charismatische Galionsfigur. Für mich ist es etwas ungewohnt, mich nicht im Pogo, sondern etwas seitlich wiederzufinden, aber so kann ich die Band auch mal aus einer anderen Perspektive wahrnehmen und den besten Gig vom WGT genießen. Zum Abschluss wird „I love the world“ gespielt, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt, wenn ein paar tausend als depressiv und suizidgefährdet geltende Gothen den Refrain mitsingen. Mittlerweile ist es schon wieder drei Uhr morgens, daher fällt die Aftershow-Party heute aus.
(Setlist: Stormclouds, Winter, Island, Lights go out, Devil’s bargain, Strogoula, 51st state, Angry planet, Born feral, Marrakesh, Between dog and wolf, Here comes the war, Purity, Wonderful way to go, Green and grey, Vagabonds, I love the world)

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Phoebe:

Heute mache ich mich auf den Weg in die Innenstadt. Ich steige am Hauptbahnhof aus und schlendere Richtung Katharinenstraße zum Museum der bildenden Künste. Voll ist die Stadt! Essens- und Eisstände, Trinkinseln, Menschen, die fotografiert werden wollen, Menschen, die fotografieren, sie säumen meinen Weg. Man kommt kaum voran. Endlich dort, erwische ich völlig unbeabsichtigt, aber erfreulicherweise genau nach Erhalt einer Freikarte eine Führung durch die YokoOno-Ausstellung, die mein Ziel war. Ich bin froh, dass ich geführt durchgegangen bin. Ich habe sicherlich sehr viel mehr verstanden und für mich mitgenommen als ohne. Die japanisch-amerikanische Künstlerin Yoko Ono (geb. 1933) ist eine der einflussreichsten und gleichzeitig umstrittensten Künstlerinnen unserer Zeit. Sie gilt als Pionierin von künstlerischer Performance und Konzeptkunst sowie als eine der herausragenden Wegbereiterinnen der US-amerikanischen Fluxus-Bewegung. Sie ist weit mehr als „die Frau, die die Beatles auseinander gebracht hat“. Sie ist eine beeindruckende Künstlerin, die für ihr hohes Alter immer noch unheimlich erfrischende Ideen hat, eine beeindruckende Art und Weise, auf Dinge aufmerksam zu machen.

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Ohne Führung hätte ich vielleicht gedacht, aha, Zettelchen an Bäumchen, oha, goldene Leitern, da schau her, Orangenbäumchen, die aus Kisten wachsen. Aber alles hat eine tiefere Bedeutung, seinen Sinn. Manches ist fast kindlich naiv, schön, wie die Anleitung, Wünsche an die Bäume vor dem Museum zu hängen. Anderes verstört zutiefst, wie die Video-Installation, die in Dauerschleife durchläuft. Eine Frau sitzt da, vollständig angekleidet. Die Zuschauer werden dazu angehalten, mit einer Schere Stück für Stück aus ihrer Kleidung herauszuschneiden, bis sie nackt und ungeschützt da ist. Was macht das mit der Frau? Was macht das mit den Zuschauern, mit den Mitmachern? Es geht jedes Mal anders aus. Einmal stehen Männer auf, als die Frau völlig nackt dasitzt, und fotografieren, ein anderes Mal geht eine Frau hin und bedeckt die Performance-Künstlerin mit ihrem Schal. Man muss nach- und mitdenken.

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Dass ein älterer brav angezogener Herr noch etwas zu der Sache mit den goldenen Leitern wusste, was der Guide nicht erzählt hat, freut mich: „Hat nicht John Lennon Yoko Ono das allererste Mal gesehen, als sie gerade zu einer Performance auf einer Leiter stand?“
Beschwingt gehe ich direkt nach fast nebenan zur Alten Börse, dem schönen historischen Gebäude mitten im Trubel der Altstadt. Das Trio Viz-À-Vis (Maria Kalesnikava, Flöte, Natasha López, Vocals, und Hugo Rannou, Violoncello) gibt ein Konzert mit dem Titel “Suite En Collage” mit Kompositionen von Johann Sebastian Bach (“Partita in a-moll”), Guillaume Connesson (Toccata-Nocturne), Giacinto Cselsi (“Three Latin Prayers for Soprano”), André Caplet (“Ecoute, mon coeur”), Ivan Fedele (“Paroles y palabras”) und Nicolai Worsaae (“Replication #1”). Es ist mittelprächtig gut besucht. Die einen lauschen andächtig, andere nutzen, so sieht es aus, die Zeit, um die sozialen Medien oder ihre Nachrichten zu überprüfen. Es ist sehr warm dort, und ich halte es nicht lange aus, die Musik nimmt mich auch nicht richtig mit. Ich suche noch die leerste, schönste Toilette in der ganzen Innenstadt auf (Nachfragen zwecklos!) und mache mich erholt auf zu meinem eigentlichen Programm-Höhepunkt für diesen Tag: Es heißt wieder einmal Anstehen an der Oper. Schwanensee steht auf dem Programm! Das Ballett der Oper Leipzig ist einer der Hauptanziehungspunkte für mich. Ich freue mich, dass überraschend frühzeitig die Türen aufgehen und sich der Pulk der Wartenden in das kühlere Innere ergießen kann. Ich ergattere wieder eine Karte! Ich gönne mir was zu trinken und suche dann meinen Platz auf. Natürlich sitzt man in unmittelbarer Nähe zu den vorher Mitwartenden, so überrascht es nicht, dass ich neben dem jungen Mann mit langem schwarzem Rock und weißen Handschuhen zu sitzen komme, wir warteten ja gemeinsam auf den Stufen, wir haben die Karten hintereinander vom Abreißblock. Es stellt sich heraus, er ist Literaturwissenschaftler, und so darf er mich in Sachen Schwanensee briefen. Denn dieses Stück ist wirklich schwer! Wenn nur getanzt wird, nicht gesungen, nicht gesprochen, sollte man eine Ahnung haben. Trotz Erklärung davor, Diskussion in der Pause und danach muss ich nachlesen. Die Musik ist von Peter Tschaikowski, das Stück ist inszeniert von Mario Schröder und eine choreografische Uraufführung. Es ist die unsterbliche Geschichte rund um die Schwanen­prinzessin Odette, ihrer schwarzen Gegenspielerin Odile und der Liebe eines Mannes, der von beiden Welten, die Odette und Odile symbolisieren, in seinen Bann gezogen wird. Odette kann nur durch die wahre Liebe vom Fluch ihrer Schwa­nen­­gestalt erlöst werden. Schwanensee ist das Ballett der Ballette. Jeder scheint das Stück zu kennen, auch ein paar Sequenzen daraus kennt wohl jeder. Klassisch inszeniert ist es ein wahres Märchen. Hier ist es sehr modern inszeniert, Gender und Diversity sind hier ein Thema. Der Tanz der unisex kostümierten Wesen ist interessant, aber schwer zu verstehen. Ein Schmankerl und Augenschmaus sind hingegen die Videoinstallationen und Spiegelungstechniken auf der Bühne (von Paul Zoller), die den Tanz bisweilen fast nebensächlich machen.
Ich werde vor der Oper abgeholt, mein Schatz und ich schlendern durch die Stadt, wir essen in einem der unzähligen Kneipchen im Barfußgässchen, und anschließend erleben wir noch überraschenderweise eine schöne Lichtinstallation anlässlich des Stadtfestes Leipzig.

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Die Gebäude an der Nordseite zwischen Hainstraße und Katharinenstraße werden mit einer Illumination beleuchtet, darunter die „Alte Waage“. Das bunte Stadtfestvolk mischt sich fröhlich mit Schwarzvolk, es wird romantisch. Schön!

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 Yggdrasil:

Nach einer Nacht, in der ich so tief geschlafen haben muss, dass ich befürchte, sämtliche Wälder virtuell abgeholzt zu haben, erinnern mich meine Knochen nachhaltig an den vergangenen Tag. Der erste Gedanke ist Kaffee, ganz schnell und viel! Auf den Samstag freue ich mich besonders, da Black Metal auf der Tagesordnung steht. Freudig also zur Tram und wieder in Richtung Abenteuer WGT. Das Ziel des Tages ist das Heidnische Dorf. Wer die Location kennt, wird wissen, dass man dort auch ein wenig versacken kann. Angekommen und in einen Pulk von Festivalbesuchern geraten, prozessieren wir Richtung Eingang. Meine Freude ist kaum noch zu bändigen, als ich das Willkommensschild erblicke. Recht überschaubar ist es noch, was wohl der etwas ungothischen Uhrzeit von 14 Uhr geschuldet sein dürfte. Da ich ein wenig zu früh dort bin, beschließe ich, mich dem Picknick der dortigen Gothics anzuschließen, und geselle mich zu ihnen auf die Wiese. Plötzlich, wie aus dem Nichts, erscheint eine aus der Schweiz stammende Besucherin des Festivals aus einem Verkaufsstand, an dem wohl eine Art Best-Of-Gothic-CD lief, und brüllt in die Menge „Ich bleibe hier, hier läuft geile Mucke“, und alle anderen applaudieren. Die meisten sind eh schon am Tanzen oder Wippen! So schön das auch ist, habe ich als Ziel die große Bühne, da um 14 Uhr das Konzert der von mir geliebten wohl besten deutschen Pagan-Black-Metal-Band XIV Dark Centuries beginnen soll. Ein paar wenige, aber dafür umso truere Metaller haben sich eingefunden und lassen sich zur Musik richtiggehend gehen. Pünktlich beginnt das Konzert, und vom ersten Riff an herrscht eine Magie, die so archaisch wurzelverbunden ist, wie das nur Pagan Metal erzeugen kann. Von ihren drei veröffentlichten Alben, Den Ahnen zum Gruße, Skithingi und Gizit dar Faida, werden sämtliche Gassenhauer wiedergegeben. Als einige anfangen zu headbangen, gibt es für mich kein Halten mehr. Was besonders erfreulich für mich ist, es werden satte vier Songs von ihrem hoffentlich in Bälde erscheinenden neuen Album zum Besten gegeben. Das beste Stück des Auftritts ist für mich eindeutig „Skithingi“. Ein Epos vor Odin, kann ich euch sagen! Im Nachhinein betrachtet habe ich Glück mit den Locations, denn ohne direkt darauf geachtet zu haben, hatte ich drei Konzerte an derselben Location.

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XIV Dark Centuries ©Yggdrasil

Es wird dunkel (auf der Bühne, das Wetter denkt nicht einmal im Traum daran), und eine russische Atmospheric-Black-Metal-Band namens Welicoruss betritt die Bühne. Vor sichtlich mehr Gedränge in den ersten Reihen beginnen sie nach einem obligatorischen Intro ihren recht gefälligen Black Metal zu spielen. Sehr keyboardlastig sind einige Tracks für mich eine kleine Hommage an die ganz alten Dimmu Borgir zu Stormblåst-Zeiten. Die Haare kreisen fleißig weiter, und einige russischstämmige Metaller beginnen lauthals ein Lied zu verlangen, „Slava rusi“. Mir gefällt ihre Musik super, ein wenig Kontrast zum Sonstigen auf dem WGT. Am Ende spielen sie es dann endlich, das von den Fans gewünschte „Slava rusi“. Der totale Abriss! Eine Black-Metal-Ramme direkt in die Magengrube, Gekreische wie beste Darkthrone zu TranssylvanianHunger-Zeiten. Wow! Beim Auftritt der Band Eluveitie aus der Schweiz, die bekanntlich Folk Metal spielen und sehr beliebt sind, habe ich ein laues Gefühl im Magen, da sie mir fast schon zu bekannt geworden sind. Man merkt den Status der Band dann auch sofort, denn das Heidnische Dorf füllt sich zunehmend. Egal, denke ich mir, und gehe ziemlich weit nach vorne, um einen guten Blick zu erhaschen, da ich leider das Pech habe, dass sich vor mir immer ein Zweimeter-Riese breitmacht. Mit großem Beifall wird die Band willkommen geheißen, und diese bedankt sich wiederum beim Publikum und verkündet, dass es ihnen eine Ehre ist, wieder auf dem WGT spielen zu dürfen. Schon beim ersten Song habe ich meine Skepsis abgelegt und lasse mich mitreißen von den recht hart instrumentierten Songs. Gelegentlich schimmert auch ein wenig der frühere Black Metal der Band durch. Musikalisch sowieso eine Offenbarung, sorgt Fabienne Erni mit ihrer unnachahmlichen Stimme das ein oder andere Mal für Gänsehaut. Es beginnt sich ein Circle Pit im Publikum zu bilden, und mir wird klar, was nun folgen wird. Ein paar Schritte weiter auf der rechten Seite der Bühne headbange ich ruhig weiter, während der Pogo einsetzt. Die Stimmung ist am Kochen, und als am meisten los ist, stimmen sie ihren größten Hit „Inis Mona“ an. Eine schier unglaubliche Party beginnt. Haare, Schweiß und Sonstiges, wohin man blickt. Danach und auch wegen der anhaltenden schwülen Hitze bin ich erstmal reif für die Wiese und ein wenig Chillen.

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Eluveitie © Yggdrasil

Nach Überlegungen, ob wir den Abend noch bei der „Dunkelromantischen Nacht“ ausklingen lassen, meldet sich mein durch die Hitze geschlauchter Körper, und so beschließen wir, nach Hause zu fahren.

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Ankalætha:

Frühstück-1Mein Samstag startet traditionell mit dem Mimimi-Frühstück im Café Stein – der harte Kern um das Rentier „Juntti” bleibt derselbe, aber es tauchen doch auch jedes Jahr neue Nasen auf, um mit uns gemeinsam über all das Ungemach des Daseins, des Goth-Seins und speziell des WGTs zu schniefen. Wir freuen uns – äh, wehklagen! – über jeden, der kommt, haben garantiert üüüberhaupt keinen Spaß, und es hat auch wirklich gar niemand gelacht oder so. Echt nicht. Open End ist es diesmal allerdings nicht, denn die Organisatoren müssen gleich weiter, zum „Marsch für Satan” der als Satire-Event den zeitgleich stattfindenden „Marsch für Jesus” karikiert.
Wir haben allerdings keine Zeit, da mitzulaufen, wir fahren los zum Westbad, wo ich feststellen muss, dass das letztes Jahr im Nebensaal eingerichtete Café dieses Jahr deutlich reduziert ist und es auch keine leckeren Crêpes mehr gibt. Und das, wo ich mir auf dem Weg trotz der Hitze sogar verkniffen habe, ein Eis zu essen! (Mimimi!)
Die diversen kulinarischen Ausfälle sind allerdings schnell vergessen, als um 16.30 Uhr Darkcell die Bühne entern und dem leider noch etwas spärlichen Publikum ordentlich den Schädel durchblasen. Der Auftritt fällt etwas metallischer und weniger horrorpunkig aus, als ich nach Sichtung des Materials auf Spotify erwartet hatte, sogar „Freakenstein” fehlt auf der Setlist, das finde ich schade. Was mich versöhnt, ist die enorme Energie der Band, ihr sehr sympathisches Auftreten und nicht zuletzt der enorme Schalk, der Sänger Jesse Dracman jederzeit im Nacken sitzt. Langweilig wird es nicht. Ein guter Start in den musikalischen Teil des Tages.

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Darkcell © Ankalætha

Einen Apfelwein später betreten N.E.O. (Near Earth Orbit) die Bühne, und die Stimmung, die vom ersten Ton an erzeugt wird, könnte kaum einen größeren Kontrast zu den Vorgängern darstellen. Von einem Auftritt kann man hier eigentlich kaum reden, eher von einer Performance, bei der die Message im Vordergrund zu stehen scheint, teilweise sogar vor der Musik. Der Fokus auf der Bühne liegt auf den beeindruckenden Videoinstallationen, die Musiker selbst tauchen zwar gelegentlich in den Videos auf, halten sich ansonsten aber zumindest optisch sehr im Hintergrund. Ich setze mich erstmal hin, auf eine der wenigen gepolsterten Sitzbänke an der Rückwand der Halle, mit gutem Blick auf das Geschehen – und schlafe leider zwischenzeitlich ein. Das macht das Erlebnis zwar nicht direkt weniger intensiv, aber nochmal ein wenig unverständlicher.
Eggvn-1Während der nächsten Umbaupause gehen wir wieder ganz nach vorne – nicht nur, damit mir das mit dem Einschlafen nicht nochmal passieren kann, sondern auch weil die nachfolgenden Industrial-Metaller Eggvn der eigentliche Grund sind, weshalb ich heute hier bin. Die beiden Mexikaner mit den beeindruckenden Widderschädel-Masken (wobei es sich bei der des Sängers eigentlich eher um eine Art Hut handelt, was auch erklärt, wie er damit singen kann …) erfüllen dann auch alle Erwartungen absolut, und zumindest in der ersten Reihe ist der Sound perfekt. Kracher wie „Goathead” und „The source” lassen die Stimmung kochen, während die reduzierte Show ohne jeglichen Bühnen-Schnickschnack eine fast blackmetallische Atmosphäre erzeugt und einem die Gänsehaut den Rücken rauf und runter jagt.
Das Westbad ist weiter nur locker gefüllt, was mir persönlich aber ganz recht ist, so bekommt man wenigstens Luft, und ich finde ohne Probleme zwei Freundinnen, die auch extra für Eggvn hier rausgefahren sind. Nach dem Auftritt stehen wir noch ein wenig zusammen, aber dann geht es auch schon wieder in unterschiedliche Richtungen weiter – meine Begleitung und ich wollen nämlich ins Stadtbad zu Light Asylum. Während eines kurzen Zwischenstopps am Hauptbahnhof bekommen wir aber dank moderner Technik schon deutlich vermittelt, dass wir damit natürlich nicht die Einzigen sind. Die eintickenden Meldungen über endlose Einlassschlangen, akute Überfüllung und Sauerstoffmangel überzeugen uns schnell, stattdessen doch lieber zur agra zu fahren, um vielleicht Nitzer Ebb noch zu erwischen. Leichter gesagt als getan – auch die Tram ist hoffnungslos überfüllt, irgendwer steht immer in der Tür, nix geht weiter, und wer denkt, dass WGT-Outfits beim zweiten oder dritten Tragen eigentlich nicht mehr zumutbar sind, sollte Trambahnen voller Stadtfestbesucher definitiv besser großräumig umgehen. Endlich angekommen ist erst mal „Luft!, Durst, Pipi” dran, nur um dann mit dem auf dem Gelände gekauften Cider plötzlich nicht mehr in die Konzerthalle zu dürfen. Angeblich eine neue Regelung dieses Jahr. Aber immerhin treffen wir beim Austrinken vor der Kontrolle diverse Freunde, und dann geht es irgendwann endlich gemeinsam doch noch rein.
Nitzer haben aber wohl sowieso grade nicht ihren besten Auftritt, und der agra-typische Matschesound im hinteren Bereich der Halle tut sein Übriges dazu, das Ganze über weite Strecken sehr monoton wirken zu lassen. Gegen Ende hin wird es besser, und ich erkenne den einen oder anderen „Hit”. Anschließend könnten wir eigentlich gleich drin bleiben und einen besseren Platz finden, aber irgendwie habe ich es mir in den Kopf gesetzt, dass ich jetzt eine Runde Absinth ausgeben muss. Einen „Death in the Afternoon” pro Person später sind wir wieder am Ort des Geschehens, um das Mitternachtsspecial mit New Model Army zu erleben. Jetzt passt der Sound, und alles ist bestens, sogar die Füße tun dank der wunderbaren Kräfte der grünen Fee gar nicht mehr so dolle weh. Sehen tun wir aber natürlich nichts, und gegen halb zwei beschließen wir dann gemeinsam, das Konzertende und damit den Ansturm auf die verfügbaren Transportmittel nicht abzuwarten, sondern uns gleich ein Taxi nach Hause zu teilen.

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littlenightbird

Der WGT-Samstag ist immer der erste Tag, an dem ich meiner Leidenschaft fürs Shoppen nachgehen kann, und so führt mich mein Weg zunächst ins Heidnische Dorf, wo ich bestimmte Schmuckstände und die Qualität des diesjährigen Treffen-Mets inspiziere. Das Allererste, wofür ich dieses Jahr Geld ausgebe, ist ein Foto mit Wüstenbussard Winnetou eines Falkners, nachdem ich dessen Haltungsbedingungen kritisch hinterfragt habe. An diesem Nachmittag treffe ich nicht nur alte Freunde, sondern auch einige Fremde, mit denen ich ins Gespräch komme, nachdem sie mich wegen meines Outfits fotografieren wollen. An keinem Tag hat das WGT für mich mehr von seinem Treffen-Charakter als heute, wo ich im Gegensatz zu den ersten beiden Tagen entspannt und guter Laune bin, angesichts der Reizüberflutung, der Hektik und Menschenmassen des WGTs für mich ein eher seltener Zustand. Mit einer alternativen, älteren, aber flippigen Dame aus Berlin und einem anderen Paar unterhalte ich mich lange über die Gothic-Szene, Gentrifizierung, Leipzig, die gute alte Zeit und Selbstfindung, es sind schöne, sinnreiche Gespräche. Dann entsinne ich mich meiner bereits wartenden Freunde, und nach einem Umtrunk in einem Wohnwagen begebe ich mich zur agra in den Hallenmarkt zum Einkaufen. Der Trend dieses Jahres sind Vogelschädel in allen Variationen, Freud und Leid für mich, da ich sowieso fast nie ohne Vogelschädelschmuck ausgehe. Immerhin habe ich für daheim noch Platz für weiteren derartigen Schmuck.
Später besuche ich die schon volle agra-Konzerthalle, um Welle:Erdball zu sehen. Eine meiner Lieblingsbands, immer gerne und oft am WGT gesehen, aber dort leider meist zu voll und zu groß. Ich verpasse die ersten zwei Songs wegen dringender Bedürfnisse (sanitärer und kommunikativer Art), doch dann kann die Party zusammen mit einigen Freunden losgehen. In gewohnter Weise prangert Hannes „Honey“ M. mit Unterstützung seines Kollegen A.L.F. und zweier Nummerngirls die Flüche und Segen der elektronischen und digitalisierten Gesellschaft an, ich kann bei vielen der Lieder aus vollster Überzeugung mitsingen. Luftballons und Papierschwalben fliegen ins Publikum, zum Glück diesmal keine C64-Tastatur wie vor einigen Jahren im Kohlrabizirkus. Ich würde kein erreichbares Welle:Erdball-Konzert auslassen, auch wenn es mein schätzungsweise 15. Mal ist und sich diese Gruppe mit VNV Nation den Rang meiner meist besuchten Konzerte teilen muss.
Die Zeit bis zum Mitternachtsspecial verbringe ich müßig und etwas schlecht gelaunt im Klüngel auf Bierbänken bei den Essensständen auf der agra. Dafür entschädigen mich New Model Army als Mitternachtsspecial. Noch nie habe ich die agra-Halle so voll erlebt, und das, obwohl die Band meiner Meinung nach hier gar nicht hergehört, da New Model Army für mich bestenfalls Indie-Rockmusik machen, die ich als Twen an der Uni gehört habe – lange bevor ich Gothic wurde. Aber das Konzert (auch nicht mein Erstes) ist großartig, lässt es mich zugleich wieder furchtbar jung und unendlich alt fühlen (Zitat: „We are old, we are young, we are in this together …“). Bei „Vagabonds“ habe ich Gänsehaut und Tränen in den Augen vor Ergriffenheit; etwas, was sonst nur Ronan Harris mit VNV Nation schafft. Wow!

Hier geht’s zum Sonntag!

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